Amnesty Journal Ägypten 21. März 2018

Belagerte Hochschulen

Zeichnung einer aufgeschlagenen Zeitschrift

Seit der Machtübernahme vor fünf Jahren nehmen Regierung und Sicherheitskräfte in Ägypten die Universitäten stärker ins Visier.

Von Ilyas Saliba

Freiheit für die Wissenschaft und Unabhängigkeit der Universitäten in Lehre und Forschung – mit dieser Forderung machte 2004 eine Gruppe von ägyptischen Professoren und Universitätsangestellten auf sich aufmerksam, damals noch unter Präsident Hosni Mubarak. Die "Gruppe des 9. März" erinnerte durch ihren Namen an das Datum des Rücktritts des ersten Präsidenten der Kairoer Universität 1932, Lotfi al-Sayed. Den Schritt vollzog der liberale, antikolonialistische Intellektuelle, um gegen die politisch motivierte Absetzung des Dekans der Fakultät der Künste, Taha Hussein, durch das Bildungsministerium zu protestieren.

2018 erscheint das universitäre politische Engagement der "Gruppe des 9. März" wie der Aktivismus einer längst vergan­genen Epoche: Zwar treffen sich die Mitglieder weiterhin, doch von der Hoffnung auf mehr Freiheit in den Universitäten ist kaum etwas übrig.

Repression zieht sich wie ein roter Faden durch die postrevolutionäre Phase in Ägypten, die bald nach den Protesten gegen Präsident Mubarak auf dem Kairoer Tahrirplatz 2011 und der Machtübernahme durch den Hohen Militärrat (Scaf) begann – und in der Wahl des früheren Armeechefs Abdel Fattah al-Sisi zum Präsidenten 2014 gipfelte.

Um die akademische Freiheit ist es in den Universitäten am Nil seither ähnlich schlecht bestellt wie vor achtzig Jahren unter der Monarchie. Denn Sisis hartes Durchgreifen gegen kritische Stimmen ist längst nicht mehr nur auf unliebsame Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Mitarbeiter von in- und ausländischen Stiftungen sowie politische Konkurrenten beschränkt. ­Bereits im Vorfeld der Absetzung des ersten frei gewählten ägyptischen Präsidenten, dem Muslimbruder Mohammed Mursi, im Juli 2013 hatten Sicherheitsorgane die Universitäten auf dem Radar.

Studierende, die den Muslimbrüdern politisch nahestanden, protestierten damals an vielen Hochschulen des Landes. Es folgte eine umfassende Verhaftungswelle durch die Sicherheitskräfte. Laut einer Studie der Ägyptischen Organisation für Gedanken- und Meinungsfreiheit (Afte) wurden allein in den ersten drei Jahren nach dem Sturz Mursis mehr als 1.100 Studierende festgenommen. Die von Interimspräsident Adli Mansur in den Jahren 2013 und 2014 erlassenen Protestgesetze, neue Antiterrorbestimmungen sowie Änderungen der Universitätsverordnung sorgten für erhebliche Einschränkungen der akademischen Freiheit.

Auf 1.051 disziplinarische Maßnahmen kommen die Forscher von Afte, bei mehr als der Hälfte handelte es sich um Entlassungen. In 65 Fällen wurden Studenten vor Militärgerichte gestellt, außerdem kam es bis Sommer 2016 bei Protesten an Universitäten zu 21 außergerichtlichen Erschießungen. Das ­harsche Vorgehen gegen Kritiker des Sisi-Regimes sei erst nach dessen weitgehender Konsolidierung 2016 abgeflaut, heißt es in einer Afte-Studie mit dem Titel "Belagerte Universitäten".

Die Überwachung wurde zudem durch polizeiliche Präsenz auf dem Gelände der Hochschulen und die Installierung von ­Geheimdienstmitarbeitern in den Universitätsverwaltungen ausgeweitet. 2010 hatte die Regierung noch per Dekret den Einsatz von Sicherheitskräften verboten – im Zuge der Proteste gegen Mubarak erkämpfte sich die Studentenbewegung bis 2013 weitere Rechte. Und sie stand an vorderster Front, was die Kritik von Menschenrechtsverletzungen durch den Hohen Militärrat anging.

So gesehen ist Sisis Vorgehen auch eine Reaktion auf die kritische Haltung von Wissenschaftlern und Studierenden in den beiden ersten Revolutionsjahren. Seither ersetzten regierungstreue Wissenschaftler vielerorts Universitätspräsidenten, die aus politischen Gründen entlassen wurden. Begleitet wurde das von Disziplinarverfahren, Verleumdungskampagnen und Anklagen. Renommierte Sozialwissenschaftler wie Amr Hamzawy oder Emad Shahin sahen sich aufgrund von Berufsverboten und Anklagen gezwungen, Ägypten zu verlassen.

Bis August 2017 hat der Academic Freedom Monitor 24 Fälle von Verletzung der Wissenschaftsfreiheit in Ägypten festgestellt. Aufgrund der wenig systematischen Erhebung ist die Dunkelziffer vermutlich deutlich höher. Der Nordamerikanische Verband für Nahoststudien (MESA) hatte bereits 2014 mit einer Sicherheitswarnung für seine Mitglieder auf die prekäre Sicherheitslage von Wissenschaftlern reagiert. Die Vorwürfe an die ägyptischen Behörden reichten von der Verweigerung der Ein- und Ausreise bis zur direkten Einmischung in Universitätsangelegenheiten durch die Exmatrikulation von Studierenden und die Entlassung kritischer Fakultätsmitglieder.

Zum Klima der Angst unter Akademikern trug auch der grausame Tod des Sozialwissenschaftlers Giulio Regeni im Februar 2016 bei. Gut eine Woche nach seinem Verschwinden ­wurde der schwer misshandelte Körper des italienischen Doktoranden nördlich von Kairo am Rande der Schnellstraße nach Alexandria gefunden. Italienische Ärzte machten durch eine Autopsie öffentlich, dass er an inneren Blutungen gestorben war, nachdem man ihn tagelang gefoltert hatte. Italien zog da­raufhin aus Protest seinen Botschafter aus Kairo ab; doch kehrte er im August 2017 nach Ägypten zurück.

Das Schicksal von Regeni rüttelte auch die Forschergemeinde auf, unter den Hashtags #hediedasoneofus, #veritapergiulioregeni und #truthforgiulio fand im Internet eine Welle der Solidarisierung statt. Viele Universitäten in Europa und Nordamerika raten seit dem Mord von Forschungsaufenthalten in Ägypten ab oder verbieten diese sogar. Obwohl die Krise mit Italien mittlerweile beigelegt ist, heißt es aus Kairo weiterhin, die Behauptung, ägyptische Sicherheitskräfte seien in den Fall verwickelt gewesen, sei eine Verschwörung gegen Ägypten, mit dem Ziel, das Land zu destabilisieren und das gute Verhältnis zwischen Kairo und Rom zu zerrütten.

Die Justiz in Italien sieht das anders: Am 25. Januar 2018, zwei Jahre nach Regenis Verschwinden, stellte der ermittelnde Staatsanwalt Giuseppe Pignatone fest, dass der Doktorand aufgrund seiner Forschung umgebracht wurde und dass er bereits vor seiner Entführung ins Visier ägyptischer Sicherheitskräfte geraten war. Gepaart mit dem systematischen Vorgehen der ­Regierung gegen kritische Wissenschaftler und Studierende wirft der Fall ein dunkles Licht auf die Lage der akademischen Freiheit in Ägypten.

Ilyas Saliba ist Referent für Nahost und Nordafrika von Amnesty ­International Deutschland.

Weitere Artikel