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Hier Aleppo, dort Brüssel

Szene aus der Graphic Novel "Penelopes zwei Leben" der Comiczeichnerin Judith Vanistendael.
© Reprodukt Verlag
In "Penelopes zwei Leben" schildert Judith Vanistendael die inneren Widersprüche einer Ärztin zwischen ihren Einsätzen im syrischen Bürgerkrieg und ihrem Familienleben in Belgien.
Von Wera Reusch
Wenn du 18 bist, bekommst du die Kette", verspricht Penelope ihrer 14-jährigen Tochter. Die Ärztin ohne Grenzen, die das Erbstück immer um den Hals trägt, ist auf Heimaturlaub bei ihrer Familie in Brüssel. Sie versucht, sich in die Nöte ihrer pubertierenden Tochter einzufühlen, doch das will nicht recht gelingen, denn sie hat ständig ein gleichaltriges syrisches Mädchen vor Augen, das ihr bei einer Notoperation in Aleppo unter den Händen wegstarb.
Zu Beginn ihrer Graphic Novel "Penelopes zwei Leben" hat Judith Vanistendael diese beiden gegensätzlichen Welten parallel gestellt: Oben liegt Tochter Helena in einem kuscheligen rosa Pyjama im Bett, unten das blutende Mädchen auf einer Bahre. "Normalerweise halte ich die beiden Welten streng getrennt. Ich bin Chirurgin … Mein Beruf ist Schneiden", stellt Penelope in einer Szene fest. Doch nach 32 Einsätzen in zehn Jahren ist sie traumatisiert und benötigt therapeutische Unterstützung.
Die belgische Comiczeichnerin und Illustratorin vermittelt diese Diskrepanzen auch in der Farbgebung ihrer Aquarelle: ein heiles Rosa, ein beunruhigendes Blutrot und ein kühles Blaugrün, das für Penelopes Beruf und Berufung steht. Die alltäglichen Familienszenen offenbaren auch einen Rollenkonflikt: Denn während in Homers "Odyssee" Penelope treu auf ihren herumirrenden Gatten wartet, ist es hier Penelope, die ständig unterwegs ist, während ihr Mann die Tochter großzieht.
Würdigung von Helfer_innen
Und obwohl die Ärztin für ihren Einsatz bewundert wird, mangelt es nicht an subtilen Vorwürfen: "All I want for Xmas ist youuuuu", singt ihre Tochter. "Wird es nicht Zeit aufzuhören?", fragt ihr Mann. "Bleib hier", bittet ihre Mutter. Kein Mann müsse sich für seine Abwesenheit rechtfertigen, stellt Penelope in einer Therapiesitzung wütend fest: "Mein Opa, der war IMMER weg. Die Welt retten! Er hat verdammt noch mal einen Ehrendoktortitel dafür bekommen!"
Judith Vanistendael wirft in "Penelopes zwei Leben" viele schwierige Fragen auf und überlässt es uns, sie zu beantworten. Ihre Sympathie für das Engagement ihrer Protagonistin ist jedoch unverkennbar. Die Comiczeichnerin hat einen Arzt befragt, der in Syrien tätig ist. Zudem besuchte sie 2017 das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos und sprach mit einer Ärztin, die ihr die katastrophale Situation vor Ort schilderte. Als Anhang zu "Penelopes zwei Leben" ist die grafische Reportage abgedruckt, die Vanistendael nach dem Besuch Morias veröffentlichte.
Das Anliegen von Vanistendaels eindrucksvoller Graphic Novel ist es, diejenigen zu würdigen, die als Freiwillige in Kriegs- und Krisengebieten arbeiten und dafür einen hohen persönlichen Preis bezahlen – den Verzicht auf ein Familienleben. Die Eingangssequenz des Buches verrät, dass sich Penelope nach ihrem Heimaturlaub ganz für Aleppo entschieden hat und ihre Familie in Brüssel vier Jahre lang nicht mehr sehen wird: Ihre Tochter erhält die versprochene Kette an ihrem 18. Geburtstag mit der Post...
