Amnesty Report Senegal 24. April 2024

Senegal 2023

Eine Frau steht vor einem verschlossenen Tor

Rokhaya Ndiaye möchte ihren Sohn und Journalisten Pape Ndiaye in der speziellen Unterkunft zur medizinischen Versorgung für Häftlinge in der senegalesischen Hauptstadt Dakar besuchen (6. Februar 2024).

Berichtszeitraum: 1. Januar 2023 bis 31. Dezember 2023

Das scharfe Vorgehen gegen die Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit setzte sich 2023 im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen fort. Menschenrechtler*innen, Aktivist*innen und Journalist*innen wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Verteidigungs- und Sicherheitskräfte wandten bei Protesten unverhältnismäßige Gewalt an, was zu Verletzten und Getöteten führte. Kinder wurden nach wie vor zum Betteln gezwungen. Frauen und Mädchen litten weiterhin unter Diskriminierung in der Ehe.

Hintergrund

Im Vorfeld der für Februar 2024 anberaumten Präsidentschaftswahlen kam es 2023 zu politischen Spannungen, und Oppositionsparteien und zivilgesellschaftliche Organisationen organisierten mehrere Demonstrationen. Im Mai 2023 wurde der Oppositionsführer Ousmane Sonko wegen öffentlicher Beleidigung und Verleumdung eines Regierungsministers zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Am 1. Juni verurteilte ihn darüber hinaus ein Gericht in der Hauptstadt Dakar wegen Anstiftung zur Unzucht von Jugendlichen unter 21 Jahren (corruption de la jeunesse) zu zwei Jahren Gefängnis, nachdem Vergewaltigungsvorwürfe gegen ihn erhoben worden waren. Im darauffolgenden Monat wurde er u. a. des Aufrufs zum Aufstand und der kriminellen Verschwörung angeklagt. Im Juli 2023 gab Präsident Macky Sall bekannt, nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren zu wollen. Im selben Monat löste das Innenministerium die Partei PASTEF von Ousmane Sonko auf, weil diese ihre Anhänger*innen aufgefordert haben soll, "sich an aufständischen Bewegungen zu beteiligen".

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Mehrere vom größten Oppositionsbündnis Yewwi Askan Wi sowie den zivilgesellschaftlichen Organisationen F24 und FRAPP organisierte Protestveranstaltungen wurden mit der Begründung verboten, sie könnten die öffentliche Ordnung stören. 

Die Behörden hoben das pauschale Verbot für politische Demonstrationen nicht auf, das 2011 für das Zentrum der Hauptstadt Dakar erlassen worden war, obwohl der Gerichtshof der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft das Land dazu aufgefordert hatte.

Nach den Protesten im Juni 2023 zur Unterstützung von Ousmane Sonko, der wegen "Anstiftung zur Unzucht von Jugendlichen" zu zwei Jahren Haft verurteilt worden war, schränkten die Behörden den Zugang zum mobilen Internet ein. Tiktok war nur noch über VPN (virtuelles privates Netzwerk) zugänglich. Der Fernsehsender Walf TV, der über die Proteste berichtete, wurde im Juni vom Ministerium für Kommunikation, Telekommunikation und digitale Wirtschaft ohne Vorankündigung vom Netz genommen. 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Bis Oktober 2023 waren mehr als 1.000 Personen meist wegen der Teilnahme an Protestveranstaltungen oder wegen mutmaßlicher Verbindungen zu PASTEF festgenommen und inhaftiert worden. 

Hannibal Djim, der Spendenaktionen zur Unterstützung von PASTEF organisiert hatte, wurde im Februar 2023 festgenommen und inhaftiert. Ihm wurde "Finanzierung von aufrührerischen und subversiven Aktivitäten, Aufruf zum Aufstand, Verharmlosung von Gewalt und Anstiftung zu Handlungen, die die Staatssicherheit gefährden könnten" vorgeworfen. Er befand sich Ende 2023 noch in Haft. Falla Fleur wurde im Mai 2023 wegen ihrer Facebook-Beiträge zur Unterstützung von PASTEF festgenommen und unter dem Vorwurf von "Handlungen, die die öffentliche Sicherheit gefährden könnten, und gezieltem Provozieren einer bewaffneten Versammlung" inhaftiert. Sie kam am 6. November wieder frei. Aliou Sane, Sprecher des Kollektivs Y'en a Marre und der Plattform F24, wurde der "Beteiligung an einer nicht angemeldeten Demonstration und Störung der öffentlichen Ordnung" angeklagt. Auch er war Ende 2023 noch in Haft.

Journalist*innen

Journalist*innen wurden festgenommen, inhaftiert und wegen Anklagen wie Verleumdung und Verbreitung von Falschnachrichten zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Am 7. März 2023 wurde der Journalist Pape Ndiaye u. a. wegen "Verbreitung von Falschnachrichten" und "Missachtung des Gerichts" festgenommen und inhaftiert, nachdem er auf Walf TV gesagt hatte, dass 19 stellvertretende Staatsanwält*innen dagegen seien, Ousmane Sonko wegen der Vergewaltigungsvorwürfe vor Gericht zu stellen. Am 21. Juni wurde Pape Ndiaye vorläufig wieder freigelassen. Im Mai 2023 wurde Serigne Saliou Gueye, der Herausgeber der Tageszeitung Yoor-Yoor, nach der Veröffentlichung eines Artikels festgenommen, in dem das Gerichtsurteil im Verleumdungsverfahren gegen Ousmane Sonko kritisiert wurde. Ihm wurde vorgeworfen, "Texte veröffentlicht zu haben, die gerichtliche Handlungen oder Entscheidungen diskreditieren könnten; Falschnachrichten verbreitet zu haben, die öffentliche Einrichtungen in Misskredit bringen könnten; und sich zu Unrecht als Journalist ausgegeben zu haben". Er kam am 21. Juni vorläufig frei. Am 29. Juli wurde der Journalist Pape Ale Niang festgenommen und wegen "Aufruf zum Aufstand und Handlungen, die die öffentliche Sicherheit gefährden können", angeklagt. Vorausgegangen war die Veröffentlichung eines Videos, in dem der Journalist die kurz zuvor erfolgte Festnahme von Ousmane Sonko kommentierte. Pape Ale Niang wurde am 8. August nach einem Hungerstreik vorläufig freigelassen.

