Pressemitteilung Aktuell Iran 13. September 2023

Iran: Ein Jahr nach Beginn der Proteste ist die internationale Gemeinschaft in der Pflicht

Demonstration in Berlin wenige Tage nach dem gewaltsamen Tod von Jina Mahsa Amini im Iran (Aufnahme vom 28. September 2022).

Länder weltweit müssen auf internationaler Ebene eine Handhabe gegen die im Iran herrschende systemische Straflosigkeit finden. Dies fordert Amnesty International heute anlässlich des ersten Jahrestags des Todes der Kurdin Jina Mahsa Amini im Iran, der die aktuellen Proteste im Land initiierte.

Amnesty International fordert am Jahrestag des Beginns der landesweiten Demonstrationen unter dem Slogan "Frau, Leben, Freiheit" im Iran, dass die iranischen Staatsbediensteten zur Verantwortung gezogen werden, die für Folter und rechtswidrige Tötungen von mehreren hundert Protestierenden verantwortlich sind.

Die Behörden der Islamischen Republik Iran haben zahlreiche völkerrechtliche Verbrechen begangen, um jegliche Kritik im Keim zu ersticken: So wurden mindestens sieben Protestierende willkürlich hingerichtet, hunderte Menschen rechtswidrig getötet und Zehntausende Menschen willkürlich festgenommen. Folter ist an der Tagesordnung, darunter Vergewaltigungen im Gefängnis. Die Familien der Opfer werden schikaniert. Frauen und Mädchen müssen mit Vergeltungsmaßnahmen rechnen, wenn sie dem diskriminierenden gesetzlichen Kopftuchzwang nicht nachkommen.

Julia Duchrow, stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, sagt:

"Die iranischen Behörden haben im vergangenen Jahr unsägliche Grausamkeiten gegen Menschen im Iran verübt, die sich mutig gegen jahrzehntelange Unterdrückung und Ungleichheit gewehrt haben. Ein Jahr nachdem Jina Mahsa Amini im Gewahrsam gestorben ist, sind diejenigen Staatsbediensteten, die während und nach den Unruhen Verbrechen begangen haben, immer noch nicht strafrechtlich verfolgt und bestraft worden. Der Jahrestag der Protestbewegung 'Frau, Leben, Freiheit' ist Anlass für uns von allen Ländern der Welt zu fordern, dass die furchtbaren Verbrechen der iranischen Behörden unter dem Weltrechtsprinzip strafrechtlich aufgearbeitet werden. So muss auch Deutschland das Weltrechtsprinzip anwenden. Die Bundesregierung muss die iranischen Behörden auffordern, den rechtswidrigen Einsatz von Schusswaffen gegen Demonstrierende einzustellen, Gefangene nicht zu foltern und alle Personen freizulassen, die lediglich wegen der friedlichen Ausübung ihrer Menschenrechte inhaftiert sind."

Das Bild zeigt eine große Menschenmenge auf der rechten Seite, links stehen viele bewaffnete Polizisten

Sicherheitskräfte gehen in der iranischen Hauptstadt Teheran mit Gewalt gegen Protestierende vor, die Aufklärung im Fall der getöteten Mahsa Amini fordern (20. September 2022).

Gesetzlicher Kopftuchzwang mit Gewalt durchgesetzt

Trotz monatelanger Proteste gegen den gesetzlichen Kopftuchzwang hat die iranische "Sittenpolizei" ihre Arbeit wieder aufgenommen. Die Behörden haben weitere Maßnahmen eingeführt, um Frauen und Mädchen ihrer Rechte zu berauben, die sich der Verschleierungspflicht widersetzen.

So beschlagnahmen sie beispielsweise Autos und verweigern Frauen den Zugang zu Beschäftigung, Bildung, Gesundheitsversorgung, Bankdienstleistungen und öffentlichen Verkehrsmitteln. Gleichzeitig werden Frauen strafrechtlich verfolgt und zu Haft- und Geldstrafen verurteilt. Es werden auch erniedrigende Strafen wie das Waschen von Leichen gegen sie verhängt.

Dieser Angriff auf die Rechte der Frauen wird von hasserfüllten offiziellen Äußerungen begleitet, die das Ablegen des Kopftuchs als "Virus", "soziale Krankheit" oder "Störung" bezeichnen und die Entscheidung, sich ohne Kopftuch zu zeigen, mit "sexueller Verdorbenheit" gleichsetzen.

Das Bild zeigt mehrere junge Frauen, die von der Kamera wegschauen und ihre Hände halten

Widerstand im Klassenzimmer: Iranische Schülerinnen protestieren ohne Kopftuch gegen den Kopftuchzwang (Archivaufnahme vom Herbst 2022).

