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Rechte gegen Recht
Wollten die Amtsübernahme Joe Bidens verhindern: Demonstrant*innen beim Kapitolsturm (Washington DC, 6.01.2021)
© Kenny Holston /The New York Times / Redux / laif
Als US-Präsident und als Präsidentschaftskandidat hat Donald Trump den Rechtsstaat bereits beschädigt. Sollte er im November gewählt werden, droht noch größerer Schaden.
Aus Oakland von Arndt Peltner
"Ich hatte das Gefühl, dass das eine Falle ist." Mit "das" meint Samuel Hall die Vorfälle am 6. Januar 2021 in Washington DC. Der Sturm von Anhänger*innen Donald Trumps auf das Kapitol, in dem zu diesem Zeitpunkt der Ausgang der Präsidentenwahl vom November 2020 zertifiziert und der Machtverlust des ehemaligen Präsidenten offiziell bestätigt werden sollte.
Hall ist Gründer der Patriots For America Militia (PFA), einer Gruppe, die vor allem an der Grenze zwischen Texas und Mexiko aktiv ist. "Im Rückblick war es die beste Entscheidung für uns, nicht teilzunehmen. Ich glaube, es gab da einige Aufrührer, und etliche davon waren FBI-Leute. Ich denke, es war ein Komplott der Demokraten. Es lief genau so, wie sie es wollten. Republikaner und Konservative sollten das als wertvolle Lektion nehmen, um in diesem Wahljahr nicht wieder in so eine Situation zu kommen." Weil Hall wieder mal eine Verschwörung witterte, war seine PFA nicht in Washington, doch er sagt, er kenne viele, die dem Ruf Trumps gefolgt seien und an jenem Tag an der Demonstration unter dem Motto "Stop the Steal" und dem anschließenden Marsch und dem Sturm auf das Kapitol teilgenommen hätten.
Nation unter Schock
Am Ende dieses Tages stand eine Nation unter Schock, auch wenn sich der Sachschaden auf "nur" drei Millionen Dollar belief. Doch wurden 174 Polizist*innen zum Teil schwer verletzt, als sie sich gegen den vorrückenden Mob stellten. Mit Eisenstangen oder Stöcken geschlagen, mit Reizgas besprüht, von einer aufgestachelten Menge niedergetrampelt. Einer von ihnen starb am folgenden Tag. Vier weitere nahmen sich in den Folgemonaten das Leben. Eine Trump-Anhängerin wurde beim gewaltsamen Vordringen von einem Polizisten erschossen, zwei Männer und eine Frau, die ebenfalls am Marsch und der Stürmung teilgenommen hatten, erlitten tödliche Herzattacken und wurden überrannt.
Neben den neofaschistischen Proud Boys traten auch zahlreiche Mitglieder von Milizen in Erscheinung, darunter die Oath Keepers und die Three Percenters. Beide Organisationen agierten schon vor dem Sturm auf das Kapitol auf nationaler Ebene und wurden vom FBI als gewaltbereite rechtsradikale Milizen eingestuft. Erkennbar waren sie am 6. Januar 2021 an ihren Uniformen mit eindeutigen Abzeichen und militärischem Equipment. Nur die Schusswaffen fehlten. Stewart Rhodes, der Anführer der Oath Keepers, hatte seine Anhänger schon vorher gewarnt, dass selbst Messer mit einer Klinge über zehn Zentimeter in der Stadt verboten seien. "Zeigt sie nicht offen", lautete seine Anweisung. Doch unbewaffnet waren all jene nicht, die aus allen Teilen des Landes nach Washington kamen. Im Zuge der Ermittlungen nach dem Sturm auf das Kongressgebäude wurde deutlich, dass in der Umgebung der Hauptstadt Schusswaffen versteckt worden waren. Für alle Fälle.
