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"Wir riskieren unser Leben, um die Flüsse Kolumbiens zu schützen"
Yuly Velásquez, Präsidentin des kolumbianischen Fischereiverbandes FEDEPESAN, kämpft mit ihren Mitstreiter*innen gegen die Zerstörung der Umwelt.
© Luca Zanetti
Yuly Andrea Velásquez Briceño ist Umweltschützerin in Kolumbien und Präsidentin des Verbands für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadoresartesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN). Zusammen mit ihren Mitstreiter*innen kämpft sie für den Erhalt der Flüsse und Feuchtgebiete. Dabei müssen sie sich nicht nur gegen umweltfeindliche Unternehmen und gleichgültige Behörden durchsetzen. Sie riskieren ihr Leben, denn ihr Engagement ist bewaffneten Gruppen im Land ein Dorn im Auge. Für diesen Mut erhalten Yuly Velásquez und FEDEPESAN den Menschenrechtspreis 2024 der deutschen Amnesty-Sektion. In diesem Beitrag beschreibt Yuly Velásquez, warum sie sich trotz aller Schwierigkeiten und Gefahren weiter für die Umwelt einsetzt.
Flüsse und Feuchtgebiete haben für mich schon immer eine große Bedeutung gehabt. Sie sind für viele Gemeinden in Santander und anderen Teilen Kolumbiens die Grundlage ihres Lebensunterhalts, der wirtschaftlichen Sicherheit und des emotionalen Wohlbefindens. Und angesichts der aktuellen Klimakrise sind sie für den gesamten Planeten noch wichtiger geworden. Doch um unsere Flüsse und Feuchtgebiete – und die Umwelt im Allgemeinen – vor Korruption und Verschmutzung zu schützen, müssen wir unser Leben riskieren.
Ich wuchs in einer großen, liebevollen Familie auf. Wir wohnten gegenüber von Barrancabermeja am Ufer des Flusses Magdalena in einem alten Holzhaus mit Zinkblechdach. 1990 lehrten mich meine Großeltern, wie man sich um den Fluss kümmert, denn wir waren auf ihn angewiesen, um Trinkwasser zu gewinnen und Fische zu fangen. Früher sah ich riesige Fische, die dreimal so groß waren wie ich, zum Beispiel Welse und Kachelfische, aber auch Krebse, Goldfische, Heringe, Barrakudas und Corocoro.
Als Kind half ich mit, Fische an unsere Nachbar*innen zu verkaufen, um für unseren Lebensunterhalt zu sorgen. Ich hatte eine glückliche Kindheit und spülte jede Traurigkeit mit einem Bad im Fluss weg, in dem wir auch alle schwimmen und Kanu fahren lernten.
Zu dieser Zeit war die Gewalt jedoch nie weit entfernt. Im Jahr 1999 wurde mein fünfjähriger Bruder durch einen Querschläger der Guerilla getötet. Zwei Jahre später töteten Paramilitärs meinen Stiefvater.
Noch als Teenager zog ich 2003 in ein anderes Dorf, um meine eigene Familie zu gründen. Wir lebten auch am Ufer des Magdalena-Flusses und waren auf den Fischfang angewiesen, um meine beiden kleinen Kinder zu ernähren. Aber ich sah dort keine Zukunft für meine Kinder, also kehrte ich nach Barrancabermeja zurück, um Umwelttechnik zu studieren.
Nach meinem Studienabschluss 2014 bat mich ein guter Freund, einer Gruppe von Fischern zu helfen, die eine Leitungsperson suchten. Die lokalen Fischbestände gingen zurück, die Umweltverschmutzung nahm zu und zerstörte das Wenige, wovon sie lebten. Da ich ein Faible für so einen Arbeitsbereich hatte, erklärte ich mich bereit, ehrenamtlich mit ihnen zusammenzuarbeiten. Wir gründeten die Fischervereinigung Hüter von Gewässern, Flora und Fauna (Asociación de Pescadores Guardianes de los Espejos de Agua, Flora y Fauna, ASOGEAFF), die sich aus 39 älteren Männern und mir, der einzigen Frau, zusammensetzte.
