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"Ob die auch für meine Deportation stimmen würden?"

Lässt sich nicht einschüchtern: Die Aktivistin Sultana Sediqi
© privat
Die Zivilgesellschaft in Deutschland steht unter Druck: Hassverbrechen haben einen Höchststand erreicht, Parteien stellen Menschenrechte in Frage, Online-Plattformen schüren Hetze. Sultana Sediqi, Jugendliche ohne Grenzen Thüringen, engagiert sich gegen Rassismus. Hier berichtet sie, welche Auswirkungen ihr Aktivismus auf ihr Leben hat.
Protokolle: Uta von Schrenk
Letztens fuhr ich mit einem Mann im Fahrstuhl, auf dessen T-Shirt "White Power" stand. Oft, wenn ich jemandem in meinem Wohnort Erfurt begegne, frage ich mich: Ob die oder der auch für meine Deportation stimmen würde?
Ich bin in Afghanistan geboren. Für mich ist es nicht selbstverständlich, nachts keine Bomben zu hören oder zu wissen, dass ich unversehrt von der Schule nach Hause komme. Ich habe mich schon als Kind gefragt, was Gerechtigkeit ist – auf der Flucht über den Iran, die Türkei, in Griechenland, in einem Zimmer mit sechs Leuten, die letzte Tomate aufsammelnd, um etwas zu essen zu haben. Dann kam ich in Deutschland in die Schule, in die 2. Klasse, und mir wurde Scheiß-Ausländerin hinterhergerufen.
Als ich 16 war, fing ich an mich zu wehren. Auf Social Media kursierte ein Video, in dem ein Junge in der Erfurter Straßenbahn von einem Neonazi zusammengeschlagen wurde – niemand half. Das hat mich so erschüttert, er sah aus wie ich, wie meine Freunde, wie meine Familie – er war wir. Als ein Freund meines Vaters mich dann fragte, ob ich auf der Demo zum 1. Mai eine Rede halten will, habe ich zugesagt. Danach kamen Menschen auf mich zu, weinten, und sagten, du hast in Worte gefasst, was ich seit Jahren spüre. Seither organisiere ich Demonstrationen, halte Reden und gebe Antidiskriminierungsschulungen. Ich habe die Initiative Jugendliche ohne Grenzen sowie einige Vereine in Thüringen mitgegründet, sitze und spreche auf Podien und engagiere mich für eine antirassistische, gerechte Gesellschaft.
Ich bekomme regelmäßig Hasskommentare wie "Du Drecksweib, dann geh doch". Ja, ich habe Angst, dass mir etwas passiert, und ich weiß, dass ich mich auf die Polizei nicht verlassen kann. Als ich in Riesa gegen den Bundesparteitag der AfD protestieren wollte, bin ich in einen Polizeikessel geraten und wurde mehrfach angegriffen. Sowas retraumatisiert mich, denn ich habe auch auf meinem Weg nach Europa viel Polizeigewalt erlebt.
Ich warte seit drei Jahren auf meine Einbürgerung. Inzwischen befürchte ich, dass ich sie vielleicht wegen meines Engagements noch nicht erhalten habe. Als mir Pro Asyl 2023 den Menschenrechtspreis verliehen hat, weinte mein Vater und sagte, er wünschte sich, dass er nicht so stolz auf mich sein müsste. Und meine Mutter fleht regelmäßig: Konzentrier dich auf dein Studium, halt dich raus. Manchmal wache ich nachts auf und habe Verfolgungsängste oder Alpträume, in denen mein Wohnblock brennt. Es ist so krass, dass eine 20-Jährige in diesem Land diese Ängste haben muss.
Ich hatte in den vergangenen vier, fünf Jahren viele Phasen, in denen ich nicht mehr konnte. Strukturell nicht gedacht, institutionell nicht gewollt zu sein, tagtäglich verstoßen zu werden, macht mich wütend und nimmt meine Kraft. Dennoch versuche ich weiterzumachen, weil ich viele Menschen erlebe, die allem zum Trotz überleben und für sich und andere kämpfen. Was wäre auch die Alternative? Nur Jura studieren, mich um meine Work-Life-Balance kümmern? Diese entmenschlichenden Strukturen zwingen mich zum Widerstand, jeden Tag.
Uta von Schrenk ist Redakteurin des Amnesty Journals.
HINTERGRUND
Dass Engagierte in Deutschland mehr Schutz brauchen, zeigt eine repräsentative Umfrage von Amnesty International aus dem Herbst 2024. Demnach können sich zwar mehr als 63 Prozent aller Befragten vorstellen, sich gesellschaftlich einzusetzen. Damit ist jedoch auch die Gefahr verbunden, zum Ziel von Angriffen zu werden.
Der Befragung zufolge hat jede*r zehnte Engagierte nach eigenen Angaben Gewaltandrohungen erlebt, knapp drei Prozent sogar körperliche Angriffe. Beleidigt wurden mehr als ein Viertel der Betroffenen. Rund 10 Prozent berichten von unzureichendem Schutz durch die Behörden, wobei hier der Wert in Ostdeutschland deutlich höher liegt als in Westdeutschland. Menschen mit Diskriminierungserfahrungen sind jeweils schwerer betroffen.
Julia Duchrow, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, betont, wie wichtig eine aktive Zivilgesellschaft und damit auch das Recht auf Protest ist: "Die Behörden müssen dafür sorgen, dass gesellschaftliches Engagement in allen Teilen des Landes möglich ist, ohne dass Menschen zur Zielscheibe werden."