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Ruanda 2019
Jackie Umuhoza, die Tochter des im Exil lebenden Pastors Deo Nyirigira, wurde im November 2019 in der ruandischen Hauptstadt Kigali verhaftet.
© privat
Oppositionelle waren mit drastischen Einschränkungen ihres Rechts auf Vereinigungsfreiheit konfrontiert, einige fielen dem Verschwindenlassen zum Opfer oder wurden getötet. Personen, deren Ansichten die Behörden als Kritik an der Regierungspartei, der Regierung oder deren Politik einstuften, wurden strafrechtlich verfolgt und zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Ruanda beherbergte weiterhin rund 150.000 Flüchtlinge, vor allem aus Burundi und der Demokratischen Republik Kongo. Präsident Kagame begnadigte 52 Frauen, die wegen eines Schwangerschaftsabbruchs oder Beihilfe zu diesem Eingriff inhaftiert waren. Schwangerschaftsabbrüche waren weiterhin nur in Ausnahmefällen erlaubt. Das Land bemühte sich weiterhin darum, die mutmaßlich Verantwortlichen für den Völkermord von 1994 zur Rechenschaft zu ziehen.
Hintergrund
Frank Habineza, der Vorsitzende der Demokratischen Grünen Partei Ruandas (Democratic Green Party of Rwanda) und ehemalige Präsidentschaftskandidat, zog nach der Parlamentswahl im Jahr 2018 als erster Abgeordneter seiner Partei ins Parlament ein.
Zu den wichtigsten Gesetzesreformen im Jahr 2018 gehörten die Verabschiedung eines überarbeiteten Strafgesetzbuchs, einer neuen Strafprozessordnung und einer Reform des Antiterrorgesetzes.
Im September 2019 fanden Senatswahlen statt. Die Spannungen mit Uganda dauerten an, obwohl die beiden Nachbarländer im August ein Abkommen schlossen, um ihre Beziehungen zu verbessern.
Recht auf Vereinigungsfreiheit
Für die politische Opposition blieb das Recht auf Vereinigungsfreiheit eingeschränkt. Hochrangige Mitglieder des nicht zugelassenen Oppositionsbündnisses Forces Démocratiques Unifiées (FDU-Inkingi) wurden getötet oder "verschwanden" unter verdächtigen Umständen. Andere wurden von den Behörden drangsaliert oder eingeschüchtert, um sie daran zu hindern, ihr Recht auf Vereinigungsfreiheit wahrzunehmen. Victoire Ingabire, die ehemalige Präsidentin der FDU-Inkingi, die 2018 aus dem Gefängnis entlassen und vom Präsidenten begnadigt worden war, wurde wiederholt von der Ruandischen Ermittlungsbehörde (Rwanda Investigation Bureau – RIB) vorgeladen. Als Konsequenz trat sie aus der FDU-Inkingi aus und gründete im November 2019 eine neue Partei.
Verschwindenlassen
Das Schicksal des Vizepräsidenten der FDU-Inkingi, Boniface Twagirimana, war 2019 weiterhin unbekannt, obwohl die RIB versichert hatte, dass sie sein "Verschwinden" untersuche. Im Oktober 2018 hatte die ruandische Strafvollzugsbehörde mitgeteilt, er sei kurz nach seiner Verlegung in das Hochsicherheitsgefängnis Mpanga International Prison von dort geflohen. Die Behörden hatten ihm und acht weiteren Mitgliedern der FDU-Inkingi vorgeworfen, eine bewaffnete Gruppe gebildet und die Sicherheit des Staates bedroht zu haben. Er war jedoch der einzige, der in das Hochsicherheitsgefängnis verlegt wurde. Nach Angaben der RIB hatten die Ermittlungen zu seinem Verbleib noch zu keinem Ergebnis geführt. Die Umstände seiner angeblichen Flucht ließen vermuten, dass er Opfer des Verschwindenlassens geworden war. Eugène Ndereyimana, ein weiteres Parteimitglied, "verschwand" im Juli 2019 auf dem Weg zu einem Treffen in Nyagatara in der Ostprovinz. Als er dort nicht ankam, erstatteten seine Parteifreunde Vermisstenanzeige.
Rechtswidrige Tötungen
Im März 2019 wurde der Assistent von Victoire Ingabire, Anselme Mutuyimana, tot aufgefunden. Im September erstachen Unbekannte Syldio Dusabumuremyi, den nationalen Koordinator von FDU-Inkingi; einen Tag später gab die RIB bekannt, sie habe im Zuge der Ermittlungen zwei Personen inhaftiert.
