DEINE SPENDE KANN LEBEN RETTEN!
Mit Amnesty kannst du dort helfen, wo es am dringendsten nötig ist.
DEINE SPENDE WIRKT!
MENSCHENRECHTE SCHÜTZEN!
Wir setzen uns für den Schutz von bedrohten Aktivist*innen ein, stellen klare Forderungen an die Politik.
UNTERSTÜTZE UNSERE ARBEIT MIT DEINER SPENDE.
Menschenhandel in Apulien: Überleben auf der Piste

Die Piste: Die italienische Regierung lässt die Menschen in der informellen Siedlung auf einem ehemaligen Militärflughafen allein (Italien, Apulien, Borgo Mezzanone, Oktober 2024)
© Nicoló Lanfranchi
In Borgo Mezzanone in der italienischen Region Apulien liegt eines der größten Elendsquartiere Europas. Tausende Migrant*innen leben dort. Die meisten der Frauen sind Opfer von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung. Sie können sich nur schwer aus dem Kreislauf von Prostitution, Rechtlosigkeit und wirtschaftlicher Not befreien.
Aus Borgo Mezzanone Nina Apin (Text) und Nicoló Lanfranchi (Fotos)
Sie braucht einen Arzttermin. Und eine Anwältin, die sie zur Polizei begleitet." Krankenschwester Daniela steigt mit einer Patientin aus dem Arztmobil und schildert einer Kollegin knapp die Lage. Diese nimmt mit der Patientin, die ihr Gesicht hinter einer Sonnenbrille verbirgt, unter einer Markise im Freien Platz.
Daniela, die ihren Nachnamen aus Sicherheitsgründen nicht nennen möchte, arbeitet für Intersos, eine italienische Hilfsorganisation, die humanitäre Arbeit in Kriegs-und Konfliktregionen leistet: in Somalia, Ruanda, Bosnien, Libyen. Und im italienischen Borgo Mezzanone, an dessen Rand eines der größten Elendsquartiere Europas liegt. Danielas Arbeitsplatz ist ein schnurgerader Asphaltstreifen, umgeben von Müllbergen und Wellblechhütten. "La Pista", die Piste, nennen die Einheimischen die informelle Siedlung auf dem Gelände eines stillgelegten Militärflughafens nahe der Stadt Foggia. Im Sommer, wenn auf den Feldern ringsum die Tomaten reif sind, leben dort bis zu 3.000 Menschen, im Winterhalbjahr um die 1.000. Sie kommen aus Somalia, Nigeria, Ghana, Bangladesch, Pakistan oder Syrien. Manche sind Geflüchtete mit abgelaufenem Aufenthaltstitel, andere reisten über das Mittelmeer oder die Balkanroute ein, manche kamen ursprünglich als Arbeitskräfte nach Italien.
Mehrfache Ausbeutung von Frauen
Sie alle arbeiten unter prekären Bedingungen als Tagelöhner*innen in der Landwirtschaft und schlafen in der Zeltstadt, die sich zu beiden Seiten der Landebahn in die Ebene Apuliens ausbreitet. Gemauerte Häuser ohne Fensterscheiben, ausrangierte Wohnwagen, Container oder aus Wellblech und Holzlatten zusammengenagelte Konstruktionen – fast alles dient als Behausung. Fließendes Wasser gibt es ebenso wenig wie eine Kanalisation, der Strom wird aus verschlungenen Leitungsknäueln gezapft. Es riecht nach Holzfeuer, verbranntem Plastik und Fäkalien. Im Müll suchen abgemagerte Hunde nach Essbarem, aus einem Verschlag blickt eine Ziege.