Es war so traurig zu sehen, wie besorgt die Männer über das Ausmaß der Umweltverschmutzung und der Gewalt in der Gegend waren. Wir haben verschiedene Strategien entwickelt, um die Aufmerksamkeit der lokalen Behörden zu erregen, aber nichts hat funktioniert. Die Probleme und Bedürfnisse der Fischer interessierte sie nicht.
Wir erhalten oft Morddrohungen von den bewaffneten Gruppen, die hier in der Gegend operieren. Wir wissen, dass dies keine leeren Drohungen sind.
Im Jahr 2017 begannen wir, mit anderen Fischereiorganisationen zusammenzuarbeiten, und so entstand die Idee des Verbands für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadores artesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN). FEDEPESAN wurde mit dem Ziel gegründet, gemeinsam nach Lösungen für unsere Probleme zu suchen.
Im Norden Kolumbiens gefährden fossile Konzerne den Lebensraum von Menschen und Tieren.
© Luca Zanetti
Wir bemerkten Fälle von Korruption in den Verträgen der Unternehmen, die unsere Flüsse verschmutzten, aber wir wussten nicht, was wir dagegen tun sollten oder wer uns juristisch beraten konnte. Wir haben in den Medien protestiert, aber das stieß auf taube Ohren. Also engagierte ich 2019 einen Rechtsbeistand, der mir beibrachte, wie man solche Verträge überprüft.
Seitdem haben wir öffentlich Beschwerden eingereicht sowie Streiks und Proteste gegen alle Arten von Korruption und Umweltverschmutzung durchgeführt. Und wir haben die Grausamkeit und das Desinteresse der staatlichen Institutionen kennengelernt.
Als Vergeltung dafür, dass wir unsere Feuchtgebiete und Flüsse, die Natur und die Umwelt verteidigt haben, wurden meine Gefährten und ich unzählige Male angegriffen und bedroht. Man stahl uns auch Werkzeug, Motoren und Kanus. Am 20. Januar 2021 schossen unbekannte Angreifer*innen auf mein Haus. Meine Kinder und ich versteckten uns und riefen die Polizei, aber die Täter*innen waren weg, bevor die Beamt*innen eintrafen.
Wir erhalten oft Morddrohungen von den bewaffneten Gruppen, die hier in der Gegend operieren. Wir wissen, dass dies keine leeren Drohungen sind. Kolumbien ist das gefährlichste Land der Welt für diejenigen, die das Land und die Umwelt schützen. Allein im Jahr 2023 gab es mindestens 60 Morde.
Gemeinsam für mehr Umweltschutz in Kolumbien: Yuly Velásquez, Präsidentin des Fischereiverbandes FEDEPESAN (Mitte unten), sowie weitere Mitglieder von FEDEPESAN und anderen Menschenrechtsorganisationen.
© Luca Zanetti
Unsere Arbeit ist nicht einfach, aber dank der unabhängigen Menschenrechtsorganisation CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos) und internationaler Organisationen, die uns vor Ort begleiten und unsere Arbeit bekannt machen, sind wir nicht mehr allein. Wir haben als Hüter*innen unserer Gewässer Anerkennung erfahren, und die Stärke der kolumbianischen Flussgemeinschaften wurde wiederhergestellt.
Aber unsere Arbeit ist noch nicht beendet. Wir träumen davon, unsere Flüsse und Feuchtgebiete schützen zu können, damit sie auch künftigen Generationen Nahrung und eine gesunde Umwelt bieten. Die kolumbianische Regierung hat die historische Chance, dafür zu sorgen, dass wir in der gefährlichsten Region der Welt unsere Arbeit ohne Angst fortsetzen und an der Spitze des Wandels für den Schutz der Umwelt stehen können. Die Regierungen müssen Umweltschützer*innen zuhören und ihre Forderungen berücksichtigen. Wir haben viel zur Bewältigung der Klimakrise beizutragen.