Flüchtlinge und Asylsuchende
Ruanda beherbergte etwa 150.000 Flüchtlinge und Asylsuchende. Die Mehrheit kam aus Burundi und der Demokratischen Republik Kongo. Andere waren aus Libyen evakuiert worden, vor allem Flüchtlinge aus Eritrea. Weitere Herkunftsländer waren Äthiopien, Somalia, Sudan und Südsudan. Im September 2019 unterzeichneten Ruanda, das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) und die Afrikanische Union eine Absichtserklärung, wonach Überstellungen freiwillig erfolgen sollten. Zudem wurde vereinbart, dass den nach Ruanda überstellten Personen angeboten werde, sich in einem Drittland neu anzusiedeln, in ihr Herkunftsland zurückzukehren, in das Land zu gehen, in dem ihnen als erstes Asyl gewährt worden war oder – in Abstimmung mit den Behörden – in Ruanda zu bleiben.
Ende 2019 war noch niemand in Zusammenhang mit drei Vorfällen im Jahr 2018 vor Gericht gestellt worden, bei denen Sicherheitskräfte mit übermäßiger Gewalt gegen protestierende Flüchtlinge vorgegangen waren. Zwei dieser Vorfälle ereigneten sich am selben Tag in der Stadt Kaongi und im Flüchtlingslager Kiziba in der Westprovinz. Mindestens elf kongolesische Flüchtlinge kamen dort ums Leben und zahlreiche weitere wurden verletzt, als die Polizei bei Protestkundgebungen das Feuer eröffnete. Die ruandische Nationalpolizei gab an, dass dabei auch sieben Angehörige der Polizei verletzt worden seien. Einige Monate später kam es bei weiteren Polizeieinsätzen in Kiziba zu Zusammenstößen, bei denen mindestens ein Flüchtling an seinen Verletzungen starb. Ein im Februar 2019 veröffentlichter Untersuchungsbericht der Nationalen Menschenrechtskommission befand, die Polizei habe sich an die geltenden Grundsätze zur Anwendung von Gewalt und Schusswaffen gehalten. Die Kommission sprach keine Empfehlungen aus, wie die Polizei ihre Einsätze bei öffentlichen Versammlungen überprüfen oder verbessern könnte, um künftig Verletzungen oder Tötungen von Personen zu vermeiden. Die Behörden erhoben 2018 und 2019 gegen mehr als 60 Flüchtlinge Anklage wegen Teilnahme oder Organisation "illegaler Demonstrationen", "Verbreitung falscher Informationen in der Absicht, eine regierungsfeindliche internationale Meinung zu erzeugen", "Anwendung von Gewalt gegen Behörden" und ähnlicher Vorwürfe. Ende 2019 waren die gerichtlichen Anhörungen in einem Verfahren gegen Mitglieder der Leitung des Flüchtlingslagers Kiziba noch nicht abgeschlossen.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Personen, deren Ansichten von den Behörden als Kritik an der Regierungspartei, der Regierung oder ihrer Politik eingestuft wurden, mussten mit Schikanen, Einschüchterung, strafrechtlicher Verfolgung und langen Gefängnisstrafen rechnen.
Ein Flüchtling aus dem Lager Kiziba verbüßte weiterhin eine Freiheitsstrafe von 15 Jahren, zu der er 2018 unter anderem wegen "Verbreitung falscher Informationen oder schädlicher Propaganda mit der Absicht, eine regierungsfeindliche internationale Meinung zu erzeugen" und "Anstiftung der Bevölkerung zu Aufruhr und Unruhen" verurteilt worden war. Hintergrund des Schuldspruchs war unter anderem, dass er Informationen an internationale Medien und Menschenrechtsgruppen weitergegeben hatte.
Im Dezember 2018 hatte ein Gericht die Regierungskritikerin Diane Rwigara und ihre Mutter Adeline Rwigara freigesprochen, die unter anderem wegen Anstiftung zum Aufruhr und wegen Dokumentenfälschung angeklagt worden waren. Nach Ansicht des Gerichts waren die Nachrichten in den sozialen Medien, die sich Adeline Rwigara und ihre Freund_innen und Familienangehörigen gesandt hatten, ein privater Meinungsaustausch und bewiesen keine Anstiftung zum Aufruhr.
Im April 2019 entschied der Oberste Gerichtshof, es stelle einen Verstoß gegen das Recht auf Meinungsfreiheit dar, wenn Personen wegen "Demütigung nationaler Führer und Beamter" und "öffentlicher Diffamierung religiöser Rituale" strafrechtlich verfolgt würden. Das Gericht bestätigte jedoch die gesetzlichen Bestimmungen, wonach "Beleidigung oder Verleumdung des Präsidenten" strafbar ist, weil "die Beleidigung des Präsidenten die öffentliche Ordnung" störe. Präsident Kagane erklärte dazu in einer Stellungnahme, dass dies eher als zivilrechtliches Vergehen denn als Straftat behandelt werden sollte.