Seit 2018 stellt das Team von Intersos jeden Mittag sein Arztmobil, einen umgebauten Campingbus, auf der Piste auf. Mit dabei: eine Ärztin, eine Krankenschwester, ein*e Sozialarbeiter*in. Die meisten, die das kostenlose Behandlungs- und Beratungsangebot in Anspruch nehmen, sind Männer mit Arbeitsverletzungen oder chronischen Erkrankungen, erzählt Daniela Zitarosa, die auf einer kleinen Piazza in Foggia eine Zigarette raucht. Die junge Juristin trägt denselben Schmuckanhänger in Form einer Gebärmutter um den Hals wie ihre Namensvetterin vom mobilen Versorgungsteam. "Schlimm ist die Situation für alle", betont Zitarosa. Grund dafür ist das mafiöse Ausbeutungssystem des Caporalato, bei dem ein "Caporale" Arbeitskräfte zu Hungerlöhnen teils zwölf Stunden lang auf den Feldern schuften lässt und ihnen für Arbeitsausrüstung, Transport und Unterkunft auch noch zusätzlich Geld abnimmt. Das System koste jedes Jahr Menschenleben, nicht nur in Apulien, sagt Zitarosa.
Migrant*innen ohne gültige Papiere sind besonders erpressbar. Die italienische Landwirtschaftsgewerkschaft FLAI CGIL schätzt, dass in ganz Italien 430.000 Menschen unter dem Caporalato arbeiten und rund 100.000 von ihnen in illegalen Siedlungen leben. "In Borgo Mezzanone wird deutlich, wie Migration, Rassismus und wirtschaftliche Not zusammenwirken", erklärt Sophie Scheytt, Amnesty-Referentin für Asylrecht und Asylpolitik. Die systematische Ausbeutung von Migrant*innen unter unmenschlichen Bedingungen wie in Borgo Mezzanone sei dabei keinesfalls eine Randerscheinung der europäischen Asylpolitik, "sondern Symptom einer tief verwurzelten strukturellen Gewalt an den europäischen Außengrenzen".

Mobiler Einsatz: Mitarbeiter*innen der Hilfsorganisation Intersos bieten kostenlose Beratung und Behandlung auf der Piste an (Borgo Mezzanone, Italien).
© Nicoló Lanfranchi
Frauen, die nur rund zehn Prozent der Bewohner*innen des Camps in Borgo Mezzanone ausmachen, sind die verletztlichste Gruppe, berichtet die Sozialarbeiterin Daniela Zitarosa: "Es geht um Ausbeutungen – im Plural", sagt sie und zählt an ihren Fingern auf: "Menschenhandel, Arbeitsausbeutung, sexuelle Ausbeutung, Freiheitsberaubung, körperliche und psychische Gewalt." Sie berichtet von Frauen, die seit Jahren immer wieder kommen, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen, stets in männlicher Begleitung. Von Frauen, die weder Handy noch Papiere haben und in einer Wohnung eingesperrt sind, in der sie täglich 15 bis 20 Kunden bedienen müssen. "Diese Frauen stehen unter totaler Kontrolle." Für die Sozialarbeiterinnen von Intersos ist es schwer, Kontakt zu den Frauen aufzunehmen. Auf dem Strich entlang der Landstraßen arbeiten ausschließlich Rumäninnen und Bulgarinnen. An die Schwarzen Migrantinnen aus Nigeria oder der Elfenbeinküste kommen die Helfenden nur schwer heran, weil sie in Privatwohnungen oder informellen Bordellen versteckt sind. Oft sei die einzige Möglichkeit der Kontaktaufnahme, ihnen bei einer ärztlichen Untersuchung heimlich eine Telefonnummer zuzustecken, berichtet Daniela Zitarosa.
Auf der Piste von Borgo Mezzanone sind tagsüber fast nur Männer zu sehen. Sie flanieren auf dem Betonstreifen auf und ab, spielen Fußball, bieten Second-Hand-Kleidung feil oder verkaufen in Kiosken "Puff-Puff", süße, frittierte Bällchen. Es gibt eine nigerianische Pfingstkirche in einem Flachbau und mehrere Moscheen, deren Lautsprecher mehrmals am Tag die Männer zum Gebet rufen. Hinter einem Holzkohlegrill, auf dem Fleischteile brutzeln, betreibt Abdul sein Lokal. Ein paar Bierbänke, Tische, Plastikstühle. Der schmale Togoer, der auf dem rasierten Kopf einen Pferdeschwanz aus Rastalocken trägt, lebt schon seit 2007 auf der Piste. Jeden Morgen schließt er das Vorhängeschloss auf, hinter dem seine Gasflasche und das Geschirr verwahrt sind, serviert Kaffee und setzt einen Eintopf auf den Herd. "Man organisiert sich", beschreibt er schulterzuckend das Leben im Camp.

