Iran: Narges Mohammadi freilassen!

Das Bild zeigt das Porträt einer Frau mit dunklen Haaren und einem roten Oberteil

Die iranische Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi (Archivaufnahme)

+++ Update: Am 27. Oktober 2024 gab Taghi Rahmani, der Ehemann von Narges Mohammadi bekannt, dass sie endlich zur Behandlung ihrer akuten Herzerkrankung in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses verlegt wurde. Neun Wochen hat ihr die Gefängnisbehörde die Behandlung mit Absicht verweigert. Dieses Vorgehen kommt Folter und Misshandlung gleich. Wir fordern ihre sofortige und bedingungslose Freilassung! +++

Die iranische Menschenrechtsverteidigerin Narges Mohammadi ist willkürlich inhaftiert und wird gefoltert und anderweitig misshandelt, indem ihr die nötige medizinische Versorgung absichtlich verweigert bzw. nur mit starken Verzögerungen gewährt wird. So soll sie dazu gebracht werden, sich dem gesetzlichen Kopftuchzwang zu unterwerfen. Dies gefährdet ihre Gesundheit sehr, da sie an schweren Herz- und Lungenkrankheiten leidet.

Bitte beachten: Allen Personen mit persönlichen Beziehungen in den Iran raten wir, eine Teilnahme zu prüfen. Dieses Schreiben wird mit deinem Vor- und Nachnamen und Mail-Adresse an den Adressaten im Land gesandt.

Appell an

Oberste Justizautorität
Gholamhossein Mohseni Ejei
c/o Embassy of Iran to the European Union
Avenue Franklin Roosevelt No. 15
1050 Bruxelles
BELGIEN

Sende eine Kopie an

Botschaft der Islamischen Republik Iran
S.E. Herrn Mahmoud Farazandeh
Podbielskiallee 67
14195 Berlin
Fax: 030-83 222 91 33
E-Mail: info@iranbotschaft.de

 

Amnesty fordert:

  • Lassen Sie Narges Mohammadi bitte unverzüglich und bedingungslos frei, da sie eine gewaltlose politische Gefangene ist und sich nur wegen ihrer friedlichen Menschenrechtsarbeit in Haft befindet.
  • Bitte heben Sie ihre ungerechtfertigten Verurteilungen und Strafen auf und lassen Sie alle neuen Anklagen fallen, die auf der friedlichen Wahrnehmung ihrer Menschenrechte beruhen.
  • Bis zu ihrer Freilassung muss sie Zugang zu angemessener fachärztlicher Versorgung erhalten, nötigenfalls auch außerhalb des Gefängnisses. Zudem muss sie vor weiterer Folter und anderen Misshandlungen geschützt werden.
  • Leiten Sie umgehend eine unabhängige, zielführende und unparteiische Untersuchung ihrer Folter- und Misshandlungsvorwürfe ein und stellen Sie die mutmaßlich Verantwortlichen in fairen Verfahren vor Gericht.
  • Ich appelliere zudem an Sie, die Verschleierungsgesetze abzuschaffen.

Sachlage

Die inhaftierte Menschenrechtsverteidigerin und Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi ist Folter und anderen Misshandlungen durch Behörden wie Staatsanwaltschaft und Gefängnisverwaltung ausgesetzt. Aufgrund schwerer Herz- und Lungenerkrankungen muss sie medizinisch versorgt werden, doch dies wird ihr absichtlich verweigert bzw. nur mit großen Verzögerungen gewährt, was ihre Gesundheit stark gefährdet. Damit soll sie dafür bestraft werden, dass sie sich während der Verlegung in medizinische Einrichtungen außerhalb des Gefängnisses nicht dem gesetzlichen Kopftuchzwang unterwirft.

