Aktuell Jemen 22. Juni 2018

Behinderung von Hilfslieferungen bringt Zivilbevölkerung in Lebensgefahr

Minimalistische Zeichnung einer Explosion

Die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition schränkt die Lieferung lebenswichtiger Güter in den von einem bewaffneten Konflikt erschütterten Jemen weiterhin ein. Auch die De-facto-Behörden der bewaffneten Gruppe der Huthi verzögern in umfassendem Maße Hilfslieferungen in von Hunger bedrohte Gebiete und sollen Bestechungsgelder eingefordert haben. Die zunehmenden Beschränkungen durch die Militärkoalition könnten als Kriegsverbrechen eingestuft werden.

Millionen Menschen im Jemen sind in großer Gefahr, weil Angehörige der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition die Lieferung lebenswichtiger Güter, wie Nahrungsmittel, Treibstoff, medizinische Geräte und Medikamente, unterbinden. Wenn sie dann doch endlich ins Land gelassen werden, verzögern die De-facto-Behörden der bewaffneten Gruppe der Huthi die Verteilung der Hilfslieferungen.

Dies bestätigt auch Lynn Maalouf, Direktorin für den Nahen Osten bei Amnesty International.

Die Restriktionen haben immer gravierendere Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung. Millionen Menschen sind von einer Hungersnot bedroht und benötigen dringend humanitäre Hilfe. Wir können diese von Menschen verursachte humanitäre Krise nicht weiter ignorieren.

Lynn
Maalouf
Direktorin für den Nahen Osten bei Amnesty International

Seit 2015 hat die Militärkoalition ihre Seeblockade der von den Huthi kontrollierten Häfen von Saleef und al-Hudaida immer wieder verschärft. Die Beschränkungen der Handelseinfuhren haben auch verhindert, dass Nahrungsmittel in den Jemen gelangen. Dass die Lieferungen von Treibstoff, medizinischem Gerät und Medikamenten behindert und verzögert werden, hat zu einem Zusammenbruch der Gesundheitsversorgung im Land geführt.

Nachdem Huthi-Truppen eine Rakete auf Wohngebiete in Saudi-Arabiens Hauptstadt Riad gefeuert hatten, verstärkte die Koalition unter Saudi-Arabien die See- und Luftblockade um den Jemen. Der Zeitpunkt und auch die Art der Verschärfungen legen nahe, dass die Zivilbevölkerung damit kollektiv bestraft werden soll – was einem Kriegsverbrechen gleichkommt.

Auch die De-facto-Behörden der Huthi behindern die humanitäre Hilfe im Jemen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichteten Amnesty International von unverhältnismäßigen bürokratischen Verfahren, die zu massiven Lieferverzögerungen führen. 

Erst vergangene Woche eskalierte die Situation erneut: Jemenitische Streitkräfte, die von der Militärkoalition unterstützt werden, führten eine Offensive gegen die Stadt al-Hudaida durch. Eine Belagerung oder ein Kampf um al-Hudaida würde das Löschen von Lieferungen aus dem Hafen der Stadt unmöglich machen. Eine Unterbrechung dieser wichtigen Versorgungslinie würde die derzeit schlimmste humanitäre Krise weltweit noch weiter verschärfen.

Die Seeblockade der von Saudi-Arabien geführten Militärkoalition 

Saudi-Arabien begann im Jahr 2015 damit, Schiffe zu überprüfen und ihre Einfahrt in jemenitische Häfen am Roten Meer zu beschränken oder ganz zu verweigern. Diese Maßnahmen würden Saudi-Arabien zufolge das UN-Waffenembargo gegen die Huthi-Truppen unterstützen, das in der Resolution 2216 des UN-Sicherheitsrats festgelegt sei. Als Reaktion hat noch im gleichen Jahr der Verifikations- und Inspektionsmechanismus der Vereinten Nationen (UNVIM) seine Arbeit aufgenommen, um die Kontrolle von kommerziellen Güterimporten zu beschleunigen und gleichzeitig die Einhaltung des Waffenembargos zu gewährleisten.

Die Militärkoalition stellte ihre Schiffsinspektionen jedoch nicht ein, selbst wenn die Schiffe bereits vom UNVIM freigegeben waren. Damit sorgte sie für immense Verzögerungen: Im März 2018 mussten Schiffe, die jemenitische Häfen am Roten Meer anlaufen wollten, durchschnittlich 120 Stunden auf ihre Freigabe warten, im April 2018 waren es noch 74 Stunden. 

Am 15. März 2018 forderte der UN-Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten dazu auf, vom UNVIM bereits freigegebene Schiffe "effizient und schnell" zu kontrollieren. Die Militärkoalition ignoriert diesen Aufruf jedoch und missbraucht die Inspektionen, um die Auslieferung lebenswichtiger Güter und humanitärer Hilfslieferungen zu verzögern. 