Trump als "Messias-Figur"
Der Fernsehsender CNN berichtete im Mai 2022, dass das FBI Telefone und digitale Dateien führender Köpfe der Gruppe daraufhin ausgewertet habe, mit wem sie vor dem 6. Januar in Trumps Umgebung kommuniziert hatten. Die Ermittler fanden unter anderem heraus, dass Rhodes am Abend des 5. Januars eine namentlich nicht genannte Person im Weißen Haus angerufen und darum gebeten hatte, direkt mit dem Präsidenten zu sprechen. Er bat die Person am Telefon, Trump auszurichten, er solle Gruppen wie die Oath Keepers auffordern, sich "der Machtübergabe energisch zu widersetzen".
Anheizer der Massen: Donald Trump auf einer Leinwand (Washington DC, 6.01.2021)
© Kenny Holston /The New York Times / Redux / laif
Was da am 6. Januar 2021 vor dem Kapitol aufmarschierte, war ein seltsames Bündnis aus verschiedenen Gruppen, die Donald Trump als den wahren Führer nicht nur der republikanischen Partei, sondern auch der USA sahen. Darunter auch zahlreiche christliche Fundamentalist*innen und Vertreter*innen der radikalen Evangelikalen im Land. "Der Sturm auf das Kapitol hatte viel von religiöser Symbolik", meint Bradley Onishi, Professor für Religion an der University of San Francisco. "Man konnte in der Menge christliche Fahnen sehen, es gab Leute, die Transparente hochhielten, auf denen stand: Trump ist mein Präsident, Jesus ist mein Retter. Sie alle sahen sich nicht als Gesetzesbrecher oder Randalierer, sondern als Patrioten und als gottesfürchtige Krieger, die einem Ruf ihres Schöpfers folgten, etwas zu tun, was er von ihnen wollte."
Milizen, Gläubige, radikalisierte Trump-Anhänger*innen, sie alle glaubten an das, was Donald Trump schon Monate vor dem Wahltag vermittelt hatte. Wenn er die Wahl verlieren sollte, dann sei es nicht mit rechten Dingen zugegangen. Es kam nicht überraschend, dass Trump seine Niederlage nicht akzeptierte und seine Unterstützer*innen, gerade in den Bundesstaaten Georgia, Arizona und Wisconsin, wo die Wahlergebnisse knapp ausgefallen waren, zum Handeln aufrief.
Abstruse legale Schachzüge
Die Gerichte in den USA wurden in den Wochen nach der Wahl mit zum Teil dubiosen Klagen überzogen, die Republikaner ließen in einigen Bundesstaaten, die sie an Joe Biden verloren hatten, alternative Wahlmänner aufstellen, die am 6. Januar in Washington für Donald Trump stimmen sollten. Trump selbst forderte den obersten Wahlaufseher im Bundesstaat Georgia in einem Telefonat auf, 11.000 Stimmen zu finden, um doch noch einen Sieg in diesem Bundesstaat einzufahren und somit die Wahl zu gewinnen.
Zwischen der Wahl am 3. November 2020 und dem 6. Januar 2021 versuchten Trump und seine Leute, die Niederlage mit allen denkbaren und abstrusen legalen Schachzügen noch abzuwenden. Als das nichts half, ließ Trump seine Gefolgschaft in Washington aufmarschieren. Am Ende jenes gewaltvollen Mittwochs waren die USA in ihren Grundfesten erschüttert. Der Aufschrei war gewaltig. Große Teile der republikanischen Partei wandten sich von Trump ab, darunter einstige enge Verbündete wie die Senatoren Lindsey Graham und Mitch McConnell sowie der Sprecher der Republikaner im Abgeordnetenhaus, Kevin McCarthy. Zumindest in den ersten Tagen.
