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Fallstudien zu sexualisierter Folter gegen Frauen in Mexiko
Protest-Aktion vor dem Berliner Hauptbahnhof anlässlich des Deutschland-Besuches von Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto im April 2016
© Amnesty International, Foto: Henning Schacht
Verónica Razo, seit fünf Jahren inhaftiert, wartet auf den Ausgang ihres Gerichtsverfahrens
Die 37-jährige Verónica Razo ist Mutter zweier Kinder. Am 8. Juni 2011 wurde sie in der Nähe ihres Hauses im Zentrum von Mexiko-Stadt von Männern in Zivilkleidung entführt. Die Männer brachten sie in ein Depot der Bundespolizei, wo sie 24 Stunden lang festgehalten und gefoltert wurde.
Sie wurde mit Schlägen, simulierter Erstickung und Elektroschocks misshandelt und mehrmals von verschiedenen Polizisten vergewaltigt. Die Beamten drohten ihr und zwangen sie, ein "Geständnis" zu unterschreiben. Man warf ihr vor, einer Entführerbande anzugehören. Nach ihrem Verhör durch die Polizei und die Staatsanwaltschaft brach Verónica Razo zusammen und musste ins Krankenhaus gebracht werden, wo man akutes Herzrasen feststellte.
Die Polizei behauptete später, Verónica Razo sei erst tags darauf festgenommen worden. Ihre Mutter hatte sie jedoch bereits am Abend ihrer Festnahme bei den lokalen Behörden als vermisst gemeldet.
Zwei Jahre nach ihrer Festnahme bestätigten Psycholog_innen der mexikanischen Generalstaatsanwaltschaft, dass Verónica Razo Symptome aufwies, die auf Folter schließen lassen. Verónica Razo befindet sich seit fünf Jahren im Gefängnis und wartet auf den Ausgang ihres Gerichtsverfahrens. Als sie festgenommen wurde, waren ihre Tochter sechs und ihr Sohn zwölf Jahre alt. Ihr heute 18-jähriger Sohn musste den Gedanken an ein Studium aufgeben, da die Familie aufgrund der Inhaftierung seiner Mutter die Kosten nicht tragen kann. Die Mutter von Verónica Razo musste wegen der Schwierigkeiten, die sie im Zuge der Unterstützung ihrer Tochter erfahren hat, aus ihrem Haus ausziehen und ihr Geschäft aufgeben.
Tailyn Wang: Fehlgeburt im Büro der Generalstaatsanwaltschaft nach brutalen Schlägen durch die Polizei
Tailyn Wang war ungefähr in der siebten Woche schwanger, als Angehörige der Bundespolizei im Februar 2014 in ihr Haus eindrangen und sie ohne Haftbefehl mitnahmen. Nachdem sie über längere Zeit von Angehörigen der Polizei geschlagen und sexuell missbraucht worden war, erlitt sie im Büro der Generalstaatsanwaltschaft in Mexiko-Stadt eine Fehlgeburt.
Tailyn Wang wurde im Gewahrsam von zwei Ärzten untersucht. Trotz ihrer Verletzungen untersuchte der erste Arzt sie jedoch nicht ausführlich und reagierte nicht auf die von ihr erhobenen Vorwürfe, brutal geschlagen worden zu sein. Keiner der beiden Ärzte meldete die von Tailyn Wang erhobenen Folter- und Misshandlungsvorwürfe.
Man gab ihr keine Schmerzmittel, sondern händigte ihr lediglich einige Papiertücher gegen die Blutungen aus, bevor man ihr Handschellen anlegte und sie in ein Passagierflugzeug setzte, um sie in ein Bundesgefängnis zu bringen. Bei der Landung in Tepic im Westen Mexikos war der Sitz von Tailyn Wang von Blut durchtränkt.
Tailyn Wang sagte den Gefängnisbeamt_innen, dass sie eine Fehlgeburt hatte, wurde jedoch nur angeschrien. Erst im Gefängnis, mindestens vier Tage nach ihrer Festnahme, teilte man ihr mit, dass ihr vorgeworfen wurde, Teil einer Entführerbande zu sein. Sie wurde wegen organisierter Kriminalität angeklagt. Im Gefängnis hatte sie fünf Tage lang Blutungen, wurde jedoch nicht angemessen medizinisch versorgt. Tailyn Wang befindet sich nach wie vor im Gefängnis und wartet auf den Ausgang ihres Gerichtsverfahrens. Obwohl sie bereits vor über zwei Jahren Foltervorwürfe erhoben hat, ist bis heute keine gerichtsmedizinische Untersuchung durchgeführt worden, um Folter- und Misshandlungsspuren festzustellen.
Maria Magdalena Saavedra: Nach Vergewaltigung von Marinearzt für „körperlich gesund“ erklärt
Maria Magdalena Saavedra wurde am 10. Mai 2013 von bewaffneten Marinesoldaten aus ihrem Haus verschleppt. Die Soldaten drangen in ihr Schlafzimmer ein, brüllten sie an und schlugen sie. Sie beschuldigten Maria Magdalena Saavedra, die Finanzen einer großen Drogenbande zu kontrollieren.
