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El Salvador 2022
- Hintergrund
- Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren
- Recht auf Leben und Sicherheit der Person
- Recht auf freie Meinungsäußerung
- Menschenrechtsverteidiger*innen
- Sexuelle und reproduktive Rechte
- Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
- Veröffentlichung von Amnesty International
Berichtszeitraum: 1. Januar 2022 bis 31. Dezember 2022
Das Parlament verhängte 2022 den Ausnahmezustand, was zu massiven Menschenrechtsverletzungen führte und die Rechtsstaatlichkeit untergrub. Außerdem wurde der Zugang zu öffentlichen Informationen immer stärker eingeschränkt. Die Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen hielten an. Das Parlament hatte immer noch kein Gesetz verabschiedet, um die Rechte derjenigen zu garantieren, die während des internen bewaffneten Konflikts (1980–1992) Opfer völkerrechtlicher Verbrechen geworden waren. Das absolute Abtreibungsverbot blieb bestehen.
Hintergrund
Im März 2022 verhängte das Parlament auf Antrag von Präsident Nayib Bukele den Ausnahmezustand und änderte zahlreiche Gesetze, um auf den drastischen Anstieg von Tötungsdelikten zu reagieren, die mutmaßlich von kriminellen Banden verübt wurden. Der Ausnahmezustand wurde um neun Monate verlängert und war Ende des Jahres noch in Kraft.
Im September bekundete der Präsident seine Absicht, erneut für das Amt zu kandidieren, obwohl Verfassungsrechtler*innen und Menschenrechtsorganisationen dies unter Hinweis darauf, dass die Verfassung keine unmittelbare Wiederwahl erlaubt, kritisierten.
Willkürliche Inhaftierungen und unfaire Gerichtsverfahren
Die Behörden nahmen während des Ausnahmezustands mehr als 60.000 Menschen fest. Allem Anschein nach waren die meisten Festnahmen willkürlich, da die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt waren, denen zufolge ein Haftbefehl vorliegen oder eine Person auf frischer Tat ertappt werden muss. In einigen Fällen erfolgte die Festnahme allein deshalb, weil eine Person tätowiert oder vorbestraft war oder in einer Gegend lebte, die von einer kriminellen Bande kontrolliert wurde.
Tausende Menschen wurden 2022 wahllos strafrechtlich verfolgt. Den meisten verweigerte man den Kontakt zu ihren Rechtsbeiständen, Akteneinsicht, Informationen über die Haftgründe sowie ihren Anspruch auf rechtliches Gehör bei der Anklageerhebung. Lokale Organisationen und Rechtsbeistände berichteten, dass Gerichtsverfahren teilweise Hunderte von Angeklagten gleichzeitig umfassten und im Schnelldurchgang erfolgten.
Ende November 2022 kündigte Präsident Bukele an, dass er als Zusatzmaßnahme zum Ausnahmezustand einige Gebiete und Städte militärisch abriegeln lassen werde. Allein im Dezember umstellten Angehörige des Militärs und der Polizei drei der bevölkerungsreichsten und ärmsten Städte des Landes und nahmen Hunderte Personen wegen Verdachts auf Bandenmitgliedschaft fest.
Das Parlament billigte straf- und verfahrensrechtliche Änderungen, die gegen das Völkerrecht verstoßen. Damit wurden Gerichtsverhandlungen und Urteilsverkündungen möglich, ohne dass die Angeklagten anwesend sein müssen. Zudem kann die Identität von Richter*innen geheim gehalten werden. Die Höchstdauer der Untersuchungshaft wurde abgeschafft.
Bis August 2022 hatten die Behörden 89 Prozent der Anträge auf Haftprüfung von Personen, die während des Ausnahmezustands inhaftiert worden waren, noch nicht bearbeitet.
Sowohl der Sicherheitsminister als auch der Vorsitzende der Regierungspartei erklärten ihre Absicht, den Ausnahmezustand auch 2023 weiter zu verlängern.
Recht auf Leben und Sicherheit der Person
Während des Ausnahmezustands waren in El Salvador 1.927 Personen pro 100.000 Einwohner*innen inhaftiert – die für diesen Zeitraum weltweit höchste Rate von Inhaftierten. Ende 2022 befanden sich mehr als 94.000 Menschen in Haft, obwohl die Gefängnisse im Februar 2021 lediglich für 30.864 Personen ausgelegt waren, wie aus offiziellen Daten von lokalen Organisationen hervorging.
