Amnesty Journal Georgien 11. Mai 2025

Umweltproteste in Georgien: Gegen die Zerstörung

Menschen demonstrieren mit Transparenten auf einer Straße.

Gegen Manganabbau in Shukruti: Betroffene protestieren in Tbilisi, Georgien, 2024

In Westgeorgien wehrt sich die lokale Bevölkerung gegen die Zerstörung ihrer Dörfer durch Bergbau oder Wasserkraftwerke. Die Regierung versucht, die Unterstützung durch Umweltschutzorganisationen zu unterbinden.

Von Annette Jensen

Im vergangenen Herbst nähte sich Amiran Shekiladze seinen Mund zu. Gemeinsam mit anderen trat er in einen Hungerstreik und kampierte vor dem Parlamentsgebäude in Tbilisi. Die Aktivist*innen forderten von der Regierung, dass sie für eine gerechte Entschädigung ihrer vom Bergbau betroffenen Gemeinde sorgt. Das Bergbauunternehmen Georgian Manganese LCC baut unter dem Dorf Shukruti in Westgeorgien Mangan ab – ein Stoff, der in der Metall- und Batterieproduktion gebraucht wird.

Das Wasser in der Region sei durch hohe Metallkonzentrationen verdreckt, der Boden in den über viele Generationen gepflegten Gärten und Weinbergen verseucht, überproportional viele Menschen erkrankt, melden die Organisation UNA-Georgia und die unabhängige Nachrichtenplattform OC-Media. Seit 2019 stürzten infolge des Bergbaus bereits Häuser ein, andere haben tiefe Risse. Die Dorf­bewohner*innen beklagen, dass die Entschädigungen, die Georgian Manganese LCC ihnen 2021 zugesagt hatte, nur unzureichend oder gar nicht gezahlt wurden. Manche werfen der Firma vor, sie habe Unterschriften von Dorfbewohner*innen unter Kompensationsverträgen gefälscht. Eine Betroffene berichtet, man habe sie erpresst, ihren Protest gegen die Mine zu beenden – ansonsten würden Sexvideos ihrer Schwiegertochter veröffentlicht.

Die Besitzverhältnisse der Bergbau­gesellschaft sind undurchsichtig. Einigen Quellen zufolge sind Mitglieder der Regierungspartei Georgischer Traum und ukrainische Oligarchen an dem Unternehmensverbund beteiligt. Ein Subunternehmen verklagte mehrere Protestierende auf hohen Schadenersatz, weil sie die Betriebsabläufe gestört hätten. Regierungsnahe Medien bezeichneten die Dorfbewohner*innen als "radikale Gruppe", Gerichte untersagten Versammlungen, die Regierung erklärte sich für nicht zuständig. Der Protest scheiterte: Nach 43 Tagen brachen die Leute aus Shukruti den Hungerstreik Mitte Oktober 2024 ab.

Das Umweltbewusstsein ist gewachsen.

Guram
Kvaratskhelia
Freie Universität Berlin

Umweltbelange werden in Georgien auf politischer Ebene so gut wie nicht behandelt, auch das Fernsehen berichtet kaum darüber. Die grüne Partei, die gegen Ende der sowjetischen Ära bei Protesten gegen den Bau gigantischer Wasserkraftwerke eine zentrale Rolle spielte, ist von der Bildfläche verschwunden. Dabei zeigt eine Studie des UNO-Entwicklungsprogramms (UNDP), dass die georgische Bevölkerung die Klimakrise sehr ernst nimmt. Das Land erlebt zunehmend katastrophale Hochwasser und Erdrutsche, etwa weil Gletscher instabil werden. "Das Umweltbewusstsein ist in den vergangenen zehn Jahren deutlich gewachsen, aber die Regierung interessiert sich nicht für die Themen. Es geht ihr um Wirtschaftswachstum, geostrategische Fragen und darum, sich zu bereichern", sagt Guram Kvaratskhelia vom Osteuropainstitut der Freien Universität in Berlin. 

