Amnesty Report Österreich 28. März 2023

Österreich 2022

Amnesty-Logo: Kerze umschlossen von Stacheldraht.

Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022

In einigen Bundesländern waren die Sozialhilfeleistungen nach wie vor unzureichend. Das Recht auf angemessenes Wohnen wurde nicht hinreichend anerkannt und umgesetzt. Frauen und Mädchen waren nicht ausreichend vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt. Die Pressefreiheit geriet zunehmend unter Druck, indem z. B. Journalist*innen an der Beobachtung von Protestveranstaltungen gehindert wurden. Die Regelungen für unbegleitete Minderjährige, die internationalen Schutz suchten, waren unzureichend. Nach wie vor führte die Polizei diskriminierende Personenkontrollen durch und wurde für unverhältnismäßige Gewaltanwendung nicht angemessen zur Verantwortung gezogen. Das Land erreichte seine Klimaziele nicht.

Recht auf soziale Sicherheit

Mit den im Juni 2022 verabschiedeten Änderungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wurde eine Härtefallklausel für Personen eingeführt, die nicht die österreichische Staatsangehörigkeit besitzen. Zudem wurde ermöglicht, dass Menschen, die in Notunterkünften für Frauen oder Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe leben, den vollen Bezug der Sozialhilfe erhalten. Ende des Jahres hatten vier Bundesländer die Änderungen teilweise umgesetzt, doch das Gesetz selbst verwehrte weiterhin zahlreichen Menschen den Zugang zu angemessenen Sozialleistungen.

Recht auf angemessenen Wohnraum

Im Jahr 2022 wurden einige Maßnahmen eingeführt, um Delogierungen (Zwangsräumungen) im Zusammenhang mit der Coronapandemie zu verhindern und Menschen zu unterstützen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Allerdings unternahmen die Behörden nichts, um eine nationale Wohnstrategie zu entwickeln und umzusetzen oder flächendeckende Angebote in der Wohnungslosenhilfe sicherzustellen. Mangelnde Informationen, hohe bürokratische Hürden, Sprachbarrieren und gesetzliche Regelungen, die zum Ausschluss der Anspruchsberechtigung sowohl von österreichischen als auch ausländischen Staatsangehörigen führten, bewirkten darüber hinaus, dass viele Menschen keinen Zugang zu den entsprechenden Unterstützungsleistungen erhielten.

Rechte von Frauen und Mädchen

Die Faktoren Gender und Mehrfachdiskriminierung wurden bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen nicht ausreichend berücksichtigt. So waren die meisten Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht geschlechtsspezifisch, sondern basierten auf den Bedürfnissen und Erfahrungen von Männern. Die vorgeschlagenen Reformen des Pflegesystems sorgten weder für eine faire Entlohnung noch für eine ausreichende soziale Sicherheit von Migrantinnen, die die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der häuslichen Pflege älterer Menschen stellten.

Im Laufe des Jahres 2022 wurden 28 Frauen durch geschlechtsspezifische Gewalt getötet. Es wurde kritisiert, dass es nicht genügend Plätze in Notunterkünften für Frauen gebe.

Im September übten Frauenrechtsorganisationen Kritik an den anhaltenden Hindernissen beim Zugang zu erschwinglichen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Die Pressefreiheit stand 2022 weiterhin unter Druck.

Bei mehreren Protesten in der Hauptstadt Wien hinderte die Polizei Journalist*innen an der Beobachtung und Berichterstattung bzw. schützte sie nicht angemessen vor Angriffen durch Demonstrierende. Bei der Räumung eines Protestcamps im April 2022 richtete die Polizei eine separate Pressezone für Journalist*innen ein, die so weit vom Camp entfernt war, dass eine angemessene Beobachtung der Ereignisse nicht möglich war.

Es wurden immer mehr strategische Gerichtsverfahren gegen öffentliche Beteiligung (SLAPP-Klagen) angestrengt, sowohl gegen Redakteur*innen als auch gegen Journalist*innen.

Im März 2022 wurde Julian H., der eine Schlüsselrolle bei der Erstellung des "Ibiza-Videos" gespielt hatte, in dem es um Korruption auf höchster Ebene ging, zu 41 Monaten Haft verurteilt. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Einhaltung seines Rechts auf ein faires Verfahren geäußert.

Das im Februar 2021 vorgeschlagene Informationsfreiheitsgesetz, das die Transparenz und das Vertrauen in die Politik und die Institutionen erhöhen sollte, lag weiter auf Eis.

Die EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein, weil die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower*innen noch immer nicht in nationales Recht umgesetzt worden war.

Rechte von Flüchtlingen und Migrant*innen

Im Februar 2022 befand das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass ein Asylsuchender aus Marokko von der Polizei widerrechtlich nach Slowenien zurückgeschoben worden war, und merkte an, dass solche rechtswidrigen Pushbacks "teilweise methodisch" Anwendung finden.

Bis Ende des Jahres 2022 gewährte Österreich gemäß den Bestimmungen der EU-Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes (Massenzustrom-Richtlinie) 90.000 ukrainischen Geflüchteten temporären Schutz.

Im September 2022 gab das Innenministerium bekannt, dass von Januar bis Juli 5.140 unbegleitete minderjährige Geflüchtete spurlos verschwunden seien und ihr Aufenthaltsort nicht mehr ermittelt werden könne. Zahlreiche NGOs und Politiker*innen forderten die sofortige Bestellung eines Vormunds für alle unbegleiteten Minderjährigen unmittelbar nach ihrer Ankunft und nicht erst nach der Zulassung zum Asylverfahren, da dieser Prozess oft mehrere Monate dauern kann.

Diskriminierung

Die Strafverfolgungsbehörden setzten weiterhin ohne eindeutige Rechtsgrundlage Technologien zur Gesichtserkennung ein, ungeachtet der potenziell diskriminierenden Auswirkungen auf geschlechtsspezifische und ethnische Minderheiten und der Beeinträchtigung der Rechte auf Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung.

Die Polizei führte nach wie vor diskriminierende Personenkontrollen (Racial Profiling) durch und wurde dafür nicht wirksam zur Rechenschaft gezogen.

Exzessive Gewaltanwendung

Vorwürfe über unverhältnismäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, wie etwa bei der Demonstration zum 1. Mai 2021 in Wien, wurden auch 2022 nicht wirksam untersucht. Eine von der Regierung für 2020 angekündigte unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle war bis Ende 2022 noch nicht eingerichtet worden. Straflosigkeit und mangelnde Rechenschaftspflicht wurden zudem dadurch verschärft, dass Polizist*innen nach wie vor keine individuelle Kennung trugen.

Klimakrise

Österreich erreichte 2022 seine Klimaziele nicht, insbesondere was die nachhaltige Reduzierung der Kohlenstoffemissionen anging. Ein aktives Klimaschutzgesetz gab es nicht.

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