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Jahr der Unterdrückung: Wie Hongkongs Führung versucht, friedliche Proteste zu diskreditieren
Eine Million Menschen gingen am 9. Juni 2019 in Hongkong auf die Straße, um für Demokratie und gegen den wachsenden Einfluß Chinas zu demonstrieren.
© The Asahi Shimbun via Getty Images
Genau ein Jahr nach der bis dato größten Demonstration in Hongkong setzt die dortige Regierung alles daran, weitere Proteste zu unterbinden. Um kritische Stimmen zu unterdrücken, soll ihr nicht nur das kürzlich verabschiedete nationale Sicherheitsgesetz dienen. Mithilfe von PR-Kampagnen versucht sie, friedliche Proteste als "Terrorismus" zu brandmarken.
Von Joshua Rosenzweig, Leiter des China-Teams bei Amnesty International
Es war ein "Ich war dabei"-Moment. Eine Million Menschen, auch Kinder und Großeltern, trotzten der hohen Luftfeuchtigkeit des Sommers, um sich in Massen in der Hennessey Road in Hongkong zu versammeln und die Rechte ihrer Stadt zu verteidigen. Der 9. Juni 2019 war ein Tag der Vorahnung, des Trotzes und der Hoffnung für diejenigen, die auf die Straße gingen, um sich gegen einen Gesetzentwurf zu wehren, der Auslieferungen nach China ermöglicht hätte.
Doch die Hongkonger Behörden möchten nicht, dass wir diesen Tag so in Erinnerung behalten.
Ein Jahr nach der größten Demonstration in Hongkong erfährt die Bewegung, die eine ganze Generation aufrüttelte, den Druck einer unerbittlich harten Regierung. In den vergangenen zwölf Monaten begegneten die Behörden den weitestgehend friedlichen Protesten mit Schlägen, Tränengas und Schüssen. Die wieder aufgenommenen Demonstrationen gegen den von Peking eingebrachten Gesetzentwurf zur nationalen Sicherheit treffen auf die bereits bekannte "harte Hand" der Polizei.
Jenseits des Aufruhrs der Straße legt die Hongkonger Regierung eine wohl kalkulierte Haltung an den Tag. Neben der brutalen Gewalt hat sie öffentliche Propaganda zur Waffe erklärt, um einen zweiten Sommer des Unmuts zu unterdrücken, noch ehe er richtig in Gang kommt.
Es war deshalb keine Überraschung, dass die zahnlose Hongkonger Polizeibeschwerdestelle die Polizeikräfte in ihrem im vergangenen Monat veröffentlichten "Fact-Finding-Bericht" von jedem Fehlverhalten freisprach. Schockierender war die Art und Weise, wie der Bericht die Demonstrationen mit Dreistigkeit umschreibt und die Protestierenden als die Agressor_innen hinstellt. Oder, genauer gesagt, als auf gewaltsame Störung versessene "Terrorist_innen".
Youtube-Video über die Proteste in Hongkong:
Nachdem der chinesische Volkskongress vergangene Woche den Grundsatzbeschluss für ein Sicherheitsgesetz für Hongkong fasste und nun in die nächste Stufe der gesetzlichen Konkretisierung eingestiegen wird, sollte es keinen Zweifel geben: Dies ist Pekings
Dies ist eine Strategie aus der Trickkiste der nationalen Sicherheit der chinesischen Regierung. Denn dort hat Stabilität die höchste Priorität, auch vor Menschenrechten. Kritiker_innen werden beschuldigt, diese Stabilität zu gefährden. Mithilfe dieser Formel kann das Narrativ zuverlässig kontrolliert werden, von dem auch Donald Trump derzeit Gebrauch macht: Die Black-Lives-Matter-Proteste sind seinem Empfinden nach "Terrorismus".
Die angebliche Bedrohung Hongkongs durch den "Terrorismus" ist es nun, die China angeblich keine andere Wahl lässt, als durchzugreifen. Und zwar mit einem Gesetz zur nationalen Sicherheit, das schon in den nächsten Monaten in Kraft treten könnte.
Wie das Gesetz im Detail aussehen könnte, ist kaum bekannt. Doch ein Blick in die Vergangenheit ist Grund genug zur Sorge: Auch früher wurde bereits mithilfe allgemein und vage formulierter Gesetze jegliche Art von Dissens niedergeschlagen. Anschuldigungen wie "Separatismus, Subversion, Terrorismus und ausländische Einmischung" lassen befürchten, dass das Gesetz als Druckmittel eingesetzt wird, um Unterstützer_innen der Bewegung zu bestrafen.
Die große Härte des Gesetzes zur nationalen Sicherheit schickte eine Schockwelle durch die Demokratiebewegung. Doch dies ist nur die jüngste Eskalation des Dauerangriffs auf die Menschenrechte in Hongkong.
Als die Hongkonger Regierungschefin Carrie Lam bei der Pressekonferenz den substanzlosen Bericht zur Polizeikontrolle vorstellte, war im Hintergrund das Foto einer in Flammen stehenden Barrikade mit dem Titel "Die Wahrheit über Hongkong" zu sehen.
Die Tatsache, dass einige Protestierende auf den Höhepunkt der Proteste zu Gewalt griffen, wurde von den Behörden hochstilisiert und als Waffe eingesetzt. Doch diese Demonstrierenden stellten im Vergleich zu den friedlichen Protesten nur eine winzige Minderheit dar.
Die Regierung glaubt, dass sie diesen Kampf gewinnen muss, um die Kontrolle über das Narrativ zurückzuerlangen – sowohl zuhause als auch im Ausland. Das wird durch eine aktuelle 30-Millionen-Dollar teure globale Kampagne deutlich: Sie soll den Anschein der Freiheit vermitteln und den Erfolg bei der Niederschlagung gewalttätiger Proteste zeigen – Proteste von einer Minderheit, die nun als die Täter_innen der "Aufstände" von 2019 hingestellt werden. Doch trotz aller Regierungsanstrengungen ist die Protestbewegung in Hongkong weit davon entfernt, sich geschlagen zu geben.
Währen der Covid-19-Pandemie gab es keine großen Demonstrationen. Der Widerstand zeigte sich aber dafür im alltäglichen Leben wie das Beispiel des "Gelben Wirtschaftskreises" verdeutlicht. Zu diesem Kreis gehören lokale Geschäfte, die die Ziele der Protestbewegung unterstützen. Diese "gelben" Unternehmen – Gelb ist die Farbe der Protestbewegung – erhielten in Zeiten von Covid-19 wiederum Unterstützung der Protestbewegung.
Jetzt kehren die Menschen angesichts der besseren Gesundheitslage langsam wieder auf die Straße zurück, trotz anhaltender Abstandsmaßnahmen, die manches Mal eingesetzt wurden, um die Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit einzuschränken. Die große Mehrheit bleibt friedlich – genau wie vor einem Jahr auf der Hennessey Road.
Die Kreativität und Widerstandskraft der Protestierenden macht es der Regierung fast unmöglich, sie zum Schweigen zu bringen. Statt sich die Forderungen anzuhören, beharrt die Regierung allerdings auf einen immer erbitterteren Kampf gegen den selbstgemachten Feind.
Da junge und alte Protestierende immer wieder das Wort ergreifen, Lieder singen und Slogans rufen, wirkt es hinterlistig, diese Bewegung als eine Bedrohung für die Stadt darzustellen. Die Protestierenden hatten nie die Absicht, Hongkong zu Fall zu bringen, sie versuchen die Stadt zu retten.
Der Beitrag wurde zuerst auf Englisch in der "Hong Kong Free Press" veröffentlicht.