Am 6. November 2023 trat die Menschenrechtlerin in den Hungerstreik, da sich die Staatsanwaltschaft zu diesem Zeitpunkt seit mehr als zwei Monaten geweigert hatte, sie für dringende Untersuchungen in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu verlegen. Am 8. November verlegten die Behörden sie ohne das obligatorische Kopftuch in ein Krankenhaus, brachten sie aber noch am selben Tag wieder in das Teheraner Evin-Gefängnis zurück, bevor die Untersuchungsergebnisse ärztlich begutachtet worden waren. Am 11. November erfuhr Narges Mohammadi, dass sich um ihr Herz herum Flüssigkeit gebildet hatte und zwei Arterien bis zu 80% verstopft waren, was eine umgehende Angioplastie erforderte. Zudem war eine Schwellung in der Speiseröhre festgestellt worden. Dennoch blockierte die Staatsanwaltschaft am 15. November erneut ihre Verlegung in ein Krankenhaus und machten dies von der Einhaltung der Verschleierungspflicht abhängig. Am 16. November wurde sie ohne Kopftuch für eine Angioplastie ins Krankenhaus gebracht und noch am selben Tag gegen ärztlichen Rat ins Gefängnis zurückgeholt. Es bestehen nach wie vor ernste Bedenken hinsichtlich ihres Zugangs zu der benötigten medizinischen Versorgung, z. B. zur Nachbehandlung und Überwachung ihrer Herzerkrankung, denn Gefängnisverwaltung und Staatsanwaltschaft können sich gemäß den iranischen Gefängnisvorschriften bei der Entscheidung über eine Verlegung ins Krankenhaus über ärztlichen Rat hinwegsetzen.

Seit Mai 2021 ist Narges Mohammadi in vier verschiedenen Verfahren ungerechtfertigt zu insgesamt zwölf Jahren und elf Monaten Haft, 154 Stockhieben und anderen Strafen verurteilt worden. Grundlage ist ihre Menschenrechtsarbeit, u. a. ihr Einsatz für Familien, deren Angehörige während der landesweiten Proteste rechtswidrig von Sicherheitskräften getötet worden waren, ihr Aufdecken von sexualisierter Gewalt gegen Frauen im Gefängnis und ihre Unterstützung der Bewegung "Frau, Leben, Freiheit". Am 12. November 2023 wurde die Menschenrechtlerin im Zusammenhang mit einem neuen Verfahren zur Staatsanwaltschaft vorgeladen, doch Gefängnisangestellte weigerten sich, sie ohne Kopftuch dorthin zu bringen.

Hintergrundinformation

Hintergrund

 Am 6. November 2023 erklärte die Familie von Narges Mohammadi in den Sozialen Medien, dass die Menschenrechtlerin in den Hungerstreik getreten sei, um dagegen zu protestieren, dass die iranischen Behörden kranken Inhaftierten wiederholt eine angemessene medizinische Versorgung verweigern bzw. diese verzögern, was bei den Betroffenen zu schweren Gesundheitsproblemen und sogar zum Tod führen kann. Zudem prangerte sie an, dass der Zugang zur Gesundheitsversorgung für weibliche Gefangene von der Einhaltung des gesetzlichen Kopftuchzwangs abhängig gemacht wird.

Im Jahr 2022 verweigerten die Behörden Narges Mohammadi wiederholt den Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung im Gefängnis, u. a. als Vergeltungsmaßnahme für ihre anhaltende Menschenrechtsarbeit. Damit brachten sie ihr Leben in große Gefahr. Laut eigenen Angaben erlitt die Menschenrechtlerin am 3. Februar 2022 einen Herzinfarkt, wurde jedoch vom Gefängnisarzt nicht angemessen behandelt. Gleichzeitig weigerten sich die Gefängnisbehörden, sie in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängnisses zu verlegen – womit sie ihr Leben gefährdeten. Erst als Narges Mohammadi am 16. Februar erneut mehrere Herzanfälle erlitt, verlegte man sie für eine Notoperation am Herzen in ein Krankenhaus. Gegen ärztlichen Rat wurde sie bereits am 19. Februar wieder ins Gefängnis verlegt, noch bevor sie sich ausreichend erholt hatte.

Am 22. Februar 2022 war Narges Mohammadi aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend aus der Haft entlassen worden. Doch am 21. April wurde sie gegen ärztlichen Rat erneut inhaftiert, um den Rest ihrer Haftstrafen zu verbüßen. Neben ihrer Herzerkrankung hat sie auch eine Vorerkrankung der Lunge, die mit Atembeschwerden einhergeht. Sie muss ein Inhalationsgerät benutzen und regelmäßig Medikamente einnehmen, um die Bildung von Blutgerinseln in der Lunge zu verhindern. 

