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Erneut betrogen
Wegen des zunehmenden Interesses an Flüssiggas wird der Ausbau von Pipelines in Kanada vorangetrieben. Dabei werden die Rechte und Interessen indigener Gemeinschaften verletzt.
Von Marianne Kersten
Wir werden niemals aufhören, unser Land zu verteidigen, so wie es unsere Vorfahren seit Tausenden von Jahren getan haben", sagen Mitglieder der indigenen Gidim’ten, die den Zugang zu ihrem traditionellen Hoheitsgebiet bewachen, um ein gewaltsames Vordringen von Polizei- und Sicherheitskräften zu verhindern.
Seit mehr als einem Jahrzehnt kämpfen die sogenannten Hereditary Chiefs der Wet’suwet’en Nation, zu der auch die Gidimt’en gehören, in der kanadischen Provinz British Columbia gegen ein Pipeline-Projekt des kanadischen Unternehmens TC Energy. Bis Ende des Jahres soll die 760 Kilometer lange Pipeline Coastal GasLink fertig sein, die quer durch ihr 22.000 Quadratkilometer großes, ökologisch einzigartiges Gebiet bis zum LNG-Terminal in Kitimat verläuft.
Starke Sicherheitsbedenken
Auch in anderen Regionen Kanadas wird der Ausbau von Flüssiggas-Pipelines vielfach gegen den Widerstand indigener Gemeinschaften vorangetrieben. So äußern Mitglieder der Mi’kmaq Nation erhebliche Sicherheitsbedenken angesichts des geplanten LNG-Terminals von Pieridae Energy Limited auf ihrem traditionellen Territorium.
Während Deutschland seine Energiekrise auch mit Flüssiggas aus Kanada überwinden will, bedeutet der Pipeline-Ausbau für die dort lebenden indigenen Gemeinschaften, die ohnehin stark unter den Folgen der kolonialen Geschichte leiden, eine erneute Verletzung ihrer Rechte und eine Bedrohung ihrer Kultur, Identität und Lebensweise. Immer wieder sind indigene Gemeinschaften wie die Wet’suwet’en gezwungen, in oft jahrelangen Prozessen für die Durchsetzung ihrer Landrechte zu kämpfen.
Die nach dem Erbrecht legitimierten Chiefs der Wet’suwet’en sind die traditionellen Autoritäten des Landes, auf dem sie seit Urzeiten leben und das sie niemals abgetreten haben. Dies hat auch der Oberste Gerichtshof Kanadas in einem bahnbrechenden Urteil im Jahr 1997 bestätigt. Zwar haben 20 der gewählten Chiefs der Wet’suwet’en Nutzungsvereinbarungen mit Coastal GasLink unterzeichnet. Allerdings sind sie nach dem noch aus der Kolonialzeit stammenden Verwaltungssystem nur für ihre Reservate entlang der Pipelineroute verantwortlich und können nicht über das traditionelle Land der Wet’suwet’en entscheiden, das den Hereditary Chiefs untersteht.
Gewaltsame Polizeieinsätze
Seit 2019 kam es auf dem traditionellen Territorium der Wet’suwet’en zu drei großen Razzien durch schwer bewaffnete Polizeikräfte der Royal Canadian Mounted Police. Friedlich protestierende Wet’suwet’en und Unterstützer*innen wurden gewaltsam von ihrem Land verdrängt, 74 Personen wurden festgenommen und inhaftiert. Wegen Missachtung einer richterlichen Verfügung aus dem Jahr 2019, nach der es untersagt ist, den Zugang zu den Baustellen auf ihrem Land zu blockieren, wurden 19 Landverteidiger*innen angeklagt. Fünf von ihnen wurden im Dezember 2022 zu Geldstrafen und gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Im Februar 2021 wandten sich Mitglieder der Gidimt’en und Unterstützer*innen in einem Schreiben an die UNO. Darin heißt es: "Die nationale Polizei (…) durchbrach Checkpoints, war mit militärischen Angriffswaffen, Hubschraubern und Hundeeinheiten ausgerüstet, drang zusammen mit Sicherheitskräften von Coastal GasLink in Häuser ein und entweihte zeremonielle Räume, (…) blockierte sowohl die Bewegung und den Zugang von Mitgliedern der Gemeinschaft, der Medien und von Beobachter*innen sowie die Zufuhr von Lebensmitteln und Medikamenten." Im Einklang mit der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker (UNDRIP) fordern die Landverteidiger*innen von Kanada und British Columbia den Abzug aller Polizei- und Sicherheitskräfte aus ihrem Territorium, einen sofortigen Baustopp und die Aussetzung aller Genehmigungen für den Bau der Pipeline.
Eine der letzten Trinkwasserquellen
Trotz landesweiter und internationaler Proteste und aller Bedenken der Hereditary Chiefs begann Coastal GasLink im September 2022 mit den Bohrungen unter dem Wedzin Kwa (Morice River) – ein Lachslaichgebiet und eine der letzten verbliebenen sauberen Trinkwasserquellen in ihrem Territorium. Nach kanadischen Medienberichten verstieß das Unternehmen in der Vergangenheit wiederholt gegen die mit der Umweltbehörde von British Columbia vereinbarten Auflagen.
Mit der Genehmigung und Fortsetzung des Pipelinebaus verletzen die Regierungen von British Columbia und Kanada nicht nur die Rechte der Wet’suwet’en sondern auch die inzwischen von ihren Parlamenten verabschiedeten Gesetze zur Umsetzung der UN-Erklärung über die Rechte der indigenen Völker. Sie ignorieren außerdem die wiederholt geäußerte Sorge des UN-Ausschusses für die Beseitigung der Rassendiskriminierung über die anhaltende Gewalt, Kriminalisierung, Überwachung und Souveränitätsverletzung auf traditionellem Territorium.
"Warum werden die Wet’suwet’en, die indigenen Völker in einem demokratischen Land wie Kanada, das sich auf der Weltbühne auf seinen Ruf als respektvolles und sicheres Land stützt, mit solcher Gewalt angegriffen? Warum sind wir weniger 'menschlich' und warum müssen wir uns gegen solche Übergriffe wehren? Warum werden wir auf unserem eigenen, nie abgetretenen Land kriminalisiert, weil wir die Rechte der Menschen, der Indigenen schützen und unseren Teil dazu beitragen, das Recht auf sauberes Wasser, sichere Lebensmittel und unsere Existenz zu schützen?", fragt Na’Moks, Sprecher der Wet’suwet’en Hereditary Chiefs. Er betont: "Wir werden uns weiterhin mit allen Mitteln gegen diese Pipeline wehren, denn es ist unser traditionelles Recht."
Die Autorin ist Mitglied der Themenkoordinationsgruppe Menschenrechte und indigene Völker von Amnesty Deutschland.