Repressionen gegen Umweltorganisationen

Zwar entstanden nach der Wahl 2012 einige Umweltorganisationen und -bewegungen. Doch waren diese zunehmend Repressionen ausgesetzt. Das 2024 ver­abschiedete "Agentengesetz", das die finanzielle Unterstützung von Organisationen aus dem Ausland unterbinden soll, war für viele ein schwerer Schlag. Überraschend kam er nicht. "Mit diesem Gesetz erreichte das repressive Vorgehen der georgischen Regierung gegen die unabhängige Zivilgesellschaft einen traurigen Höhepunkt", sagt Carmen Traute von Amnesty Inter­national in Deutschland. "Diese gravierende und unzulässige Einschränkung des Rechts auf Vereinigungsfreiheit erschwert auch die Arbeit von Umweltschutzorganisationen." Viele Protest­bewegungen fokussieren sich auf lokale Projekte. Es geht um den Verkauf oder die Abholzung von Wäldern oder um ein geplantes Autobahnstück, das durch das ökologisch und archäologisch wertvolle Khada-Tal führen soll.

Widerstand gegen Wasserkraftwerk

Die größte überregionale Beachtung fand in den vergangenen Jahren der Widerstand gegen ein geplantes Wasserkraftwerk im Rioni-Tal in der Provinz Svanetien. Maka Suladze ist eine der Initiatorinnen dieser Graswurzelbewegung. Die Frau mit Kopftuch und langem Rock lebt in einem einfachen Haus, sammelt Kräuter und berichtet ohne jedes Pathos über den Naturreichtum der Flusslandschaft in dem Tal. Der Rioni ist, wie die umliegenden Berge, reich an biologischer Vielfalt – und Maka Suladze und viele andere Menschen im Tal möchten, dass das so bleibt. Sie wehrten sich gegen zwei geplante Staudämme und die Flutung von sechs Quadratkilometern Fläche, weil damit mehrere Dörfer und die Ökosysteme des Flusses unwiederbringlich zerstört worden wären. Zudem warnten Seismolog*innen vor der Erdbebengefahr in der Region.

Die Regierung argumentierte mit dem steigenden Strombedarf des Landes und ignorierte die Proteste der ländlichen ­Bevölkerung jahrelang. Als die "Rioni-­Hüter" neben den geplanten Baustellen Zelte errichteten, reagierte die Staatsmacht mit Polizeigewalt und Diffamierung. Der Protest sei rückwärts­gewandt und behindere den Fortschritt, so der Vorwurf, den auch die meisten Oppositionsparteien teilten. 

"Die Lage spitzt sich zu"

Doch ab Herbst 2020 griffen die Medien das Thema auf. Zudem unterstützte die international gut vernetzte Organisation Green Alternative den Protest und lieferte ebenso wie einige Wissenschaftler*innen Expertise. Der Vertrag mit der türkischen Betreibergesellschaft Enka über das 800 Millionen-Dollar-Projekt wurde öffentlich und zeigte, dass die Investor*innen extrem vorteilhafte Bedingungen für sich ausgehandelt hatten. In Tbilisi fand die größte Umweltdemonstration seit der Unabhängigkeit statt, und das Projekt wurde im September 2021 gestoppt – zumindest vorerst.

Allerdings erlitt die Kooperation von Graswurzelprotest und organisierter Umweltbewegung wenig später einen Riss, der der Regierung sehr gelegen kam. Die "Rioni-Hüter" hatten mitprotestierende Mitglieder der LGBTI-Bewegung wiederholt diskriminiert und somit Unterstützer*innen verloren. Aus diesem Grund und auch nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, war es für die georgische Regierung leichter, die Proteste gegen weitere Wasserkraftwerke in Svanetien klein zu halten. Sie argumentierte, die Kraftwerke ermöglichten mehr Unabhängigkeit von russischen Energielieferungen und würden neue Jobs schaffen. Den Gegner*innen warf sie vor, sie seien von Russland unterwandert oder finanziert.

Ein umweltpolitischer Impulsgeber war bisher die Europäische Union. Staatliche Regeln, wie die zu Luftverschmutzung und Wasserqualität, zielten auf den bis vor Kurzem für 2030 anvisierten EU-Beitritt ab. Die EU wollte ihrerseits künftig Wasser-, Wind- und Solarstrom aus Georgien beziehen und plante dafür ein Unterseekabel im Schwarzen Meer. Die georgische Regierung hatte angekündigt, die Energieproduktion bis 2030 zu verdoppeln. Nun aber distanziert sie sich von der EU und orientiert sich in Richtung Moskau und Peking. Naturschutz und Graswurzelbewegungen geraten damit ins Abseits. "Die Lage spitzt sich zu. Die Polizei geht gegen Proteste immer gewalttätiger vor", berichtet Osteuropaexperte Kvaratskhelia. 

Annette Jensen ist Autorin und Journalistin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

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