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Homosexualität in Kamerun: Dieser Film kann Leben retten

Appolain Siewe, 54, ist in Kamerun geboren und kam 1997 für ein Filmstudium nach Berlin
© Einheit Film
Appolain Siewe legt mit "Code der Angst" einen neuen dokumentarischen Film vor. Sein Thema: die historisch gewachsene Unterdrückung von Homosexualität in Kamerun.
Von Jürgen Kiontke
In Ihrem Film "Code der Angst" gehen Sie dem Schicksal des Kameruner Journalisten und Aktivisten Eric Ohena Lembembe nach, der 2013 einem schwulenfeindlichen Verbrechen zum Opfer fiel. Nun ist daraus eine Arbeit über Kameruns Kolonialgeschichte geworden.
Ich hatte eigentlich geplant, einen Film über die Ermordung Erics zu drehen, ich habe zwei Jahre dazu recherchiert, mit den Leuten gesprochen, die ihn noch kurz zuvor gesehen hatten. In Genf sprach ich mit der Anwältin seiner Familie, wir konnten Prozessakten einsehen. Ich dachte, durch meine Arbeit könnte ich helfen, den Mörder zu finden. Dieser Film ist so aber nicht zustande gekommen. Vor Ort wollten seine Angehörigen nicht mit uns drehen, sie vermuteten, wir wollten Geld mit seiner Geschichte machen. Damit verdient man aber kein Geld. Ich habe klar gemacht, dass ich verhindern will, dass solche Taten weiterhin passieren, es geht mir um die Menschenrechte. Aber Homosexualität ist ein Tabu in Kamerun, es war nichts zu machen. Wir haben dann ohne Skript angefangen, Interviews zu führen.
Wurden Lembembes Mörder jemals gefunden oder überhaupt gesucht?
Es gab eine Ermittlung. Aber niemand sieht eine Notwendigkeit, den Mord an einem Homosexuellen aufzuklären. Es ist nicht einmal klar, ob der Fall jemals abgeschlossen wurde.
Was muss man über Ihren Film wissen?
Homosexualität ist afrikanisch, kein Kolonialerbe, wie es oft dargestellt wird. Hass auf Homosexuelle ist ein koloniales Erbe.
Woher kommt Ihr Interesse am Thema Menschenrechte?
Da hat mich bereits in der Kindheit geprägt. In meiner Umgebung – nicht in meiner Familie – war Gewalt allgegenwärtig, vor allem gegen Frauen. Es gab Nachbarn, die ihre Angehörigen täglich verprügelten. Das hat mich schockiert. Es geht mir um Gerechtigkeit. Ich selbst bin nicht arm aufgewachsen – mein Vater war Beamter, meine Mutter in der Schulverwaltung tätig. Aber ich habe gesehen, was bei anderen Kindern los war. Ich finde es grundsätzlich ungerecht, dass einer mehr als der andere hat. Dass einer gewalttätig ist, der andere unterdrückt. Wenn ich Leute auf der Straße sehe, die betteln, finde ich das nicht normal.
Zum Film: Ich bin nicht schwul, aber ich kann nicht mit dem Leid anderer Menschen leben. Ich erinnere mich an einen Satz Alice Nkoms im Film: "Ich frage die Leute, die ruhig schlafen und wissen, dass der Nachbar ein schweres Leben hat: Wie können Sie gut schlafen?" Ich schlafe nicht gut. Ich setze mich aus innerer Überzeugung für andere ein.
Was hat Sie bewogen, mit dem Filmen zu beginnen?
Nach meinem Abitur in Kamerun wollte ich erst Arzt werden. Ich habe einige Monate lang ein Praktikum im Krankenhaus gemacht, keine einfache Sache. Danach wollte ich Anwalt werden. Aber ich habe das Leben in meinem Land gesehen, mit der ganzen Korruption. Ich dachte: Du kannst hier kein guter Anwalt werden, du wirst auf normalem Wege nie einen Prozess gewinnen. Ich habe mir das nicht zugetraut. Alice Nkom ist anders, sie ist eine tolle Anwältin geworden.