Im Dezember 2019 bestätigte das Berufungsgericht die Schuldsprüche gegen zwei ehemalige hochrangige Armeeangehörige, die friedlich ihre Meinung geäußert hatten. Oberst Tom Byabagamba und Brigadegeneral a. D. Frank Rusagara waren im Jahr 2016 wegen "Anstiftung zum Aufruhr" und "Verunglimpfung des Ansehens der Regierung" schuldig gesprochen und zu 21 bzw. 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Wegen eines Formfehlers reduzierte das Berufungsgericht die Strafen auf 15 Jahre.
Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen
Bei der Festnahme und Inhaftierung von Straftatverdächtigen hielten sich die Behörden in einigen Fällen nicht an die gesetzlichen Vorgaben. Am 27. November 2019 wurde Jackie Umuhoza, die Tochter des im Exil lebenden Pastors Deo Nyirigira, in der Hauptstadt Kigali festgenommen. Die RIB teilte mit, man ermittle gegen sie wegen Verrats und Spionage. Dabei handelt es sich um Straftaten, die im allgemeinen Strafgesetzbuch enthalten sind. Die Inhaftierte hätte normalerweise nach fünf Tagen einem Richter vorgeführt werden müssen. Nach einer öffentlichen Überprüfung des Falls erklärte die RIB, Jackie Umuhoza werde auf Grundlage des Antiterrorgesetzes festgehalten. Dies lässt eine Inhaftierung von bis zu 90 Tagen ohne Anklage zu und schreibt vor, dass die Inhaftierung alle 15 Tage von der Staatsanwaltschaft genehmigt werden muss. Die RIB konnte jedoch nicht bestätigen, dass diese Überprüfung stattgefunden hatte.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Im April 2019 begnadigte der Präsident 367 Personen, die wegen Schwangerschaftsabbruchs, Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch oder Kindesmords inhaftiert worden waren. Im Oktober begnadigte er 52 wegen Schwangerschaftsabbruchs und Kindesmords inhaftierte Frauen. Die Begnadigungen erfolgten, nachdem 2018 das Strafgesetzbuch dahingehend reformiert worden war, dass bei Schwangerschaftsabbrüchen wegen Vergewaltigung, Inzest oder Zwangsheirat kein Gerichtsbeschluss mehr vorliegen muss. Bei Schwangerschaftsabbrüchen wegen gesundheitlicher Risiken für die Schwangere oder den Fötus ist jedoch weiterhin die Zustimmung zweier Ärzte erforderlich. Erfolgen Schwangerschaftsabbrüche aus anderen Gründen oder sind sie selbstverursacht, stellen sie weiterhin eine Straftat dar.
Völkerrechtliche Verbrechen
Die Bemühungen, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für den Völkermord im Jahr 1994 verantwortlich waren, dauerten 2019 an.
Im Januar wurde Vincent Murekezi im Zuge eines Gefangenenaustauschs von Malawi nach Kigali verlegt. Er war in Malawi wegen Betrugs verurteilt worden und hatte dort seine Strafe im Oktober verbüßt. In Ruanda blieb er in Haft, weil ein Gacaca-Gericht gegen ihn in Abwesenheit eine lebenslange Haftstrafe wegen Völkermords verhängt hatte. Gacaca-Gerichte waren von 2005 bis 2012 auf lokaler Ebene tätig, um den Völkermord aufzuarbeiten. Sie stützten sich auf traditionelle Verfahren der Konfliktlösung, konnten jedoch die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung fairer Verfahren nicht gewährleisten. Das Justizministerium bestätigte, dass Vincent Murekezi ein Wiederaufnahmeverfahren oder eine Freilassung gegen Kaution beantragen könne, dass er jedoch bis zur Entscheidung darüber in Gewahrsam bleibe.
Im April 2019 berief der französische Präsident Emmanuel Macron eine neunköpfige Kommission ein, die auf Grundlage offizieller Dokumente, die in Zusammenhang stehen mit dem Völkermord, die Rolle Frankreichs in Ruanda zwischen 1990 und 1994 evaluieren soll. Die Mitglieder der Kommission haben dabei auch Zugang zu bisher verschlossenen Archiven des Präsidenten, des diplomatischen Dienstes, des Militärs und der Geheimdienste und sollen ihren Bericht innerhalb von zwei Jahren vorlegen.
Im Dezember 2019 verurteilte ein belgisches Gericht Fabien Neretse wegen seiner Mitwirkung am Genozid zu einer Gefängnisstrafe von 25 Jahren. Er wurde wegen als Kriegsverbrechen eingestuften mehrfachen Mordes und versuchten Mordes sowie Völkermords schuldig gesprochen.
Veröffentlichungen von Amnesty International
Rwanda: Opposition politician found dead, 18 March 2019 (AFR 47/0063/2019)
Rwanda: Ensure justice for opposition politician stabbed to death, 24 September 2019
Rwanda: Investigate killings of refugees, 22 February 2019 (AFR 47/9866/2019)
Rwanda: Pastor’s daughter arbitrarily detained: Jackie Umuhoza, 20 December 2019 (AFR 47/1600/2019)