Pressemitteilung Aktuell Ukraine 06. Dezember 2022

Ukraine: Ältere Menschen sind besonders stark von Auswirkungen des russischen Angriffskriegs betroffen

Eine ältere Frau mit Gehstock wird beim Verlassen ihres Grundstücks von einer Soldaten in Uniform und einem Mann in Zivilkleidung gestützt. Alle abgebildeten Personen tragen Winterkleidung.

Eine ältere Frau wird in der ukrainischen Region Charkiw evakuiert, um sie vor den Angriffen der russischen Armee in Sicherheit zu bringen (Oktober 2022).

Für ältere Menschen in der Ukraine ist das Risiko, bei Angriffen der russischen Streitkräfte verletzt oder getötet zu werden, besonders hoch. Senior*innen leben vielerorts unter gefährlichen Bedingungen in zerstörten Häusern oder sind nach ihrer Vertreibung infolge der russischen Invasion in überlasteten staatlichen Einrichtungen untergebracht. Zu diesen Ergebnissen kommt Amnesty International in einem neuen Bericht.

In dem Bericht "'I used to have a home’: Older people’s experience of war, displacement, and access to housing in Ukraine" stellt Amnesty International nach Recherchen vor Ort fest, dass ältere Menschen in der Ukraine besonders stark von den Auswirkungen des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen das Land betroffen sind.

Janine Uhlmannsiek, Expertin für Europa und Zentralasien bei Amnesty International in Deutschland, sagt: "Seit Wochen attackieren die russischen Streitkräfte die Energieversorgung in der Ukraine. Mit diesen rechtswidrigen Angriffen auf zivile Infrastruktur will das russische Militär Angst und Schrecken verbreiten und der Bevölkerung bei eisigen Wintertemperaturen den Zugang zu Heizung, Strom und Wasser entziehen. Russlands brutaler Angriffskrieg trifft ältere Menschen in der Ukraine besonders hart. Viele bleiben in Regionen zurück, in denen sie regelmäßig durch unerbittliche Boden- und Luftangriffe in Gefahr geraten. Manche leben in Wohnungen, die durch den Krieg stark beschädigt wurden. Russland muss seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg endlich beenden."

Amnesty International dokumentiert im vorliegenden Bericht, dass ältere Menschen in Wohnungen ohne Strom, Gas oder fließendes Wasser leben. Fenster oder Dächer, die während der Kämpfe beschädigt wurden, bieten vor Regen, Schnee und Kälte keinen Schutz mehr. Manche ältere Menschen berichteten Amnesty International, dass sie in ihren Häusern bleiben wollen. Andere schilderten der Menschenrechtsorganisation, dass sie nicht ausreichend über Evakuierungsmaßnahmen wussten oder diese nicht wahrnehmen konnten. Gleichzeitig hat die ukrainische Regierung  erhebliche Anstrengungen zur Evakuierung der Bewohner*innen von umkämpften Gebieten unternommen. So hat sie im Juli die obligatorische Evakuierung von rund 200.000 Menschen aus der Region Donezk angeordnet. Dies sind wichtige Bemühungen, die das Leben vieler älterer Menschen retten können.

Der Bericht dokumentiert darüber hinaus, dass ältere Menschen, die aus den umkämpften Gebieten fliehen, oft Schwierigkeiten haben, eine geeignete Unterkunft zu finden. Notunterkünfte sind für ältere Menschen mit Behinderungen in vielen Fällen unzugänglich oder verfügen nicht über ausreichende Mittel, um diese Personengruppe zu unterstützen. Einige ältere Menschen, die geflohen sind, berichteten zudem, dass sie sich die Mietkosten einer neuen Unterkunft nicht leisten konnten. So wurden tausende ältere Menschen in überlasteten staatlichen Einrichtungen untergebracht, die aufgrund eines durch die russische Invasion verschärften Personalmangels die erforderliche Betreuung nicht gewährleisten können.

Die ukrainischen Behörden sollten die Unterbringung älterer Menschen, die vor dem Krieg fliehen, nicht allein bewältigen müssen. Amnesty International fordert die internationale Staatengemeinschaft auf, die freiwillige Evakuierung älterer Menschen in geeignete Unterkünfte im Ausland zu unterstützen, wo immer dies möglich ist. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei auf Personen mit Behinderungen liegen.

"Die internationale Staatengemeinschaft und auch die Bundesregierung sind gefordert, die Unterstützung für ältere Menschen in der Ukraine zu verstärken. Die Bedürfnisse von älteren Menschen und Menschen mit Behinderung sollten in humanitäre und entwicklungspolitische Maßnahmen umfassend einbezogen werden", sagt Uhlmannsiek.

In den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine schränken die russischen Streitkräfte den Zugang für humanitäre Hilfe stark ein. Diese massive Verletzung des humanitären Völkerrechts wirkt sich auch negativ auf die Gesundheitsversorgung aus. Das betrifft ältere Menschen, die häufiger gesundheitliche Probleme haben, in besonderem Maße. Dazu sagt Uhlmannsiek: "Die internationale Staatengemeinschaft sollte den Druck auf die russische Führung erhöhen, den humanitären Zugang zu russisch kontrollierten Gebieten in der Ukraine sicherzustellen."

Tweet von Amnesty International:

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Hintergrund

In der Ukraine machen die über 60-Jährigen knapp ein Viertel der Bevölkerung aus. Gleichzeitig sind ältere Menschen unverhältnismäßig stark von den Angriffen betroffen: Nach Angaben des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte, das Daten über zivile Opfer in der Ukraine sammelt, machten Menschen über 60 Jahre 34 Prozent der von Februar bis September 2022 getöteten Zivilpersonen aus (sofern ein Alter angegeben wurde).

Amnesty International hat für diesen Bericht 226 Personen befragt, unter anderem bei persönlichen Besuchen in sieben staatlichen Einrichtungen. Die Untersuchung wurde zwischen März und Oktober 2022 durchgeführt und umfasste eine vierwöchige Reise in die Ukraine im Juni und Juli 2022.

Verantwortung für Kriegsverbrechen

Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die gesamte Ukraine am 24. Februar 2022 dokumentiert Amnesty International Kriegsverbrechen und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht. Alle Berichte von Amnesty International sind auf amnesty.org zu finden.

Amnesty International hat in den vergangenen Monaten wiederholt dazu aufgerufen, die Verantwortlichen für die Aggression gegen die Ukraine sowie für Menschenrechtsverstöße und Kriegsverbrechen zur Rechenschaft zu ziehen. Amnesty International begrüßt die fortlaufenden Untersuchungen des Internationalen Strafgerichthofes in der Ukraine sowie die Ermittlungen des Generalbundesanwalts in Deutschland. Eine umfassende Einforderung der Rechenschaftspflicht kann nur mit konzertierten Aktionen der Vereinten Nationen und ihrer Organe und mit Initiativen auf nationaler Ebene gemäß dem Weltrechtsprinzip gelingen.

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