China: Journalistin im Hungerstreik in Lebensgefahr

Das Bild zeigt zwei Menschen, die Protestschilder hochalten, sie stehen vor einem Gebäude mit chinesischer Flagge, auf einem Plakat ist das Foto einer Frau zu sehen sowie der Schriftzug Zhang Zhan

Aktivist_innen protestieren am 28. Dezember 2020 in Hongkong gegen die Verurteilung der Journalistin Zhang Zhan sowie gegen die Festnahme weiterer pro-demokratischer Aktivist_innen durch die chinesischen Behörden.

Die Bürgerjournalistin Zhang Zhan führt ihren eingeschränkten Hungerstreik aus Protest gegen ihre Inhaftierung fort. Sie schwebt in Lebensgefahr und die Sorge ihrer Familie, dass sie diesen Winter nicht überlebt, nimmt täglich weiter zu. Am 14. Oktober erfuhren ihre Angehörigen durch einen Videoanruf, dass Zhang Zhan erneut zwangsernährt wurde. Sie war elf Tage lang gefesselt, um so zu verhindern, dass sie ihre Ernährungssonde entfernt. Diese Maßnahme verstößt gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Formen der Misshandlung in Haft. Die chinesische Regierung muss Zhang Zhan unverzüglich freilassen, damit sie ihren Teil-Hungerstreik beenden und eine angemessene medizinische Behandlung erhalten kann. Diese benötigt sie dringend, um am Leben zu bleiben.

Appell an

President Xi Jinping

Zhongnanhai, Xichang’anjie


Xichengqu, Beijing Shi 100017

VOLKSREPUBLIK CHINA

Sende eine Kopie an

Botschaft der Volksrepublik China

S. E. Herrn Ken Wu

Märkisches Ufer 54

10179 Berlin


Fax: 030-27 58 82 21

E-Mail: presse.botschaftchina@gmail.com

 

Amnesty fordert:

  • Bitte lassen Sie Zhang Zhan umgehend und bedingungslos frei, damit sie angemessen medizinisch versorgt werden kann.
  • Sorgen Sie bitte dafür, dass sie bis zu ihrer Freilassung regelmäßigen und uneingeschränkten Zugang zu ihrer Familie und einem Rechtsbeistand ihrer Wahl erhält, und dass sie nicht erneut gefoltert oder anderweitig misshandelt wird.
  • Achten Sie bitte die Rechte von Zhang Zhan auf Gesundheit, Selbstbestimmung und freie Meinungsäußerung. Stellen Sie zudem sicher, dass sie auch bis zu ihrer Freilassung unverzüglich regelmäßigen Zugang zu medizinischer Behandlung erhält.

Sachlage

Die Situation der Bürgerjournalistin Zhang Zhan (张展) spitzt sich zu. Aus Protest gegen ihre Inhaftierung befindet sie sich in einem eingeschränkten Hungerstreik und ihr Gesundheitszustand hat sich in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert. Als gewaltlose politische Gefangene, die nur deshalb inhaftiert wurde, weil sie friedlich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat, hätte Zhang Zhan keinen einzigen Tag im Gefängnis verbringen dürfen.

Es ist alarmierend, dass die Familie von Zhang Zhan aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands nicht damit rechnet, dass sie den Winter überlebt, wenn sie nicht sofort aus medizinischen Gründen freigelassen wird.

Zhang Zhan konnte am 14. Oktober vier Minuten und neun Sekunden lang ein Videotelefonat mit ihrer Familie führen, bevor das Gespräch von den Behörden unterbrochen wurde. Die vorgesehene Gesprächsdauer beträgt zwar fünf Minuten, doch auch in der verbliebenen Zeit konnte die Journalistin berichten, dass sie erneut zwangsernährt wurde. Sie war elf Tage lang gefesselt, um so zu verhindern, dass sie ihre Ernährungssonde entfernt. Ihre Angehörigen berichteten, dass sie massiv abgenommen habe, aber weiterhin entschlossen sei, den Teil-Hungerstreik fortzuführen. Am 29. Oktober konnte Zhang Zhan erneut per Videoanruf mit ihrer Familie sprechen. Anschließend hieß es, dass sich ihr Zustand weiter verschlechtert habe. Sie fühlt sich sehr schwach und hat weder die Kraft zu gehen noch den Kopf zu heben. Außerdem ist ihre Haut gelblich verfärbt, was auf einen lebensbedrohlichen Zustand hindeutet.

Besorgniserregend ist außerdem, dass Zhang Zhan nach wie vor keinen regelmäßigen Zugang zu ihren Familienangehörigen und Rechtsbeiständen hat. Damit sind die Möglichkeiten, ihren Gesundheitszustand und ihr Wohlergehen zu überprüfen, massiv eingeschränkt.