Menschenrechtsverteidiger*innen

Im Juli 2023 wurde Oudy Diallo, Vorsitzender der Umweltorganisation Kédougou Alerte Environnement und der Umweltkommission des Rates des Départements von Kédougou, zu sechs Monaten Haft verurteilt. Ihm war vorgeworfen worden, "falsche Nachrichten verbreitet, persönliche Daten gesammelt und verbreitet sowie einen Adjutanten der Gendarmeriebrigade Saraya in Ausübung seines Amts beleidigt und eine militärische Einrichtung der nationalen Gendarmerie verleumdet" zu haben, nachdem er ein Foto des Adjutanten auf Facebook veröffentlicht und diesen beschuldigt hatte, mit chinesischen Unternehmen an dem mutmaßlich illegalen Abbau von Gold in der Region Kédougou beteiligt zu sein.

Exzessive Gewaltanwendung

Zwischen März 2021 und Juni 2023 wurden bei Polizeieinsätzen während Protestveranstaltungen mindestens 56 Personen getötet und mindestens 1.000 verletzt. Im Mai 2023 protestierten Bewohner*innen des Stadtteils Ngor in Dakar gegen die geplante Nutzung eines Grundstücks in ihrem Viertel für eine Polizeiwache statt für Bildungseinrichtungen. Zeug*innen und Medien zufolge wurde Adji Diallo, ein 15-jähriges Mädchen, bei den Protesten erschossen. Während der Proteste schossen Angehörige der Gendarmerie auf Demonstrierende, die Steine warfen, und setzten Tränengas gegen eingekesselte Demonstrierende und Anwohner*innen ein. Von Amnesty International verifizierte Videos zeigen, wie Sicherheitskräfte auf Festgenommene in Handschellen einschlagen und wie sie beim Vorrücken in einem verbarrikadierten Viertel Menschen als Schutzschilde benutzen.

Nach der Verurteilung von Ousmane Sonko wegen "Anstiftung von Jugendlichen zur Unzucht" kam es in den Städten Dakar und Ziguinchor im Juni 2023 zu gewalttätigen Protesten. Dabei schossen Polizeikräfte und Männer in Zivilkleidung, die zum Teil Seite an Seite agierten, mit scharfer Munition. Im Zuge dessen wurden nach Angaben des senegalesischen Roten Kreuzes mindestens 29 Personen getötet und 390 verletzt. 

Im September 2023 wurden bei gewaltsamen Protesten von Jugendlichen in der Bergbausiedlung Khossanto in Saraya in der Region Kédougou zwei Personen von der Polizei erschossen. Sie hatten gegen die Entscheidung des Präfekten protestiert, zukünftig Behördenvertreter*innen als Vorsitzende der lokalen Einstellungsausschüsse einzusetzen, statt dies wie bisher den Gemeindesprechern (chefs du villages) zu überlassen. Diese Ausschüsse kümmern sich um die Einstellung lokaler Arbeitskräfte für die Goldminen.

Es lagen keine Informationen zu den juristischen Ermittlungen im Fall der 14 Personen vor, die im März 2021 bei Protesten nach der Festnahme von Ousmane Sonko in mehreren Städten ums Leben gekommen waren. Zwölf von ihnen wurden von den Verteidigungs- und Sicherheitskräften erschossen.

Rechte von Frauen und Mädchen

Das Familiengesetzbuch enthielt nach wie vor Bestimmungen, die die "eheliche und väterliche Autorität" ausschließlich dem Mann zusprachen und den Ehemann zum Familienoberhaupt bestimmten. Dadurch wurden den Frauen ihre Rechte und die Autorität über ihren Haushalt und ihre Kinder verweigert. Laut Paragraf 111 des Familiengesetzbuchs lag das gesetzliche Mindestheiratsalter für Mädchen bei 16 Jahren, für Jungen hingegen bei 18 Jahren, wodurch Mädchen das Recht auf Gleichberechtigung in der Ehe verweigert wurde.

Kinderrechte

Kinder, die an senegalesischen Koranschulen (Daaras) unterrichtet wurden (Talibé-Kinder), sind auch 2023 häufig zum Betteln gezwungen worden. Der Entwurf eines Kindergesetzbuchs sowie ein Gesetzentwurf zum Status der Daaras wurden von der Regierung nicht verabschiedet. Nach wie vor wurde nur unzureichend in den Kinderschutz investiert, was dazu führte, dass die Menschenrechte der Talibé-Kinder verletzt wurden, darunter ihre Rechte auf Leben, Überleben und Entwicklung sowie ihr Recht auf Schutz vor jeder Form von körperlicher oder seelischer Gewalt.

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