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Gegen das Stigma
Kurd*innen protestieren gegen den türkischen Einmarsch in Nordostsyrien (Berlin, Oktober 2019).
© John MacDougall / AFP / Getty Images
Kurd*innen sind eine der größten Einwanderungsgruppen in Deutschland. In ihrem Buch "Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen" beschäftigen sich drei Autor*innen mit der Unterdrückung kurdischen Engagements in Deutschland.
Von Hannah El-Hitami
Repression kann "explizit gewaltvoll sein, etwa wenn eine Tür eingetreten oder ein Mensch hinter Gitter gesteckt wird". Sie kann aber auch subtile Formen annehmen, wie die Autor*innen des Buchs "Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen" schreiben. "So erscheint ein Versammlungsbescheid, der eine Demonstration verbietet, zunächst einmal lediglich in der Gestalt eines harmlosen Briefes. Hält man sich jedoch nicht daran, so folgen teils robuste, teils auch brutale polizeiliche Praxen zur Auflösung einer ungenehmigten Versammlung." Repression passe nicht zu Deutschlands Selbstverständnis als demokratischer Rechtsstaat, heißt es weiter. Doch für politisch aktive Kurd*innen in Deutschland sei staatliche Repression "keine Ausnahme, sondern Alltag".
Der Soziologe Alexander Glasner-Hummel, Monika Morres, die Leiterin des kurdischen Rechtshilfefonds Azadi, und der Flucht-und Migrationsexperte der Hilfsorganisation medico international Kerem Schamberger haben die Repression der kurdischen Community in Deutschland genau untersucht. Das Buch hebt dabei besonders die Rolle hervor, die der Staat bei dieser Verfolgung spielt.
Als Bevölkerungsgruppe kaum wahrgenommen
Laut einer kürzlich veröffentlichten Expertise des Mediendienstes Integration leben schätzungsweise 1,3 Millionen kurdische Menschen in Deutschland. Damit stellen sie eine der größten Einwanderergruppen dar. Die meisten sind aus der Türkei eingewandert, andere kommen aus dem Irak, Syrien und dem Iran. Der Mediendienst Integration stellt fest, dass sie in Deutschland "Rassismus und Diskriminierung in unterschiedlichen Ausdrucksformen" erfahren. Zudem würden sie als Bevölkerungsgruppe kaum wahrgenommen, da es keinen kurdischen Staat gibt, und sie daher die Staatsbürgerschaft ihrer Herkunftsländer oder die deutsche oder gar keine Staatsbürgerschaft haben.
"Die Mehrheit der Kurd*innen in Deutschland gehört politisch der kurdischen Freiheitsbewegung an", sagt Alexander Glasner-Hummel. Der Sozialwissenschaftler beschäftigt sich seit 2019 mit der Kriminalisierung der kurdischen Freiheitsbewegung in Deutschland, die sich für die Rechte der Kurd*innen weltweit einsetzt. Deren Kultur und Identität wird insbesondere in der Türkei, aber auch in anderen Herkunftsregionen marginalisiert oder unterdrückt.
"Die kurdische Freiheitsbewegung ist fest in der kurdischen Gesellschaft verankert", sagt Kerem Schamberger von medico international. Sie werde jedoch oft fälschlicherweise mit der PKK gleichgesetzt, der Arbeiterpartei Kurdistans, die Abdullah Öcalan 1978 in der Türkei gründete. Die PKK strebte damals einen eigenen Staat für Kurd*innen an und versuchte, diesen mit Gewalt durchzusetzen. In Deutschland und anderen Staaten wurde die PKK als Terrororganisation eingestuft.
PKK-Verbot nicht mehr zeitgemäß
Inzwischen ist das PKK-Verbot umstritten, in der Türkei wird derzeit über eine Freilassung Öcalans diskutiert. Die PKK habe sich seit der Festnahme Öcalans 1999 stark gewandelt, schreiben Schamberger und seine Mitautor*innen: "Statt von einem straff organisierten Führungskader wird die kurdische Freiheitsbewegung heute von geteilten, weltanschaulichen Grundprinzipien zusammengehalten." Im Zentrum stehe nicht mehr der eigene Staat, sondern die Befreiung der Frau, die Demokratisierung und eine sozialökologische Lebensweise. 2020 entschied Belgien als erster EU-Staat, dass die PKK keine Terrororganisation sei, sondern eine Partei in einem bewaffneten Konflikt in der Türkei. Entscheidend dafür war, dass die PKK keine Zivilpersonen terrorisiert.