Anstatt ihr Recht auf freie Meinungsäußerung und ihre Entscheidung, in den Hungerstreik zu treten, zu respektieren, reagierten die Gefängnisbehörden mit Bestrafung. Das Handeln der Behörden verstößt gegen das absolute Verbot von Folter und anderen Misshandlungen in Haft und stellt somit einen Verstoß gegen Chinas Verpflichtungen im Rahmen der internationalen Menschenrechtsnormen dar.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die ehemalige Anwältin Zhang Zhan ist eine Bürgerjournalistin und äußert sich zu politischen und menschenrechtlichen Belangen in China. Im Februar 2020 reiste sie nach Wuhan, damals das Zentrum des Covid-19-Ausbruchs in China. Sie berichtete auf Online-Plattformen wie WeChat, Twitter und YouTube über die Inhaftierung unabhängiger Reporter_innen und die Schikane gegen Familienangehörige von Betroffenen.

Zhang Zhan verschwand am 14. Mai in Wuhan. Später wurde bekannt, dass sie mehr als 640 km entfernt bei der Polizei in Shanghai inhaftiert war.

Zhang Zhan trat im Juni 2020 in den Hungerstreik, um gegen ihre Inhaftierung zu protestieren und um ihre Unschuld zu beteuern. Obwohl sie die Absicht hatte, den Hungerstreik fortzusetzen, sollen Gefängnisbeamt_innen ihr gegen ihren Willen über einen Schlauch Nahrung verabreicht haben. An der Zwangsernährung sollen auch ihre Mithäftlinge beteiligt gewesen sein. Ihr Rechtsbeistand berichtete, dass sie körperlich sehr schwach sei und an Magenschmerzen und Schwindel leide und kaum gehen könne. Zhang Zhan musste Berichten zufolge als Strafe für ihren Hungerstreik mehr als drei Monate lang Tag und Nacht Hand- und Fußfesseln tragen.

Am 28. Dezember 2020 wurde die Bürgerjournalistin Zhang Zhan vor dem Volksgericht des Bezirks Pudong in Shanghai zu vier Jahren Haft verurteilt. Ihr wird aufgrund ihrer Berichterstattung über Covid-19 vorgeworfen, "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" (寻衅滋事罪). Im April 2021 erhielt ihre Familie die Information, dass sie in das Frauengefängnis in Shanghai verlegt worden sei. Seit der Verlegung in das Gefängnis führt Zhang Zhan ihren Hungerstreik eingeschränkt weiter, indem sie nur leichte Nahrungsmittel wie Kekse oder Mantou (kleine, gedämpfte Brötchen) isst.

Es gibt ein alarmierendes Muster von Todesfällen inhaftierter chinesischer Aktivist_innen, die entweder noch in der Haft oder nach einer lange hinausgezögerten Freilassung auf Bewährung starben.

Der Menschenrechtsaktivist und Nobelpreisträger Liu Xiaobo starb im Juli 2017 in Haft, nachdem die Behörden seine Bitte und die seiner Familie abgelehnt hatten, ihn wegen seiner Krebserkrankung im Ausland behandeln zu lassen. Im selben Jahr starb der chinesische Schriftsteller und Regierungskritiker Yang Tongyan (Yang Tianshui). Er war drei Monate vor seinem Tod auf Bewährung freigelassen worden, um sich einer Operation zur Entfernung eines Gehirntumors unterziehen zu können. Die prominente Pekinger Menschenrechtsverteidigerin Cao Shunli starb nach monatelanger Haft im März 2014 an Organversagen. In der Haft wurde ihr eine angemessene medizinische Behandlung verweigert.

Bürgerjournalist_innen waren die erste, wenn nicht einzige Quelle für unzensierte Informationen aus erster Hand zum Covid-19-Ausbruch in China. Es gibt nicht viele Bürgerjournalist_innen, da sie keine offizielle Akkreditierung erhalten können, diese aber benötigt wird, um berichten zu dürfen. Bürgerjournalist_innen sind in China ständigen Schikanen und Repressionen ausgesetzt, weil sie Nachrichten und Informationen verbreiten, die von der Regierung zensiert worden sind. Es liegen zahlreiche Berichte darüber vor, dass unabhängige Journalist_innen und Aktivist_innen von den Behörden drangsaliert wurden, weil sie in den Sozialen Medien Informationen über Covid-19 gepostet hatten. Hierzu zählt auch der Rechtsanwalt und Bürgerjournalist Chen Qiushi, der über behördliche Schikane berichtete, nachdem er Aufnahmen aus Krankenhäusern in Wuhan ins Internet gestellt hatte. Ebenso Fang Bin aus Wuhan, der kurzzeitig von den Behörden festgehalten wurde, nachdem er ein Video geteilt hatte, in dem Personen zu sehen sind, die mutmaßlich an Covid-19 gestorben sind.

Die Straftat "Streit angefangen und Ärger provoziert zu haben" (寻衅滋事罪) unter Paragraf 293 des chinesischen Strafrechts ist ein weit gefasster und vage formulierter Straftatbestand, der häufig eingesetzt wird, um gegen Aktivist_innen und Menschenrechtsverteidiger_innen vorzugehen. Dieser Straftatbestand fand ursprünglich nur Anwendung bei Störungen der öffentlichen Ordnung auf Plätzen, seit 2013 fallen darunter aber auch digitale Räume. Bei einem Schuldspruch drohen den Verurteilten bis zu fünf Jahre Haft.