Amnesty Journal 01. Februar 2019

"Man hält uns für Agenten"

Porträt einer Frau die lächelt

Die Täter bestrafen. Osai Ojigho im Dezember 2018 in Berlin

Die Menschenrechtsanwältin und Aktivistin Osai Ojigho hat bei internationalen Organisationen in den Bereichen internationale Justiz, Straflosigkeit und Gender-Rechte gearbeitet. Seit 2017 ist sie Direktorin der nigerianischen Amnesty-Sektion.

Interview: Ralf Rebmann

 

Im November 2018 wurden in Abuja Dutzende Mitglieder einer religiösen Gemeinschaft bei einem friedlichen Protest vom Militär erschossen. Werden diese Taten aufgearbeitet?

Nein, bis heute hat niemand Verantwortung dafür übernommen. Es ist absolut inakzeptabel, dass die Armee auf Menschen schießt, die friedlich ihre Rechte ausüben. Nach dem Vorfall beschuldigte das Militär sogar die Protestierenden, sie hätten Steine geworfen und vorgehabt, die Waffen der Soldaten zu stehlen. Die Mitglieder der schiitischen Bewegung IMN (Islamic Movement of Nigeria) protestierten, weil ihr religiöser Führer Ibrahim Zakzaky seit 2015 in Haft sitzt – obwohl ein Gericht bereits 2016 seine Freilassung angeordnet hat. Die Regierung setzt das Gerichtsurteil allerdings nicht um.

Wieso zögert die Regierung, den Fall zu untersuchen?

Das Militär in Nigeria genießt sehr viel Respekt, auch innerhalb der Bevölkerung. Die Soldaten bekämpfen schließlich Boko Haram und riskieren dafür ihr Leben. Die Behörden sind aus diesem Grund zögerlich, gegen Angehörige der Armee vorzugehen, wenn diese Gesetze brechen. Außerdem ist die IMN bei der Regierung nicht sonderlich beliebt, sie wird als Sicherheitsrisiko betrachtet. Auch deshalb hält die Regierung Ibrahim Zakzaky trotz Gerichtsbeschluss weiter in Haft.

Kritik am fehlenden Willen der nigerianischen Regierung zur Aufarbeitung gibt es schon länger. Hat diese bisher nichts bewirkt?

Die Regierung kennt unsere Forderungen, allerdings handelt sie offensichtlich nach eigenen Prioritäten. Positiv ist, dass sowohl die Justiz als auch die Polizei reformiert werden sollen. Zugleich gibt es kaum ein Land auf der Welt, in dem so viele Menschen ohne Gerichtsverfahren in Haft sitzen. Die Justiz arbeitet mit veralteten Methoden, die Gerichte sind nicht ausreichend vernetzt. Die Regierung muss mehr investieren, damit Gerechtigkeit für die Bevölkerung hergestellt werden kann. Sonst entsteht der Eindruck, bestimmte Personen stünden über dem Gesetz und Korruption lohne sich.

Welches Gewicht hat Amnesty in Ihrem Land?

Amnesty ist eine globale Organisation, die von Staaten weltweit anerkannt wird. Das hilft uns sehr, mit der Regierung in Kontakt zu treten und eine Arbeitsbeziehung aufzubauen. Allerdings versteht nicht jeder, was wir tun: Manche denken, wir seien Oppositionelle, weil wir ständig kritisieren. Oder ausländische Agenten, weil wir eine internationale Organisation sind. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass unsere Quellen, Informationen und Berichte immer absolut korrekt sind und wir der Regierung Zeit geben, darauf zu reagieren. Nur so können wir uns gegen diese Vorwürfe behaupten.

Mitte Februar finden in Nigeria Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Was fordern Sie von der kommenden Regierung?

Die neue Regierung muss sicherstellen, dass Aufarbeitung eine Schlüsselrolle spielt. Die derzeitige Eskalation der Gewalt ist ein Resultat von Straflosigkeit. Die nigerianische Bevölkerung hat das Gefühl, dass niemand für die Taten verantwortlich gemacht wird. Zweitens muss die Justiz gestärkt werden. Und schließlich muss die Meinungs- und Pressefreiheit besser geschützt werden. In den vergangenen Monaten wurden etliche Journalisten und Blogger inhaftiert, nur weil sie ihre Arbeit machten.

 

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