Nicht den Mut verlieren: Khady Sene, Direktorin der örtlichen Caritas (Italien, 2024)
© Nicoló Lanfranchi
Seine Schlafkammer befindet sich in einem ummauerten Gehöft, das er sich mit zwei anderen Männern teilt. Eine Matratze hinter einem Vorhang, ein zerbeulter Metallspind, ein Elektroofen. Licht gibt es, im Gang sieht man die Reste einer Feuerstelle. Die sei aber nicht mehr in Benutzung, sagt Abdul – zu viele Menschen seien im Camp an den Folgen von Stickstoff und Rauchentwicklung erkrankt oder durch Brände gestorben. Er benutzt lieber den kleinen Radiator auf Rollen oder friert. Und die Notdurft? Abdul holt einen Schlüssel aus der Tasche und entriegelt ein flaches Gebäude auf der anderen Straßenseite. Ein gemauertes Toilettenhaus mit abschließbaren Kabinen und Hockrinnen. Es riecht atemberaubend, ist aber einigermaßen sauber – eine von vielen Anstrengungen der Bewohner*innen, unter den widrigen Bedingungen ihre Würde zu bewahren. Ja, es lebten auch Frauen auf der Piste, sagt Abdul, zum Glück nicht viele. "Eher da unten", er zeigt mit der Hand vage die Straße hinunter, "aber ich empfehle nicht, in diesen Teil zu gehen".
Ignorierte Missstände
Auch Khady Sene geht nicht so gern "nach dort", wie sie sagt, obwohl sie sich ansonsten unbefangen auf der Piste bewegt. Khady Sene wurde im Senegal geboren, kam 2012 nach Italien. Sie läuft mit einem unerschütterlichen Lächeln die Hütten ab, spricht mit den Bewohner*innen, fragt, wie es geht, und verteilt Flugblätter, die zu einem Gedenkgottesdienst für im Mittelmeer ertrunkene Geflüchtete in der Dorfkirche von Borgo Mezzanone einladen. Mit gerade einmal 31 Jahren wurde Khady Sene zur Diözesandirektorin der örtlichen Caritas ernannt. Die studierte Finanzmarketingfachfrau fing als Ehrenamtliche in der Migrationsberatung an, weil sie helfen wollte. "Es hat mir weh getan zu sehen, wie Migrant*innen hier behandelt werden", sagt sie. Jetzt hat sie ihr Berufsleben der Unterstützung derer gewidmet, für die sich abseits humanitärer Hilfsorganisationen kaum jemand interessiert.
Fast überall wird sie freundlich empfangen, auch bei den Muslimen. Nur nicht in der Gegend, von der es heißt, dass dort die nigerianische Mafia das Sagen habe – und mit Drogen-, Waffen- und Frauenhandel sehr viel Geld verdiene. Bei Abdul bekommen Khady Sene und der italienische Priester, der sie begleitet, eine kalte Cola, vom Grill nebenan lässt sie sich noch schnell eine fetttriefende Tüte "to go" einpacken. "Für mich ist dieses Essen Heimat", gesteht Khady Sene. Nichts gegen die italienische Küche, aber manchmal wärme afrikanische Küche einfach die Seele.
Lachend erzählt sie, dass einige hervorragend integrierte Bekannte extra den Bus Nummer 24 nähmen und über die Felder zur Piste wanderten, um sich in dem inoffiziellen Restaurant Foufou mit Okrasoße zu bestellen.

Der Wirt und sein Lokal: Abdul lebt seit 2007 auf der Piste (Borgo Mezzanone, Italien, 2024)
© Nicoló Lanfranchi
Für die italienische Politik ist das Camp von Borgo Mezzanone kein Thema oder aber ein Schandfleck, den man gerne beseitigen würde, wenn man nur wüsste wie. Der rechtsextreme Lega-Politiker Matteo Salvini erschien in seiner Zeit als Innenminister mit einem Bagger auf der Piste und wollte "aufräumen", seither hat man nie wieder etwas aus Rom gehört. Der neue Bürgermeister des Dorfes versucht nun, jahrelang blockierte EU-Mittel zu aktivieren für bauliche Verbesserungen auf der Piste. "Das wäre schön, höchste Zeit", kommentiert Khady Sene. Sehr zuversichtlich sieht ihr Lächeln nicht aus.