Die Verzögerungen haben zu einem massiven Kraftstoffmangel geführt, der das Land lähmt und den Zugang zu Nahrungsmitteln und sauberem Wasser erschwert. Die schlechten hygienischen Zustände tragen außerdem zu einer Verbreitung vermeidbarer Krankheiten bei. Medizinisches Fachpersonal berichtete Amnesty International, dass der Kraftstoffmangel auch die Arbeit in den Krankenhäusern erschwere, da die Generatoren zur Stromerzeugung mit Benzin betrieben würden.

Lynn Maalouf stellt fest: "Diese übertriebenen Inspektionen der Schiffe haben katastrophale Auswirkungen auf den Jemen. Indem die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition die Einfuhr lebenswichtiger Güter wie Treibstoff oder Medikamente verzögert, missbraucht sie ihre Befugnisse auf grausame Weise und setzt die Zivilbevölkerung im Jemen zusätzlichem Leiden aus. Solche Blockaden, die der Zivilbevölkerung einen erheblichen und unverhältnismäßigen Schaden zufügen, sind völkerrechtlich verboten."

Die Behinderung von Hilfslieferungen durch die De-facto-Behörden der Huthi 

Amnesty International befragte elf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen, die seit Beginn des Konflikts im Jemen tätig sind. Alle berichteten übereinstimmend von einer Reihe an Maßnahmen, die von den De-facto-Behörden der Huthi durchgeführt würden, um die Lieferungen von Hilfsgütern zu erschweren und den Bewegungsradius von Helferinnen und Helfern einzuschränken.

Eine Helferin berichtete, dass ihre Organisation zwei Monate gebraucht habe, um bereits gelieferte Hilfsgüter von Sanaa aus weiterzutransportieren: "Der schwierigste Teil bestand darin, die Güter nach ihrer Ankunft im Jemen aus dem Warenlager zu bekommen." 

Eine andere Helferin gab an, dass die De-facto-Behörden der Huthi versuchten, die Verteilung der Hilfsgüter zu kontrollieren. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen würden "oft von Angehörigen der Huthi-Truppen dazu aufgefordert, ihnen die Hilfsgüter auszuhändigen, damit sie die Verteilung selbst übernehmen könnten." Mehrere NGO-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter berichteten, dass Beamte für die Genehmigung von Projekten oder den Zugang von Helferinnen und Helfern zu bestimmten Gebieten Bestechungsgelder eingefordert hätten. 

Auf Grundlage des humanitären Völkerrechts sind alle Konfliktparteien verpflichtet, unparteiische humanitäre Hilfe für die bedürftige Zivilbevölkerung zu ermöglichen und zu erleichtern. Außerdem müssen sie die Freizügigkeit von autorisierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern humanitärer Organisationen gewährleisten, damit diese ihrer Arbeit nachgehen können.

"Die wiederholte, umfassende und willkürliche Störung der Hilfslieferungen und deren Verteilung durch die Huthi-Streitkräfte fügt der Zivilbevölkerung einen unermesslichen Schaden zu", sagt Lynn Maalouf.

Die Huthi-Behörden müssen damit aufhören, Hilfslieferungen oder die Umsetzung humanitärer Projekte zu behindern. Gleichzeitig müssen sie wirksame Maßnahmen ergreifen, um Erpressungen zu unterbinden.

Lynn
Maalouf
Direktorin für den Nahen Osten bei Amnesty International

Saudi-Arabiens Verbündete müssen Stellung beziehen

Amnesty International fordert den UN-Sicherheitsrat dazu auf, dafür zu sorgen, dass alle Konfliktparteien im Jemen den UN-Agenturen und humanitären Hilfsorganisationen umgehend ungehinderten Zugang zur Leistung humanitärer Hilfe gewähren, damit sie die notleidenende Zivilbevölkerung im ganzen Land mit Nahrungsmitteln, Treibstoff sowie medizinischem Gerät und Medikamenten versorgen können. 

 

Der Sicherheitsrat sollte gezielte Sanktionen gegen diejenigen verhängen, die für die Verhinderung humanitärer Hilfe und weitere Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind. 

 

"Die von Saudi-Arabien geführte Militärkoalition muss die Beschränkungen für den Import lebenswichtiger Güter, die für die jemenitischen Häfen am Roten Meer bestimmt sind, umgehend aufheben und den Flughafen von Sanaa wieder für den Warentransport öffnen. Staaten, die die Koalition unterstützen – insbesondere die USA, Großbritannien und Frankreich – sollten entsprechenden Druck ausüben", fordert Lynn Maalouf.

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