Amnesty Journal Deutschland 21. Oktober 2019

Vom Tweet zur Tat

Diese Illustration zeigt einen Mann in Jeans und T-Shirt, der sich die Hände über den Kopf hält, weil er angegriffen wird von einem Schwarm Vögel, die dem Twitter-Logo ähneln

Hassreden im Internet befördern Übergriffe von Rechtsextremisten. Vier Betroffene berichten aus ihrem Alltag.

"Hate Speech" im Internet, abwertende und gewalttätige Botschaften, werden zu einer handfesten Gefahr für Menschen, die für eine offene, diverse Gesellschaft einstehen und sich gegen rechte Ideologien wehren. "Das Internet ist kein rechtsfreier Raum", sagt Anetta Kahane, Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung. Werden strafrelevante Kommentare angezeigt, müssen die Urheber mit hohen Geldstrafen oder gar Gefängnis rechnen. Doch die Anonymität im Netz erschwere die strafrechtliche Verfolgung.

"Hass ist nur die Idee von Gewalt", sagt Kahane. "Hate Speech triggert Aggressionen – gerade wenn sie organisiert auftritt, besteht die Gefahr, dass sie über das Netz hinausgeht." Vor allem rechtsextreme Organisationen oder Parteien wie die AfD schüren Aggressionen und animieren, Hassäußerungen zu teilen. Das Netz wirkt als Multiplikator. Tatsächlich nimmt gruppenbezogener Hass laut Kriminalstatistik in Deutschland zu. So sind die Zahlen rassistischer und antisemitischer Straftaten 2018 im Vergleich zum Vorjahr um fast 20 Prozent gestiegen.

"Der Hass ist ein Angriff auf unsere Demokratie" 

Über die damalige Staatsministerin für Integration, Aydan Özoğuz, sagte der AfD-Politiker Alexander Gauland im August 2017 bei einer Wahlkampfveranstaltung, dass man sie in Anatolien "entsorgen" könne. Özoğuz berichtet von dem Hass, der sie daraufhin erreichte: 

"Der Hass kam nach Gaulands Attacke über Social-Media, über Twitter – gern auch anonym. Als Migrantin und Frau bin ich dafür scheinbar prädestiniert. Sie schrieben mir, dass ich keine Deutsche sei und darum keine Abgeordnete sein könne. Ich habe gedacht, es normalisiert sich, dass Menschen mit ei- nem Namen wie meinem politische Ämter haben. Dass nicht alle blond sind und blaue Augen haben. Aber das wird inzwischen stärker in Frage gestellt. Ich erfuhr aber auch Solidarität von Menschen, die sich an die NS-Zeit erinnert fühlten. Einige haben gesagt: So ging das damals auch los. Ich habe den Ein- druck, manche Leute nehmen es billigend hin, dass mit Hass gearbeitet und ausgegrenzt wird. Aber der Hass ist ein Angriff auf unsere Demokratie. Das Ziel ist, die Menschen abzustumpfen. Dabei wird gezielt mit Falschmeldungen gearbeitet, erfundene Tatsachen werden immer wieder in Diskurse eingebaut."

"Du erkennst irgendwann ein Muster" 

Die Autorin Felicia Ewert schreibt auf Twitter über ihr Leben als Transfrau. Im Internet bekommt sie regelmäßig Gewalt- bis hin zu Morddrohungen: 