Narges Mohammadi wird seit über 14 Jahren wegen ihrer Menschenrechtsarbeit von den iranischen Behörden ins Visier genommen und hat zahlreiche ungerechtfertigte Gefängnisstrafen erhalten. Am 16. November 2021 wurde sie gewaltsam festgenommen, als sie in Karadsch in der Provinz Alborz an einer Gedenkveranstaltung für Ebrahim Ketabdar teilnahm, der während der landesweiten Proteste im November 2019 von iranischen Sicherheitskräften getötet worden war. Sie kam in den Trakt 209 des Teheraner Evin-Gefängnisses, der dem Geheimdienstministerium untersteht, in Einzelhaft. Am Tag nach ihrer Festnahme teilte man ihr mit, dass sie eine Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten antreten müsse, zu der sie 2021 verurteilt worden war. Die Menschenrechtlerin gab an, 64 Tage lang in Trakt 209 in Einzelhaft gehalten worden zu sein. Während dieser Zeit sei sie von Angehörigen des Geheimdienstministeriums gefoltert und anderweitig misshandelt worden. Ihren Angaben zufolge ließ man das Licht jeden Tag 24 Stunden lang brennen und gewährte ihr nur dreimal pro Woche für jeweils 20 Minuten Zeit an der frischen Luft und bei Tageslicht. Die Behörden hielten sie in beinahe totaler Isolation fest und verweigerten ihr den Kontakt mit anderen Gefangenen. Ihr einziger menschlicher Kontakt war mit den Wärter*innen, die sie zur Toilette eskortierten und ihr Essen brachten. All dies wirkte sich stark auf ihren Gesundheitszustand aus, so erlitt sie beispielsweise Anfälle von Atemnot.

Am 4. Januar 2022 wurde Narges Mohammadi vor die Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichtes gestellt, um sich in einem zweiten Fall zu verantworten. Das Verfahren entsprach bei Weitem nicht den internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren: Die Anhörung dauerte lediglich fünf Minuten, und sie gab später an, sowohl vor als auch während der Verhandlung keinen Zugang zu einem Rechtsbeistand gehabt zu haben. Am 15. Januar wurde sie darüber informiert, dass das Gericht sie zu acht Jahren und zwei Monaten Haft sowie 74 Stockhieben verurteilt habe. Zudem habe sie zwei Jahre im internen "Exil" außerhalb ihres Wohnorts Teheran zu verbringen, dürfe sich zwei Jahre lang nicht in politischen Parteien oder gesellschaftlichen Zusammenschlüssen engagieren und müsse sich zwei Jahre lang von Online-Plattformen, den Medien und der Presse fernhalten.

In einem weiteren Verfahren, das während ihrer Haftzeit gegen Narges Mohammadi eingeleitet wurde, verurteilte die Abteilung 26 des Teheraner Revolutionsgerichts sie im Oktober 2022 wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" zu einer zusätzlichen Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Außerdem erhielt sie ein zweijähriges Ausreiseverbot, ein zweijähriges Verbot der Mitgliedschaft in politischen Parteien, Gruppen oder Kollektiven und drei Monate Müllbeseitigung in unbewohnten Gebieten für vier Stunden pro Tag an drei Tagen die Woche. Anfang August 2023 wurde sie im jüngsten neuen Verfahren vor der Abteilung 29 des Revolutionsgerichts wegen "Verbreitung von Propaganda gegen das System" zu einer weiteren einjährigen Haftstrafe verurteilt. Grundlage für diese Anklage war, dass sie aus dem Gefängnis heraus über sexualisierte Gewalt gegen inhaftierte Protestteilnehmerinnen berichtet hatte.

Narges Mohammadi wurde am 8. Oktober 2020 aus dem Gefängnis entlassen, nachdem sie zuvor mehr als fünf Jahre lang zu Unrecht inhaftiert gewesen war. Grundlage waren Anschuldigungen, die ebenfalls ausschließlich auf ihre Menschenrechtsarbeit zurückzuführen waren. Sie berichtete, dass sie zwischen ihrer Freilassung und ihrer erneuten willkürlichen Festnahme und Inhaftierung am 16. November 2021 Morddrohungen von Sicherheitskräften erhielt. Sie wurde mindestens fünfmal willkürlich festgenommen und jedes Mal bis zu einem Tag lang festgehalten. Am 6. Oktober 2023 wurde bekanntgegeben, dass Narges Mohammadi für ihren "Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und für die Förderung der Menschenrechte und Freiheit aller" mit dem Friedensnobelpreis 2023 ausgezeichnet wird.