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Proteste in Bangladesch: Neue Hinweise für den Einsatz tödlicher Waffen gegen Demonstrierende
Demonstration vor der bangladeschische Botschaft in Colombo in Sri Lanka gegen die blutige Niederschlagung der Proteste in Bangladesch (22. Juli 2024)
© KODIKARA/AFP via Getty Images
Seit Tagen protestieren Studierende in Bangladesch gegen ein umstrittenes Quotensystem für den öffentlichen Dienst. Die bangladeschischen Behörden reagieren auf die Proteste mit Waffengewalt. Fast 200 Menschen wurden bisher getötet, mehrere Tausend verletzt. Amnesty International hat neue Videos und Fotos verifiziert, die die tödliche Gewalt belegen. Die Regierung von Bangladesch muss das Recht auf Protest respektieren und die gewaltsame Unterdrückung der Proteste sofort beenden.
Die Armee ist im Einsatz, der Schießbefehl wurde erteilt und eine Ausgangssperre verhängt: Mit exzessiver Gewalt hat die Regierung in Bangladesch auf die Proteste der Studierenden reagiert. Medienberichten zufolge gab es seit dem 16. Juli 2024 rund 2.500 Festnahmen, fast 200 Tote und mehrere Tausend Verletzte. 61.000 Menschen wurden laut Medienberichten wegen Gewalttaten im Zusammenhang mit den Protesten angeklagt. Zwischenzeitlich war die Internetverbindung im Land unterbrochen, was die Beobachtung der Menschenrechtslage erschwerte.
Nach Ausbruch der Proteste: Oberstes Gericht kippt umstrittenes Quotensystem
Die Proteste brachen aus, nachdem die Regierung die Wiedereinführung eines Quotensystems für gut bezahlte und sichere Regierungsposten angekündigt hatte. Diese begünstigt unter anderem Nachkommen von Personen, die 1971 zur Unabhängigkeit des Landes von Pakistan beigetragen haben. Am 21. Juli 2024 hatte das Oberste Gericht in der Hauptstadt Dhaka Teile der umstrittenen Quotenregelung gekippt. Das Gericht entschied, dass bei der Vergabe der begehrten Stellen nun in 93 Prozent der Fälle die Leistungen der Bewerber*innen entscheidend sein soll. Lediglich für die restlichen sieben Prozent soll eine Quotenregelung kommen.
"Amnesty International fordert die Regierung von Bangladesch und ihre Behörden dringend auf, das Recht auf Protest zu respektieren, die gewaltsame Niederschlagung der Proteste zu beenden und alle Kommunikationsbeschränkungen unverzüglich aufzuheben", sagte Deprose Muchena, Senior Director bei Amnesty International.
Polizisten nehmen an der Universität von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka einen Demonstranten fest (17. Juli 2024).
© Zabed Hasnain Chowdhury/NurPhoto
Videos und Fotos belegen: Behörden setzen rechtswidrig tödliche Gewalt ein
Neue Zeugen*innenaussagen, Videos und Fotos belegen, dass die Polizei rechtswidrig Gewalt gegen die protestierenden Studierenden angewendet hat. Das bestätigen Recherchen von Amnesty International und dem Crisis Evidence Lab – einem Team aus Amnesty-Expert*innen, die digitale Hinweise und Indizien verifizieren.
"Amnesty überprüft und analysiert laufend Video- und Fotomaterial aus Bangladesch - und das Bild ist düster. Die bangladeschische Regierung und das Rapid Action Battalion (RAB), das zur Überwachung der Proteste eingesetzt wurde, haben eine erschreckende Menschenrechtsbilanz. Diese lässt befürchten, dass die Rechte der Demonstranten nicht geschützt werden, zumal es keine aktive internationale Beobachtung gibt und Internet- und Kommunikationsbeschränkungen teilweise noch in Kraft sind", sagte Deprose Muchena, Senior Director bei Amnesty International.
Zu den von Amnesty untersuchten Fällen gehört Shykh Aashhabul Yamin, Student des Military Institute of Science and Technology: Am 18. Juli 2024 tauchten in den sozialen Medien mehrere Videos auf, die einen Demonstranten zeigten, der bei einer Demonstration in Savar nahe der Hauptstadt Dhaka bei Zusammenstoßen mit der Polizei verletzt und getötet wurde.
Geschlagen, getreten und liegengelassen: Der Fall von Shykh Aashhabul Yamin
Das erste Video zeigt einen gepanzerten Mannschaftstransportwagen (APC), der auf dem Dhaka-Aricha Highway fährt. Auf dem Dach liegt der bewusstlose Shykh Aashhabul Yamin. Ein zweites Video zeigt, wie ein Beamter versucht, Yamin an den Armen hochzuziehen, während ein anderer Beamter ihn an den Beinen packt und seinen Körper gewaltsam aus dem Fahrzeug reißt. Yamins Kopf schlägt auf dem Bürgersteig. Das letzte Video beginnt damit, dass zwei Beamte in voller Einsatzmontur aus dem APC steigen und scheinbar auf den vor ihnen am Boden liegenden Körper von Yamin herabblicken. Schließlich heben die Beamten Yamin vom Boden auf, ziehen ihn über den Mittelstreifen der Straße und legen ihn auf der anderen Seite neben einer anderen Gruppe von Beamten ab. Schließlich fährt der APC davon. Berichten zufolge erlag Yamin später an diesem Tag seinen Verletzungen.