"Misogyne, also frauenfeindliche, und homophobe Beleidigungen sind noch die schwächeren Formen von Anfeindungen, die mich erreichen – vor allem auf Twitter. Es gibt Diskussionen über meinen Körper, und wie er beschaffen sei, über Gewaltfantasien bis hin zu tatsächlichen Drohungen und Suizidaufforderungen. Das kommt ganz klar von rechts. Es hat im Netz angefangen, mittlerweile bekomme ich aber auch Drohbriefe. Die Leute haben meine Wohnadresse. Ich glaube, sie bestärken sich mit ihren Kommentaren gegenseitig, bis sie denken: Twitter reicht nicht, ich mache jetzt etwas Krasseres. Es ist oft nicht nachvollziehbar, wer dahintersteckt. Vieles kommt anonym. Das sind Leute, die wahrscheinlich Dutzende Accounts gleichzeitig betreiben. Du erkennst ein Muster darin, wie sich Leute immer wieder absprechen und wie kalkuliert und teilweise auch sehr professionalisiert sie sich äußern – etwa wenn Textbausteine immer wieder verschickt werden. Du siehst, dass die Leute wieder und wieder das Gleiche schreiben, obwohl du es schon dutzendfach argumentativ zerlegt hast."

"Die Kommentare machen sichtbar, was in den Köpfen der Menschen rumort"

Die jüdische Bloggerin Juna Grossman erlebt im Netz regelmäßig Antisemitismus: 

"Der Hass hat angefangen, bevor ich auf Twitter war – auf meinem Blog "irgendwie jüdisch" im Sommer 2014. Er stand in Zusammenhang mit dem Konflikt in Gaza. Damals wurde vor deutschen Synagogen gerufen: "Juden ins Gas." Die Juden würden sich Hitler noch zurückwünschen, hieß es in einem Kommentar. Und dass wir an allem schuld seien. Der Post war justiziabel, und damals waren solche Kommentare nicht ganz so gängig wie heute. Die Polizei hat engagiert ermittelt. Aber sie konnten die Person nicht ausfindig machen, damals ließ ich Kommentare auf meinem Blog noch anonym zu. Solche Äußerungen erreichen mich immer wieder. Es sind vor allem Rechte, die dahinter stecken, aber auch Durchschnittsbürger. Die Kommentare machen sichtbar, was in den Köpfen der Menschen rumort. Im Internet bekomme ich solche Kommentare häufiger als auf der Straße, aber ich habe so was auch erlebt, als ich im Jüdischen Museum gearbeitet habe. Sie kamen und dachten, sie können jetzt sagen, was sie schon immer sagen wollten. Häufig fallen Kommentare wie: Man müsse sich ja nicht wundern, dass es Antisemitismus gibt, wenn man nach Israel gucke. Oder: Dich haben sie damals wohl vergessen. Ich versuche, das auszublenden: Schließlich will ich mein Leben leben, anderenfalls hätten sie ja gewonnen."

"Man muss widersprechen" 

Auch zivilgesellschaftliche Organisationen sind von Hass betroffen. Davon erzählt Sebastian Lupke, der den Twitter-Account von Amnesty Sachsen betreut: 

"Das Thema Flüchtlinge wird immer als Anlass genommen, um etwas Provokatives zu posten. Selten tritt das organisiert auf, aber mitunter kommt es vor. Einmal haben plötzlich Dutzende auf unserer Seite geschrieben, wo wir doch gerade mal 450 Follower haben – da wusste ich: Das ist organisiert. Ich gucke mir die Profile an, oft sind das Leute mit wenigen Followern. Ich beurteile dann, ob es sich lohnt, zu antworten und mit ihnen ein Gespräch zu beginnen. Meist reagiere ich, weil ich will, dass Mitlesende sehen, was nicht geht. Ich finde, man muss widersprechen. Oft erkennt man an den Seiten, denen die Hasser selbst folgen, woher sie kommen: Sie folgen der AfD oder Identitären. Bei Veranstaltungen werden wir regelmäßig angepöbelt – meistens von rechten Verschwörungstheoretikern. Und wenn die AfD weiter an Stimmen dazugewinnt, ist das für Rechte ein Signal, dass sie noch mehr pöbeln können. Direkte Drohungen haben wir bislang nicht bekommen. Letztens lief in Chemnitz am helllichten Tag jemand mit dem Aufdruck des Wortes "Hakenkreuz" herum – ohne Vokale. Hier kannst du so durch die Gegend laufen und keiner sagt etwas. Schleichend wird auch das normal."

Protokolle: Lea De Gregorio

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