Amnesty Journal Deutschland 21. September 2022

"Revolutioniere die Welt wie Malewitsch!"

Drei afrikanische Frauen mit langen Haaren und Lippenstift posieren für ein Foto.

Im Schwäbischen haben die drei Schwestern Betty, Siona und Miriyam (v. l. n. r.) Ruhe gefunden vor dem Bombenlärm.

Die drei Schwestern Betty, Siona und Miriyam Endale wuchsen als Kinder äthiopischer Einwander*innen in der Ukraine auf. Zusammen machen sie als FoSho HipHop – jetzt in Deutschland. Ein Gespräch mit Sängerin Betty über Flucht, jüdische Wurzeln und die Vorzüge von Stuttgart.

Interview: Till Schmidt

FoSho, das sind Sie, Betty Endale, und ihre beiden jüngeren Schwestern Miriyam und Siona. Wie haben Sie ­angefangen, Musik zu machen?

Wir haben schon länger gerne zusammen gesungen. Vor drei Jahren gab es dann ein Foto von uns, auf dem wir einfach wie eine coole Band aussahen (lacht). Das war der Startschuss für FoSho. Seitdem ist viel passiert. Wir sind auf einen Zug gesprungen, der mit der Zeit immer schneller wurde. Vor vier Monaten sind wir dann nach Deutschland geflüchtet.

Wie konnten Sie Deutschland erreichen ?

Meine Schwestern und unsere Eltern lebten in Charkiw, direkt an der Grenze zu Russland. Ich selbst war bei Kriegsausbruch gerade in Kiew und bin von dort zusammen mit einer Freundin nach Odessa. Dann nach Moldawien, weiter nach Bukarest und von dort mit dem Flugzeug nach Deutschland. Meine Familie konnte nach zwei Wochen im Luftschutzbunker über die Westukraine und Polen ebenfalls nach Deutschland gelangen. Durch die Bomben traumatisiert, war es uns in den ersten Monaten unmöglich, Musik zu hören oder gar zu komponieren. Selbst Geräusche wie das Sirren der Waschmaschine haben uns fast einen Herzinfarkt bereitet. Zum Glück wohnen wir nun sehr ruhig. In Schwieberdingen, das ist etwa 30 Minuten von Stuttgart entfernt.

Wie haben Sie Ihre neue Bleibe gefunden?

Eine Bekannte eines Freundes meines ­Vaters hat uns in ihrem Haus aufgenommen. Nun sind wir hier, und ich entdecke jeden Tag weitere Gründe dafür, warum es gut ist, hier zu sein! Zum Beispiel habe ich herausgefunden, dass Stuttgart die Hauptstadt des deutschen HipHop ist. Ich liebe deutschen HipHop, der hat einen tollen Vibe. Irgendwann einmal wollen wir auch einen Song auf Deutsch schreiben.

Die meisten Ihrer Songtexte sind auf Englisch, einige zum Teil oder ganz auf Ukrainisch. Wie kam es dazu?

Die ukrainische Sprache eignet sich eigentlich nicht so gut für HipHop und R’n'B. Ohnehin dreht sich slawische Musik stärker um die Melodie als um die Texte. Aber genau das hat uns gereizt. ­Bisher haben wir zwei Songs veröffentlicht, die komplett auf Ukrainisch sind. Dass wir auf Ukrainisch singen und rappen ist allerdings keine Reaktion auf den russischen Angriffskrieg. Die Songs sind schon etwas älter.

Ihre Eltern kamen Ende der 1980er aus Äthiopien in die Sowjetunion. Sind Ihre Songs auch von äthiopischer Musik beeinflusst? Dort gibt es ja eine lange Tradition interessanter Pop- und avancierter Jazzmusik.

Unsere Eltern kamen damals als Austauschstudierende in die UdSSR und haben uns natürlich auch Musik aus Äthiopien hören lassen. Den Popsänger Mahmud Ahmed etwa oder religiöse Musik. Aber ehrlich gesagt hat uns das damals nicht sehr interessiert. Genauso wenig wie russische Musik. Wir hörten Boney M., Michael Jackson, Spice Girls, Beyoncé oder Destiny’s Child. Das klang für uns einfach cooler, weltläufiger. Inzwischen wertschätzen und entdecken wir unser äthiopisches Erbe aber immer mehr. Wir müssen unbedingt mal dorthin!