Sie und der Priester setzen ihren Rundgang fort. Ein paar Hütten weiter sitzen drei Frauen in einem Innenhof und palen Bohnen. Eine von ihnen stellt sich als Florence vor. Sie komme aus Nigeria, sei 46 Jahre alt und mit einem Boot in Turin angekommen, sagt sie. Seit sieben Jahren lebt sie im Camp von Borgo Mezzanone, aber unter welchen Umständen sie hier gelandet ist, will sie nicht erzählen. Auch ihren Nachnamen möchte sie nicht nennen, wie alle Bewohner*innen der Piste – zu groß ist die Sorge, dass Verwandte zu Hause ihre Geschichte im Internet lesen. Florence ist wütend auf die Reporter*innen und die Italiener*innen, die durchs Camp spazieren, fotografieren, Fragen stellen. Dabei könne doch jede*r sehen, wie es auf der Piste zugehe. Sie verschwindet abrupt in der Hütte.
Systematischer Frauenhandel
Florence könnte Opfer von Menschenhandel sein, vermuten die beiden Sozialarbeiterinnen Marianna Carusillo und Concetta Notarangelo. Sie arbeiten für die Organisation Medtraining, die Frauen dabei hilft, aus der Prostitution auszusteigen. Im Fall der Nigerianerinnen gebe es ein System, erklären die beiden: Die Frauen werden in ihrer Heimat häufig von einem Juju-Priester durch Riten an eine "Madame" gebunden, eine Art Zuhälterin, der sie Treue schwören müssen. Welcher Arbeit sie in Europa nachgehen müssen, wissen die meisten zuvor nicht. In Durchgangsländern wie Libyen werden viele in sogenannten "connection houses" interniert, vergewaltigt und ihrer Dokumente beraubt. In Europa angekommen, müssen sie Schlepper*innen-und Reisekosten von 20.000 bis 30.000 Euro durch Prostitution "abbezahlen". Andere kommen legal als Haushaltshilfen oder Pflegekräfte nach Italien, werden dort ihrer Papiere beraubt und stellen fest, dass ihre Arbeitsstelle nur auf dem Papier existiert. Aus wirtschaftlicher Not und Angst vor Drohungen gegen Familienangehörige bleiben viele Frauen jahrelang in diesem Ausbeutungskreislauf gefangen; ohne Sprachkenntnisse und Papiere sind sie nahezu vollständig isoliert.

Unter Kontrolle: Eine junge nigerianische Prostituierte wartet auf Kunden (Borgo Mezzanone, Italien, 2024).
© Nicoló Lanfranchi
Nicht wenige kehrten nach einem vorübergehenden Ausstieg aus dem System wieder zurück, berichtet Marianna Carusillo: "Sie haben Kinder bekommen, können aber nach wie vor kaum Italienisch. Aus Not und Mangel an Perspektiven wenden sie sich an ihre ehemalige Madame – oder an uns. Dann fangen sie wieder von vorne an: Sprachkurs, Berufsausbildung, Wohnung, Arbeitssuche …" Es sind mühsame, oft jahrelange Prozesse voller Rückschläge. Jüngeren Frauen Hilfsangebote zu machen, gelingt den Sozialarbeiterinnen nur selten, etwa bei ärztlichen Untersuchungen. "In letzter Zeit kommen viele sehr junge Marokkanerinnen über die Balkanroute in Apulien an, offiziell als Haushaltshilfen", beobachtet Concetta Notarangelo. "Aber wir erreichen sie nur schwer. Sie arbeiten in den Hinterzimmern von Bars oder werden im Internet vermittelt."