Wera Reusch ist freie Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Judith Vanistendael: Penelopes zwei Leben. Aus dem Niederländischen von Andrea Kluitmann. Reprodukt Verlag, Berlin 2021, 176 Seiten, 20 Euro
WEITERE BUCHTIPPS
von Wera Reusch
"Es ist momentan schlecht um die Menschenrechte und die internationale Gerichtsbarkeit bestellt", lautet das ernüchternde Fazit des neuen Buchs von Carla Ponte. Bereits als Chefanklägerin der Tribunale von Jugoslawien und Ruanda von 1999 bis 2007 musste sie die Erfahrung machen, dass die Einhaltung des internationalen Rechts vom politischen Willen der mächtigsten Staaten abhing. Dennoch betrachtet sie diese Gerichtshöfe als "Meilenstein im Völkerrecht", denn mit Slobodan Milošević musste sich erstmals in der Geschichte ein Staatsoberhaupt vor einem internationalen Tribunal verantworten. Regelrecht wütend ist Del Ponte jedoch, was Syrien betrifft: 2012 wurde sie Mitglied einer UNO-Kommission, die Kriegsverbrechen untersuchen soll, die dort verübt wurden. Was sie über dieses Gremium schreibt, dessen Arbeit systematisch blockiert und ignoriert wurde, ist erschreckend. Eine Liste mit 93 Namen mutmaßlicher Täter blieb ebenso folgenlos wie Recherchen über Giftgasangriffe. Völlig entnervt verließ die streitbare Juristin 2017 die "Alibi-Veranstaltung". Ihr Buch ist der Versuch, einer breiteren Öffentlichkeit die "Grauzone zwischen Recht und Politik" zu schildern, die Ermittlungen und Anklagen verhindert. Zugleich ist es ein eindringlicher Appell an die Staaten, den Internationalen Strafgerichtshof zu unterstützen, den "es sonst vielleicht nicht mehr lange geben wird".
Carla Del Ponte: Ich bin keine Heldin. Mein langer Kampf für Gerechtigkeit. Westend Verlag, Frankfurt
am Main 2021, 176 Seiten, 18 Euro
von Wera Reusch
Patrícia Melo ist eine versierte Krimiautorin. In ihrem Roman "Gestapelte Frauen" nutzt sie das Genre, um auf die massenhaften Femizide in Brasilien aufmerksam zu machen. Die Geschichte einer jungen Anwältin aus São Paulo, die in den Bundesstaat Acre im Amazonasgebiet reist, um dort Prozesse gegen Männer zu beobachten, die Frauen ermordet haben, ist mehr als ein Krimi. Sie ist zugleich eine akribische Dokumentation und eine wütende Anklage. Die Ich-Erzählerin erlebt, wie drei junge weiße Männer aus gutem Hause, die ein 14-jähriges indigenes Mädchen vergewaltigt, gefoltert und ermordet haben, freigesprochen werden. Unermüdlich notiert sie Details unzähliger weiterer Femizide in einem "Heft mit stapelweise toten Frauen", entwickelt Rachefantasien und setzt sich mit ihrer eigenen verdrängten Familiengeschichte auseinander. Zu Hilfe kommen ihr Drogen und Rituale der Indigenen. Schonungslos schildert Patrícia Melo die Gewalt der Männer und die systematische Frauenverachtung. "Nichts ist einfacher zu erlernen als der Frauenhass", konstatiert die Anwältin. "An Lehrern herrscht kein Mangel. Der Vater macht es vor. Der Staat macht es vor. Das Rechtssystem macht es vor. Der Markt. Die Kultur. Die Werbung. Die Pornografie." Das Thema Femizide in einem Krimi zu verhandeln, ist heikel. Melo stellt es jedoch als das dar, was es ist: ein gesellschaftspolitischer Skandal.