Die extreme Überbelegung hatte Verletzungen des Rechts auf Leben und körperliche Unversehrtheit zur Folge. Sie führte zu schwerwiegenden sanitären Problemen und einem Mangel an Nahrungsmitteln und grundlegenden Hygieneartikeln, was die Gesundheit der Inhaftierten erheblich beeinträchtigte.
Es wurden sowohl Fälle dokumentiert, in denen Gefängnispersonal Inhaftierte misshandelte, als auch Fälle, in denen Mitglieder krimineller Banden für Folter einschließlich Prügel, Lynchjustiz und fortgesetzte Drohungen verantwortlich waren, ohne dass das Gefängnispersonal einschritt.
Berichten zufolge starben bis November 2022 mindestens 90 Männer in Gewahrsam. Zivilgesellschaftliche Organisationen teilten mit, dass zahlreiche Totenscheine Hinweise auf Folter enthielten und dass die Behörden in vielen Fällen die Familien der gestorbenen Häftlinge nicht offiziell über deren Tod informierten. Es gab keine öffentlich verfügbaren Hinweise darauf, dass die Todesfälle gründlich untersucht worden wären.
Recht auf freie Meinungsäußerung
Anfang 2022 bestätigte Amnesty International in Zusammenarbeit mit den Organisationen Access Now und Citizen Lab, dass die Mobiltelefone mehrerer Journalist*innen und Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen mit der Spionagesoftware Pegasus infiziert worden waren. Am Jahresende lagen keine Informationen vor, dass diesbezüglich sorgfältige Untersuchungen eingeleitet worden wären.
Im Februar 2022 billigte das Parlament Änderungen des Strafrechts, die es der Polizei erlauben, bei "erforderlichen" Einsätzen "verdeckte digitale Ermittler*innen" einzusetzen. Der Journalist*innenverband APES warnte, dass die vagen und widersprüchlichen Formulierungen des Gesetzes zur Legalisierung übergriffiger Überwachungsmaßnahmen führen könnten.
Im April wurden Änderungen des Strafgesetzbuchs eingeführt, die darauf abzielten, die Presse zum Schweigen zu bringen. Personen, die mit ihrer Berichterstattung über kriminelle Banden "Angst" oder "Panik" erzeugen, drohen demnach Haftstrafen von 10 bis 15 Jahren. APES dokumentierte 125 Angriffe auf Journalist*innen und berichtete über elf Reporter*innen, die sich angesichts von Drohungen in den Sozialen Medien und öffentlichen Anschuldigungen durch Regierungsmitglieder gezwungen sahen, das Land zu verlassen.
Lokale NGOs wiesen darauf hin, dass der Zugang zu öffentlichen Informationen immer schwieriger geworden sei und es an Transparenz des Regierungshandelns mangele.
Menschenrechtsverteidiger*innen
Während des Ausnahmezustands ging der Präsident mittels öffentlicher Stigmatisierungen und Angriffe auf Konfrontationskurs zu Menschenrechtsverteidiger*innen, internationalen Organisationen und unabhängigen Medien.
Im ersten Halbjahr 2022 verzeichnete die Menschenrechtsorganisation Mesa por el Derecho a Defender Derechos 61 Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen.
Sexuelle und reproduktive Rechte
Das absolute Abtreibungsverbot blieb bestehen. Mindestens zwei Frauen befanden sich 2022 wegen Anklagen im Zusammenhang mit unverschuldeten gynäkologischen Notfällen – sie erlitten Früh- bzw. Totgeburten – in Haft, sechs Frauen drohten Gerichtsverfahren. Im Juli verurteilte ein Gericht eine junge Frau wegen eines gynäkologischen Notfalls – in diesem Fall eine Fehlgeburt – zu 50 Jahren Gefängnis. Es war das erste Mal, dass die Höchststrafe verhängt wurde.
Recht auf Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung
Das Parlament hatte 2022 immer noch keine angemessenen gesetzlichen Regelungen verabschiedet, um die Rechte derjenigen Personen umfassend zu gewährleisten, die von völkerrechtlichen Verbrechen während des bewaffneten Konflikts (1980–1992) betroffen waren.
Bei der Strafverfolgung der mutmaßlich Verantwortlichen für die damals verübten Verbrechen gab es so gut wie keine Fortschritte.