In diesen drei von Amnesty International überprüften Videos hat keiner der sichtbaren Beamten versucht, Yamin medizinische Hilfe zu leisten. Abschnitt 5(c) der Grundprinzipien für die Anwendung von Gewalt und den Gebrauch von Schusswaffen durch Beamte mit Polizeibefugnissen der Vereinten Nationen legt allerdings fest: Vollzugsbeamt*innen müssen sicherstellen, dass verletzte oder betroffene Personen so schnell wie möglich Hilfe und medizinische Versorgung erhalten.
Schrotkugeln dürfen nicht für die Auflösung von Protesten eingesetzt werden
Derrick Pounder ist unabhängiger Gerichtsmediziner, der die fotografischen Beweise für die Wunden in Yamins Brust untersucht hat. Gegenüber Amnesty International erklärte er, dass die Todesursache vermutlich auf die sichtbaren Verletzungen durch Schrotkugeln in der linken vorderen Brust zurückzuführen ist. Amnesty International hält den Einsatz von Schrotkugeln für die Strafverfolgung für absolut ungeeignet. Diese sollten niemals für die Auflösung von Protesten eingesetzt werden.
In einem weiteren Video, das am 18. Juli 2024 veröffentlicht wurde, feuert ein Beamter Tränengas durch ein geschlossenes Tor der BRAC-Universität in Dhaka. Dort kam es ebenfalls zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der Polizei und protestierenden Studierenden. Ein Video, das aus dem Inneren der Universität aufgenommen wurde, zeigt den Vorfall: Student*innen hatten sich auf der anderen Seite eines geschlossenen Hofes versammelt, als der bangladeschische Polizeibeamte durch das Tor der Universität in die Menge schoss.
Als Reaktion auf die regierungskritischen Proteste wurden Soldaten in Bangladeschs Hauptstadt Dhaka entsandt (20. Juli 2024)
© AFP via Getty Images
Campus BRAC-Universität: Mindestens 30 Verletzte durch den Einsatz von Tränengas
Amnesty International hat die Videos überprüft: Das Vorgehen des Polizeibeamten stellt eindeutig eine rechtswidrige und unnötige Gewaltanwendung dar. Strafverfolgungsbehörden dürfen niemals Tränengas in einem geschlossenen Raum einsetzen, in dem es keine offensichtliche Möglichkeit gibt, dem Reizstoff zu entkommen. Lokalen Medienberichten zufolge wurden mindestens 30 Personen durch den Einsatz von Tränengas auf dem Campus der BRAC-Universität verletzt.
Ein weiteres Video kursiert seit dem 20. Juli 2024 in den sozialen Medien und wurde ebenfalls von Amnesty verifiziert. Es zeigt mehrere Beamt*innen der Polizei von Bangladesch und des Grenzschutzes von Bangladesch, die neben einem Einsatzwagen stehen. Ein Polizist richtet dabei ein chinesisches Sturmgewehr vom Typ 56-1 auf Ziele im Hintergrund und feuert zwei Schüsse ab.
Schusswaffen gegen Protestierende
Schusswaffen sind kein geeignetes Mittel zur Überwachung von Versammlungen. Sie dürfen nur eingesetzt werden, wenn dies zur Abwehr einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben unbedingt erforderlich ist.
In einem anderen Video sieht man Polizeibeamt*innen, die in voller Einsatzkleidung eine Straße entlang marschieren. Das Video wurde ebenfalls im Stadtteil Rampura am oder vor dem 19. Juli 2024 aufgenommen. Die Beamt*innen sind mit Schrotflinten vom Kaliber 12 sowie Granatwerfern vom Kaliber 37/38 mm ausgerüstet. Einige der Polizeibeamt*innen geben mehrere Schüsse aus den Schrotflinten auf Ziele im Hintergrund ab.
"Diese repressiven Maßnahmen sind ein bewusster Versuch, sowohl diese Proteste als auch jeden zukünftigen Dissens zu unterdrücken", sagte Deprose Muchena. "Es muss dringend eine unabhängige und unparteiische Untersuchung aller von den Sicherheitskräften begangenen Menschenrechtsverletzungen durchgeführt werden. Alle Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Die Opfer rechtswidriger Gewaltanwendung durch die Polizei, einschließlich der Verletzten und der Familienangehörigen der Getöteten, müssen vom Staat voll entschädigt werden."