Tötungen, massenhafte willkürliche Inhaftierungen und Vorladungen

Zwischen September und Dezember 2022 gingen die Sicherheitskräfte brutal und mit militärischen Mitteln gegen Protestierende vor und waren für die rechtswidrige Tötung Hunderter Demonstrierender und Unbeteiligter verantwortlich, darunter auch Dutzende Minderjährige. Mehr als die Hälfte der rechtswidrig Getöteten gehörte den unterdrückten belutschischen oder kurdischen Minderheitengruppen an.

Während der Proteste 2022 feuerten die Sicherheitskräfte rechtswidrig mit scharfer Munition und Metallkugeln, um die Demonstrierenden auseinanderzutreiben und Angst zu verbreiten. Dabei trugen Tausende Menschen Verletzungen davon, die Folter oder anderer Misshandlung gleichkamen – einige Menschen erblindeten, verloren Gliedmaßen oder haben seither eine eingeschränkte Mobilität. Darüber hinaus wurden unter Aufsicht der Behörden Tausende inhaftierte Demonstrierende gefoltert und anderweitig misshandelt, auch Minderjährige.

Während der Proteste und in den darauffolgenden Monaten nahmen die Behörden Zehntausende Menschen willkürlich fest, darunter Demonstrierende, Menschenrechtsverteidiger*innen und Personen, die sich für die Rechte von Minderheiten einsetzen. Unter den Festgenommenen befanden sich mindestens 90 Journalist*innen und andere Medienschaffende sowie 60 Rechtsbeistände, von denen einige die Familienangehörigen von rechtswidrig getöteten Personen vertraten.

Vor dem Jahrestag setzen die Behörden wieder verstärkt auf willkürliche Festnahmen und nehmen u. a. Familienmitglieder von getöteten Demonstrant*innen ins Visier. Zudem sind Tausende Universitätsstudierende gezwungen worden, sich schriftlich zu verpflichten, nicht an Protesten zum Jahrestag teilzunehmen.

Das Bild zeigt eine Person mit Gewehr, die hinter einem Zaun steht und zielt.

Iranische Sicherheitskräfte haben seit dem 30. September 2022 in der Provinz Sistan und Belutschistan 
Dutzende Menschen getötet, die gegen die Regierung protestiert hatten.

Hinrichtung von Protestierenden

Im vergangenen Jahr haben die Behörden die Todesstrafe zunehmend als Mittel politischer Unterdrückung eingesetzt, um die Öffentlichkeit in Angst und Schrecken zu versetzen. So wurden in Verbindung mit den Protesten mindestens sieben Männer willkürlich hingerichtet, nachdem sie in grob unfairen Scheinprozessen zum Tode verurteilt worden waren. Die Hinrichtungen wurden vollstreckt, nachdem der Oberste Gerichtshof die Schuldsprüche und Todesurteile trotz mangelnder Beweise und ohne Untersuchung ihrer Foltervorwürfe bestätigt hatte.

Duchrow sagt: "Die iranischen Behörden nutzen die Todesstrafe verstärkt als Mittel politischer Unterdrückung. Sie setzen diese Strafe ein, um die Menschen im Iran zu quälen und zu terrorisieren und sie mit brutaler Gewalt zum Schweigen und zur Unterwerfung zu zwingen. Die Bundesregierung muss sich weiter deutlich und öffentlich für die von der Todesstrafe und von den Hinrichtungen bedrohten Menschen im Iran einsetzen."

Das Bild zeigt mehrere Personen mit Schildern

Amnesty-Mahnwache für den Deutsch-Iraner Jamshid Sharmahd am 20. Juli 2023 vor der iranischen Botschaft in Berlin 

Systemische Straflosigkeit

Amnesty International appelliert dringend an alle Staaten, sich auf das Weltrechtsprinzip und andere Mechanismen der extraterritorialen Gerichtsbarkeit zu berufen, um den völkerrechtlichen Verbrechen und anderen schweren Menschenrechtsverletzungen durch die iranischen Behörden zu begegnen, ungeachtet dessen, ob sich die Beschuldigten auf ihrem Territorium aufhalten.

Dies umfasst auch, dass mit angemessenen Mitteln ausgestattete strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet werden, die darauf abzielen, die mutmaßlichen Verantwortlichen zu identifizieren und, wenn genügend zulässige Beweise vorliegen, internationale Haftbefehle auszustellen. Die Staaten sollten sich auch für Wiedergutmachung für die Opfer einsetzen.

Duchrow sagt: "Die Bundesregierung hat im vergangenen Jahr eine Schlüsselrolle bei der Gründung der Untersuchungskommission zum Iran im UN-Menschenrechtsrat gespielt. Dieses klare Bekenntnis für den Respekt der Menschenrechte im Iran erwarten wir von der Bundesregierung auch ein Jahr nach dem Tod von Jina Mahsa Amini."

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