Doch die Ausgrenzung von Trump nach dem von ihm angeheizten Sturm auf das Kapitol dauerte nicht lange. Zuerst wurden die Vorgänge vom 6. Januar auf einschlägigen Webseiten, in Online-Netzwerken, in Podcasts von Rechtsaußen und auf Fernsehsendern wie One America News (OAN), Newsmax und Fox News neu bewertet. Als Zuschauer war man erstaunt, wie vor dem eigenen Auge Geschichtsfälschung betrieben wurde – und das so kurz nach den Bildern, die live im Fernsehen übertragen worden waren. Nun aber wurden die Kongressstürmer*innen als zivile und friedliche Besucher*innen dargestellt, als gewalttätig und aufrührerisch galten plötzlich FBI-Agent*innen und Vertreter*innen offizieller Stellen. Oder, wie es Samuel Hall erklärte, der Sturm aufs Kapitol wurde umdefiniert zu einem von der Demokratischen Partei und Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, geplanten "Inside-Job", um Präsident Donald Trump zu diskreditieren.
Trumps "politische Gefangene"
Nach ein paar Monaten im Abseits und vor dem Hintergrund, dass nahezu 80 Prozent der republikanischen Wähler*innen den Sieg Bidens anzweifelten, trat Trump immer selbstbewusster auf. Bei allen öffentlichen Auftritten, in allen Interviews, die er vor allem rechten und rechtsextremen Medien gab, sprach er davon, dass die Wahl geklaut, gefälscht, manipuliert worden sei. Und seine Partei gliederte sich in den Folgemonaten wieder hinter ihm ein.
Berauscht von der eigenen Macht: Trumps Anhänger*innen dringen am 6. Januar 2021 ins Kapitol ein.
© Saul Loeb / AFP / Getty Images
Trump begann frühzeitig mit seinem Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im Herbst 2024 und ging nun auch auf all jene ein, die am 6. Januar gewaltsam das Wahlergebnis ändern wollten: Das seien "politische Gefangene" oder "Geiseln". Er ließ auf seinen Wahlkampfveranstaltungen die Nationalhymne abspielen, die von Inhaftierten gesungen wurde. In Interviews wurde er gefragt, ob er all jene begnadigen würde, die wegen des Angriffs aufs Kapitol verurteilt worden waren. "Ja, absolut". Alle? "Ja, klar!". Anhänger*innen von Verschwörungstheorien, radikale Evangelikale, Milizangehörige und Extremist*innen, die sogar einen Galgen für den "Verräter", den ehemaligen Vizepräsidenten Mike Pence, mitgebracht hatten. 1.457 Personen aus allen 50 Bundesstaaten waren nach dem Sturm aufs Kapitol angeklagt worden. Anklage erhoben wurde für eine ganze Liste an Straftaten – darunter unerlaubtes Betreten von Regierungsgebäuden, Sachbeschädigung, Widerstand gegen die Staatsgewalt, Tragen von tödlichen Waffen bis hin zu Körperverletzung. 835 Männer und Frauen erklärten sich schuldig, um so eine geringere Strafe zu erhalten. Dennoch wurden 134 von ihnen zu langen Haftstrafen verurteilt. Hinzu kamen Prozesse gegen weitere 207 Anhänger*innen von Donald Trump, die sich nicht schuldig erklärt hatten.
"Diktator, zumindest am ersten Tag"
Mit der Neubewertung der Vorfälle am 6. Januar, der angekündigten Massenbegnadigung von Straftäter*innen, aber auch durch seine Wutausbrüche wurde klar, was Donald Trump von den Strafverfolgungsbehörden hält, wenn sie gegen ihn und seine Anhänger*innen ermitteln. Alles "Fake", alles eine von seinem politischen Gegner initiierte Kampagne. Biden habe das Justizministerium in Washington politisiert, um unliebsame Konkurrenz aus dem Weg zu schaffen.
Trump teilt die Welt in Gut und Böse ein. Er, der von Gott Gesandte, kämpft angeblich den guten Kampf gegen die bösen "kommunistischen und faschistischen" Demokraten und den "Deep State", eine Art staatlicher Verschwörung. Auf seinen Veranstaltungen stellt er sich als Opfer dar: "Sie haben eine Hexenjagd nach der anderen gestartet, um zu versuchen, unsere Bewegung zu stoppen, um den Willen des amerikanischen Volkes zu verhindern. Am Ende sind sie nicht hinter mir her. Sie sind hinter Euch her, ich stehe ihnen dabei nur im Weg."