Auch in Deutschland haben Anwälte die Aufhebung des PKK-Verbots beantragt, eine Entscheidung des Innenministeriums steht noch aus. Glasner-Hummel glaubt nicht an einen Erfolg: "Der Schaden für die deutsch-türkischen Beziehungen wäre zu groß." Deutschlands politische und wirtschaftliche Verflechtungen mit der Türkei reichten zurück bis ins Osmanische Reich. Heute seien sie dadurch geprägt, dass die Türkei Geflüchtete von den EU-Grenzen abhalten soll.
Die Autor*innen begründen in ihrem Buch detailliert, warum das PKK-Verbot nicht mehr zeitgemäß ist. Unabhängig davon kritisieren sie die "massiven Grundrechtsverletzungen, die unter dem PKK-Betätigungsverbot begangen werden", und führen eine Reihe von Grundrechtseinschränkungen auf, die damit einhergehen. Engagement für die kurdische Freiheitsbewegung sei immer wieder ein Hinderungsgrund für die Einbürgerung in Deutschland oder für Asyl – trotz Verfolgung in der Türkei. Zudem würden kurdische Versammlungen oft verboten oder mit weitreichenden Auflagen versehen. "Begründet wird das in der Regel damit, dass dort verbotene Symbole gezeigt werden könnten", sagt Glasner-Hummel. Selbst Demonstrationen für Frieden oder gegen den Einmarsch türkischer Truppen in Nordostsyrien seien überwiegend verboten worden.
Schamberger nennt als Beispiel das kurdische Kulturfestival, das 2017 auf den Rheinwiesen in Köln stattfand. "Die Polizei argumentierte, dass dort Spenden für die PKK gesammelt werden", erinnert sich der Aktivist, der damals vor Ort war. Daraufhin erließ die Stadt ein Verbot, auf dem Festival etwas zu verkaufen. "Da waren zehntausend Menschen an einem sehr warmen Tag, und es durfte nicht einmal Wasser verkauft werden, weil gesagt wurde: Dieser Euro könnte an die PKK gehen."
"Repression soll isolieren"
Weitere Beispiele lassen sich nachlesen: So der Fall eines jungen Kurden in Bayern, der 2020 trotz vorbildlicher Leistungen nicht zum Polizeidienst zugelassen wurde. Weil er zwei Fotos auf Facebook geliked hatte, galt er als PKK-Unterstützer. Oder den einer fünffachen Mutter in Nordrhein-Westfalen, der das Jugendamt 2019 mit Entzug des Sorgerechts drohte, weil sie ihre Kinder auf PKK-nahe Demonstrationen mitgenommen hatte. Oder den eines kurdischen Verlags, der 2019 verboten wurde, weil er "den organisatorischen Zusammenhalt der PKK beförderte". Glasner-Hummel hält dieses Argument für gefährlich: "Wenn kurdische Bücher den organisatorischen Zusammenhalt der PKK fördern, dann kann folglich alles Kurdische mit diesem Argument kriminalisiert werden."
Die Repression soll isolieren, glauben die Autor*innen. Die kurdische Freiheitsbewegung werde mit einem Terrorismus-Stigma versehen. "Das führt dazu, dass sich andere Menschen fernhalten. Teils übernehmen sie das Stigma, teils haben sie Angst, ebenfalls kriminalisiert oder in etwas reingezogen zu werden, das sich nachteilig auf sie auswirkt." Aus Sicht der Autor*innen ist das nur teilweise gelungen. Innerhalb progressiver Teile der Gesellschaft gebe es heute ein breites Unterstützungsnetzwerk. Das helfe dabei, Abschiebungen zu verhindern, Einbürgerung einzuklagen oder Versammlungen trotz Hindernissen anzumelden. Mit ihrem Buch wollen Glasner-Hummel, Morres und Schamberger dazu beitragen, dass Solidarität mit Kurd*innen auch in der Mehrheitsgesellschaft ankommt.
Kerem Schamberger, Alexander Glasner-Hummel, Monika Morres: Geflohen. Verboten. Ausgeschlossen. Wie die kurdische Diaspora in Deutschland mundtot gemacht wird. Westend, Frankfurt. 216 Seiten, 24 Euro.