Patrícia Melo: Gestapelte Frauen. Aus dem Portugiesischen von Barbara Mesquita. Unionsverlag, Zürich 2021, 256 Seiten, 22 Euro
von Wera Reusch
Wirtschaft und Menschenrechte waren schon ein Thema, "als ich mich als Jugendlicher Anfang der 1980er Jahre bei Amnesty International engagierte", stellt Caspar Dohmen fest. 40 Jahre später, im Juni 2021, verabschiedete der Bundestag ein Lieferkettengesetz, das Amnesty als "lückenhaft" bewertet: "Es wurde die Chance vertan, Betroffene von Menschenrechtsverletzungen in ihren Rechten zu stärken." Das Thema Wirtschaft und Menschenrechte ist eines der dicksten aller dicken Bretter, das macht Dohmens Buch "Lieferketten" deutlich. Die 50 weltweit größten Konzerne lassen mittlerweile 94 Prozent der Arbeit in Lieferketten erledigen und leisten damit oft Menschenrechtsverletzungen Vorschub. Der Wirtschaftsjournalist spricht von einem "Freifahrschein für Firmen". Auch hierzulande: "Bei 23 der 30 im DAX vertretenen Unternehmen gab es innerhalb von zehn Jahren Vorwürfe wegen Menschenrechtsvergehen." Dohmens sehr gut lesbares Buch enthält neben einer klaren Analyse auch Vorschläge, wie eine fairere globale Arbeitsteilung erreicht werden könnte. Das Lieferkettengesetz sei nur ein erster Schritt, schrieb er nach dessen Verabschiedung in der Süddeutschen Zeitung: "Mutig wäre es gewesen, wenn das Gesetz selbst – wie ursprünglich vorgesehen – eine zivilrechtliche Haftung begründet hätte, so wie in Frankreich. Aber die Idee wurde auf massiven Druck großer Teile der Wirtschaft verworfen." Ein sehr dickes Brett, wie gesagt.
Caspar Dohmen: Lieferketten. Risiken globaler Arbeitsteilung für Mensch und Natur. Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2021, 176 Seiten, 18 Euro
von Marlene Zöhrer
Freiheit – was sich hinter diesem kleinen Wort verbirgt, wie wertvoll ein Leben in Freiheit ist, was es heißt, ein freier Mensch zu sein, all das macht dieses schmale, klar gestaltete und gelungene Sachbuch deutlich. Fleur Daugeys biografische Erzählung über eine historische Figur, ergänzt um Faktenwissen und Worterläuterungen, vermittelt, was Sklaverei bedeutet. Und Olivier Charpentier macht in seinen Illustrationen Unmenschlichkeit, Leid aber auch Mut und Solidarität sichtbar. Im Mittelpunkt des Buches steht Harriet Tubman, die um 1820 als Araminta Ross auf einer Plantage in Maryland geboren wurde. Als junge Frau befreite sie unter Lebensgefahr erst sich selbst und später unzählige andere Sklavinnen und Sklaven in den Südstaaten der USA: "Ich kann mich nicht mehr mit diesem Leben in Knechtschaft abfinden. Die Idee der Freiheit hat von mir Besitz ergriffen. Natürlich sind die Gefahren riesig, natürlich würde ich mein Leben riskieren, wenn ich fliehe", heißt es an einer Stelle. "Doch sobald ich mein Bündel auf der Schulter trage und den ersten Schritt aus der Plantage heraus tue, werde ich frei sein. Ein Mensch, frei. Das ist das Wichtigste." Eine eindrucksvolle und bewegende Geschichte über die Sklaverei, ihre Abschaffung und ihre Nachwirkungen.
Fleur Daugey: Freiheit! Harriet Tubman, eine amerikanische Heldin. Mit Illustrationen von Olivier Charpentier. Aus dem Französischen von Edmund Jacoby. Jacoby & Stuart, Berlin 2021, 48 Seiten, 16 Euro, ab 12 Jahren