Sie schnitten ihr mit einer Plastiktüte über dem Kopf so lange die Luft ab, bis sie das Bewusstsein verlor. Dann schleppten sie sie in einen Lieferwagen, wo sie weiter auf sie einschlugen und sie mit Gegenständen vergewaltigten. Später brachten sie Maria Magdalena Saavedra in ein Gebäude – offenbar eine Polizeiwache – und verabreichten ihr Elektroschocks an den Genitalien und am Mund. Die Soldaten hatten die Adresse der Tochter von Maria Magdalena Saavedra bei ihr zuhause gefunden und drohten damit, dieser etwas anzutun. 20 Stunden lang wurde Maria Magdalena Saavedra von den Marinesoldaten gefoltert.
Danach wurde sie zur Generalstaatsanwaltschaft gebracht und gezwungen, ihren Fingerabdruck unter ein "Geständnis" zu setzen. Auf dem Weg dorthin wurde sie von einem Soldaten eskortiert, der sie weiterhin schlug. In der Generalstaatsanwaltschaft führten Angehörige der Marine und der Polizei Maria Magdalena Saavedra den Medien als eine Kriminelle vor.
Der Marinearzt, der Maria Magdalena Saavedra kurz nach ihrer Festnahme untersuchte, erklärte sie für "körperlich gesund". Als sie wenige Tage später vor Gericht erschien, beschrieb der Richter ihre Verfassung auf eine völlig andere Art und Weise: "Die Angeklagte weinte, war angespannt und zeigte deutliche Anzeichen von Depressionen und Angstzuständen." Amnesty International sprach Anfang 2016 mit Maria Magdalena Saavedra, mehr als drei Jahre nach ihrer Festnahme. Ihre Narben waren immer noch sichtbar, und sie war ganz offensichtlich traumatisiert. Maria Magdalena Saavedra befindet sich nach wie vor im Gefängnis und wartet auf den Ausgang ihres Gerichtsverfahrens.
Denise Blanco und Korina Utrera, von Marinesoldaten gedemütigt und vergewaltigt
Am 27. August 2011 befanden sich die 25-jährige Korina de Jesús Utrera Domínguez und ihre Freundin Denise Francisca Blanco Lovato gerade im Haus von Korina in Tabasco im Süden Mexikos, als bewaffnete Marinesoldaten in Tarnuniform das Haus stürmten und anfingen, das lesbische Paar zu schlagen und anzuschreien. Beide Frauen wurden mit verbundenen Augen und ohne Haftbefehl zu einem Marinestützpunkt gebracht. Dort wurden sie vergewaltigt und mit simuliertem Ersticken und Elektroschocks misshandelt. Laut Korina Utrera versuchte einer der Soldaten, seinen Penis in ihren Mund zu stecken, und rief dabei: "Komm schon Schlampe, probier mal!" Als sie dann von den Soldaten gezwungen wurde, Nahrungsmittel vom Boden zu essen, rief einer von ihnen: "Genug jetzt! Sie werden uns verklagen!" Denise Blanco wurde vergewaltigt, indem Marinesoldaten mit behandschuhten Fingern in sie eindrangen. Außerdem versetzten sie ihr Elektroschocks an den Genitalien. Denise Blanco sagte gegenüber Amnesty International, sie seien von den Soldaten als "verdammte Lesben" beschimpft worden.
Mehr als 30 Stunden nach ihrer Festnahme wurden die beiden Frauen schließlich der Staatsanwaltschaft im angrenzenden Bundesstaat Veracruz vorgeführt. Dort wurde Korina Utrera unter Druck gesetzt, ein "Geständnis" zu unterschreiben, in dem es hieß, sie habe Drogendelikte begangen und sei in organisiertes Verbrechen verwickelt. Denise Blanco wurden dieselben Straftaten vorgeworfen. Als Korina Utrera einem Marinearzt berichtete, was die Soldaten ihr angetan hatten, soll er ihren Angaben zufolge gesagt haben: "Halt' verdammt noch mal die Klappe, erzähl' keinen Mist!" Beide Frauen berichteten vor Gericht von der erlittenen Folter, doch im Berufungsverfahren wurden ihre Vorwürfe schlicht ignoriert.
Die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung der Foltervorwürfe ein, und vier Jahre später wurden beide Frauen von einem gerichtsmedizinischen Arzt untersucht. Selbst ein Jahr nach der ärztlichen Untersuchung hatten Korina Utrera und Denise Blanco die Ergebnisse noch nicht erhalten. Zum Zeitpunkt dieses Berichts befinden sich beide Frauen nach wie vor im Gefängnis und warten auf den Ausgang ihres Gerichtsverfahrens. Bisher ist gegen keinen der Marinesoldaten Anklage erhoben worden.