Spielt Ihre jüdische Identität in Ihrer Musik auch eine Rolle?

In Äthiopien würden wir darüber gern mehr herausfinden: Was ist das kulturelle Erbe der äthiopischen Jüdinnen und ­Juden? Die meisten sind wegen der Un­terdrückung vor Ort nach Israel ausgewandert. Auch Israel ist daher natürlich ein interessantes Land für uns. Aber aktuell befinden wir uns ja in der aschkenasischen Welt. Vielleicht sollten wir daher erstmal mit Klezmer-Elementen anfangen (lacht)?

Das spontane, kreative Spiel mit verschiedenen Stilelementen ist auch das übergeodnete Thema Ihres Songs "Xtra".

"Xtra" war unser allererster Song. Noch immer macht er für mich sehr viel Sinn. Ich selbst bin nicht nur extra-size, sondern auch eine Schwarze Frau aus der Ukraine, dazu noch jüdisch und nun in Deutschland. Alles in allem also: Xtra. Und jede*r kann die eigene xtra-Seite ­finden. Jede Person hat eine Superkraft. Du musst sie nur finden, polieren und ein ­Diamant werden!

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FoSho
HipHop-Band

Wird diese Botschaft auch im Musikvideo zu "Xtra" reflektiert?

Ja. Wir tragen zum Beispiel immer wieder unsere beruflichen Outfits: Miriyam ihre Bürokleidung, Siona eine Schuluniform und ich, als Zahnärztin, einen OP-Kittel. Ich spiele aber auch mit einer Handbohrmaschine. Das fanden wir lustig. Wir sind also alle drei ganz normale Leute, nur ein bisschen xtra.

Eins Ihrer Lieder ist nach dem "Schwarzen Quadrat" des ukrainischen Avantgardemalers Kasimir ­Malewitsch (1879–1935) benannt. ­Worum geht es in diesem Song?

Zunächst hat es uns genervt, dass Malewitsch häufig als russischer Maler präsentiert wird. Tatsächlich ist er jedoch aus Kiew. Zudem kann man in Malewitschs Schwarzem Quadrat mehr entdecken als es auf den ersten Blick scheint: Leb’ dein Leben, entdecke dich selbst und deine ­Besonderheiten, verschwende deine Zeit nicht mit Nonsens, revolutioniere die Welt wie Malewitsch. Darum geht es in unserem Song. Was wir tun, ist wichtiger als woher wir kommen.

Was planen Sie für die Zukunft?

Kurz nach unserer Flucht hofften wir, schnell wieder in die Ukraine zurück­zukehren. Doch der Krieg wird nicht so schnell aufhören, und dort sind wir nicht in Sicherheit. Wenn wir nicht in der deutschen Bürokratie festhängen, dann bereiten wir uns aktuell auf die europäische Festivalsaison vor. Eigentlich hatten wir das schon letztes Jahr vor. Doch wegen ­Covid wurde daraus nichts.

Wo in Europa werden Sie auftreten?

Dieses Jahr spielen wir unter anderem auf dem Sziget-Festival in Ungarn, in Frankreich und wir haben einige Shows in Deutschland. Viele unsere männlichen Musiker-Kollegen können das übrigens nicht. Sie dürfen die Ukraine nicht verlassen – sie müssen kämpfen. In Charkiw hatten wir eine interessante HipHop-Szene. Wir haben uns gerne abends auf dem Platz vor der Oper getroffen. Ich weiß gar nicht, ob das Gebäude noch existiert.

Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

ZUR BAND

FoSho

Das HipHop-Projekt FoSho gründete sich 2019 in Charkiw (Ukraine): "Fo Sho" steht im US-amerikanischen Slang für "for sure" (klar). Auf Ukrainisch bedeutet "Sho?" soviel wie "Was?".

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