Eine der Frauen, die mithilfe von Medtraining den Absprung geschafft hat, arbeitet heute als Verkäuferin auf der Piste. Mercy, 31, ist groß und drahtig, sie versprüht eine robuste Fröhlichkeit und trägt bunte Webzöpfe im Haar. Sie stammt aus Benin City und kam vor sieben Jahren nach Italien. "Absolut alles und noch mehr" habe sie gemacht, um Geld zu verdienen, sagt sie. "Jetzt bin ich müde." In ihrem kleinen Laden verkauft sie Kaffee, Kochbananen und andere Lebensmittel. Aber nur nachmittags – vormittags besucht sie einen Italienischkurs in Foggia, wo sie mit ihren beiden Kindern lebt. Ihre kleine Tochter liegt im Laden auf dem Boden vor dem Fernseher, sie ist gerade in die Schule gekommen, ihr Sohn ist ein Jahr älter. Ein weiteres, viel größeres Kind sei bei der Mutter in Nigeria – hier wendet sich Mercy ab, ihre Augen füllen sich mit Tränen. Sie schaut eine Minute ins Leere, sieht plötzlich viel älter aus. Dann fängt sie sich wieder. "Die von Medtraining sind gute Leute", sagt sie und nickt heftig. Das Leben in Italien bleibe für sie trotzdem hart: Die Italiener*innen hätten viele Vorurteile gegenüber Schwarzen, ihre Kinder bekämen das ebenfalls zu spüren. Auf der Piste habe sie keine Freunde: "Hier kämpft jeder nur für sich."
Drogen und Sex zu Schleuderpreisen
Als es Abend wird, schließt Mercy ihren Laden und fährt mit ihrer Tochter nach Foggia. Nach Sonnenuntergang verändert sich die Piste: Überall gehen Lampen an, die Bars öffnen, Musik schallt aus vielen Lautsprechern. Jetzt sieht man auch die Frauen: Sie sitzen auf Plastikstühlen vor den Bars oder stehen an den Ecken, grell geschminkt, in hautenger Kleidung. In mancher Bar kann man Betten hinter einem Vorhang erahnen. Am Ausgang der Piste steht ein großer Flachbau, neben dem die Erde sauber geharkt ist: Parkplätze für die Kunden des "Majestic", dem größten Bordell. An den Wochenenden, erzählt ein Polizist, der in der Nähe mit seinem Streifenwagen patrouilliert, kämen Gruppen junger Bewohner des Dorfes auf die Piste, um sich zu amüsieren: Drogen, Alkohol, Sex – alles sei zu Schleuderpreisen verfügbar.
"Sklavenähnliche Zustände mitten in Europa" nennt Filomena Guerrieri die Lage und beklagt das mangelnde Engagement der Politik. Die Anwältin arbeitet für das Anti-Menschenhandelsnetzwerk "La Puglia non tratta", zu Deutsch etwa: "Apulien handelt nicht mit Menschen" oder auch: "Apulien meint es ernst". Die Organisation unterhält in der Region Foggia zwei anonyme Schutzwohnungen mit acht Plätzen. In Zusammenarbeit mit einer landesweiten Hotline bemüht sie sich, Kontakt zu den Frauen zu halten, die oft von Region zu Region weitergeschickt werden. Inzwischen verteilen italienische Hilfsorganisationen bereits an den Ankunftsorten der Boote Aufklärungsflugblätter an junge Frauen.
Doch sämtliche Hilfsstrukturen seien hoffnungslos unterfinanziert, sagt Guerrieri. Bei einem Prozess in Mailand vertrat sie vor Kurzem eine Klientin, deren "Madame" für Menschenhandel und Beihilfe zur Prostitution zu einer Haftstrafe verurteilt wurde. Solche Erfolge seien seltene Sternstunden. Die wenigsten Opfer trauten sich, überhaupt zur Polizei zu gehen: Zur Angst vor der rituellen Verfluchung komme die – berechtigte – Angst um die Angehörigen zu Hause, an denen die Menschenhändler*innen mitunter grausame Racheakte verübten. Oft befürchteten die Frauen auch, sofort abgeschoben zu werden, sollten sie sich als Papierlose zu erkennen geben. "Zu oft kommen die Profiteur*innen des Menschenhandels ungeschoren davon", sagt die Anwältin. Ihre Arbeit sei häufig frustrierend, Erfolge seien selten, bilanziert Guerrieri. Und dennoch: "Jede Frau, die wir retten können, ist ein Grund, weiterzumachen."
Nina Apin ist freie Journalistin und Kulturredakteurin beim Amnesty Journal. Nicoló Lanfranchi ist freier Journalist, Fotograf und Filmemacher. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.