Dann wollte ich Journalist werden. Aber in Kamerun kann man kein guter Journalist werden, siehe oben. Du landest im Gefängnis. Wenn man sich diese Berufe ansieht, haben sie alle mit Menschenrechten zu tun. Dann Filmemacher – auch der kann im Gefängnis landen. Die logische Schlussfolgerung war: Ich brauche die Freiheit für meine Arbeit. Das hat mich nach Deutschland gebracht, nach Berlin-Schöneberg. In Deutschland war das Studium im Vergleich zu Frankreich mit niedrigen Kosten verbunden, zudem konnte man währenddessen arbeiten, ich konnte mich selbst finanzieren. Obwohl die Sprache für mich zunächst ein Hindernis war.
Welche Fragen stellen Ihnen Zuschauer*innen, nachdem sie den Film gesehen haben?
Können Sie sich in Kamerun bewegen? Wie ist Ihre Beziehung zu Ihrer Familie dort? Ein junger Mann hat nach einer Aufführung gesagt, er sei homosexuell und komme aus Kamerun. Der Film könne Leben retten, weil er die Gewalt, die Schwule erleiden, öffentlich macht und analysiert. Viele Menschen in Kamerun sind schwulenfeindlich, eine direkte Folge von gesellschaftlicher Prägung und Religion. Homosexualität wird mit Kinderlosigkeit assoziiert, sprich: ohne Kinder keine Entwicklung, keine Arbeitskräfte. Die Erzählung von Sodom und Gomorrha. Wenn sich das grundlegend ändern soll, müssten sich Politik und Kirche dahinter stellen.
Wie sieht es mit der Familie aus?
Wer in Kamerun offen über Homosexualität redet, wird gefragt, ob er noch ganz normal ist. Andererseits sagt man in meiner Familie: Du warst schon immer ein bisschen crazy, das passt zu dir.
Werden Sie Ihren Film in Kamerun zeigen können?
Wir versuchen das.
Ihr nächstes Projekt ist ein Film über Alice Nkom, die 2014 den Menschenrechtspreis von Amnesty International erhielt.
Es soll ein Film über die Unterdrückung der Frauen werden. Womöglich kann ich mit einem Film einen Beitrag dazu leisten, dass Frauen besser geschützt werden. Ich wollte schon lange eine Hommage an die Opfer männlicher Gewalt drehen. Vielleicht können gewalttätige Männer aus meinen Filmen lernen, dass sie nicht machen können, was sie wollen. Gewalt gegen Frauen gehört zu den häufigsten Verletzungen der Menschenrechte, und es wird nicht besser. Internationale Vereinbarungen wie die Istanbul-Konvention geraten unter Druck und werden ignoriert. Ich bekomme ständig Nachrichten aus Kamerun über getötete Frauen. Journalisten aus Kamerun schreiben mir das, sie sagen: "Das ist ein Thema für dich."
Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
Weitere Infos: https://www.amnesty.de/informieren/amnesty-journal/kamerun-homosexualitaet-gewalt-ohne-strafe
HINTERGRUND
2013 wurde der Journalist und LGBTI-Aktivist Eric Lembembe in Kamerun ermordet. Appolain Siewe spürte dem Verbrechen in seinem Film nach und stieß dabei auf das Thema des weitverbreiteten Hasses auf Homosexuelle. Homosexuell zu sein ist in Kamerun tabu und gilt den Angehörigen als Schande. Siewe interviewte Kulturwissenschaftler, die die Ursprünge der Homohasses im System des Kolonialismus verorten. Er fügte aus Interviews mit Wissenschaftler*innen und Gewaltbetroffenen, Aktivist*innen und Anwält*innen unter biografischen Einlassungen und unter Verwendung von Originalmaterial aus TV-Shows in Kamerun einen dichten Dokumentarfilm zusammen, der sehr erfolgreich auf mehr als 20 Festivals lief. Am 5. Juni 2025 kommt er in die deutschen Kinos.
54, ist in Kamerun geboren und kam 1997 für ein Filmstudium nach Berlin. Seit 2005 arbeitet er als freier Regisseur, 2010 gründete er die Einheit-Filmproduktion mit Schwerpunkt Dokumentarfilm.
Die Amnesty-Gruppe Frankfurt/M. hatte "Code der Angst" 2024 in einem Kino gezeigt und den Film der Kulturredaktion des Amnesty Journal empfohlen. Nach einem Artikel im letzten Jahr übernahm Drop-out-Cinema-Verleih auf Initiative unseres Filmkritikers Jürgen Kiontke hin den Kinostart.