Trump will mehr Macht. Das heißt für ihn, dass Ministerien und Bundesbehörden seine politischen Ideen umzusetzen und seinen Anweisungen kritiklos zu folgen haben. 4.000 politische Ämter werden beim Antritt eines US-Präsidenten neu besetzt, und diesmal will Trump es richtig machen. Mit seiner Aussage, er werde ein Diktator sein, zumindest am ersten Tag seiner nächsten Amtszeit, macht er auch deutlich, dass er das Justizministerium im Kampf gegen seine Gegner*innen einsetzen will. Er hat angekündigt, im Falle eines Wahlsiegs das Justizministerium und die Strafverfolgungsbehörden zu "reinigen". "Akteure, die sich gegen die Menschenrechte stellen, warten schon auf eine zweite Präsidentschaft Trumps, um ihre weitreichenden und verheerenden Ziele umzusetzen", sagt Tarah Demant, Programmdirektorin von Amnesty International USA.
Vorstellbare Szenarien
Die konservative Rechtsorganisation The Federalist Society, die ganz auf Trump-Kurs ist, hat bereits eine Liste mit Namen loyaler Jurist*innen erstellt, die dann zum Einsatz kommen könnten. Bundesrichter*innen und -staatsanwält*innen sollen dabei helfen, Trumps Ziele und Vorstellungen umzusetzen. Ohne Probleme sollen dann die Grenzmauern fertiggestellt, Migrant*innen ausgewiesen, LGBTI-Rechte und weitere Bürger-, Arbeits- und Umweltrechte beschnitten und gestrichen werden.
Je nachdem, wie die Wahl ausgeht, variiert das Szenario. Falls Trump gewinnen sollte, aber seine Republikanische Partei im Kongress keine Mehrheit erhält, könnte es zu Machtkämpfen zwischen dem republikanischen Präsidenten und dem demokratisch geführten Kongress kommen. In diesem Fall müssten Gerichte entscheiden. Wenn die Republikane-r*innen aber die Mehrheit im Abgeordnetenhaus und im Senat gewinnen, könnte Trump fast unbeschränkt regieren. Neue Gesetze würden durchgedrückt, erkämpfte Rechte rückgängig gemacht. Alle öffentlichen Gelder stünden auf dem Prüfstand. Getreue Trumps sprechen schon heute offen davon, staatliche Fördermaßnahmen insbesondere in demokratisch regierten Bundesstaaten auszusetzen oder einzugrenzen, darunter Programme für Familienplanung und gegen die Armutsbekämpfung. Selbst die Lehrpläne der Schulen stehen infrage – junge Amerikaner*innen sollen dann zu vorbildlichen Patriot*innen erzogen werden.
Amerika ist tief und unüberbrückbar gespalten. Im Wahljahr 2024 machen sich viele Beobachter*innen deshalb ernste Sorgen, was auf sie zukommt, falls Trump die Wahl gewinnen sollte. Nach dem Attentat vom 13. Juli 2024, bei dem Trump am Ohr verletzt wurde, und dem Rückzug Joe Bidens als Kandidat der Demokratischen Partei, sind Trumps Chancen besser denn je.
Doch auch wenn er abermals verliert, besteht Anlass zur Sorge. Trump lässt keinen Zweifel daran, dass er im Fall seiner Niederlage erneut Manipulationsvorwürfe gegen die Demokratische Partei und den "Deep State" erheben wird. Damit bereitet er den Boden für eine Eskalation, in der die gewaltsame Stürmung des Kapitols nur als Generalprobe für ein anderes, womöglich weitaus schlimmeres Szenario erscheinen könnte. Die einzige Hoffnung scheint da zu sein, dass Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen sich bereits gemeinsam in einem Netzwerk auf die drohenden Gefahren vorbereiten, wie Tarah Demant erklärt: "Wir sind viel besser vorbereitet als beim letzten Mal."
Arndt Peltner ist freier USA-Korrespondent und lebt in Oakland/Kalifornien. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.