Kolumbien: Organisationen brauchen dringend Schutz

Das Bild zeigt eine Collage mit zwei Logos

Die Logos der kolumbianischen Organisationen CREDHOS und FEDEPESAN, die sich unter anderem für den Umweltschutz einsetzen.

Seit Januar nehmen die Morddrohungen gegen Menschenrechtsverteidiger*innen im Norden Kolumbiens erheblich zu. Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen wie CREDHOS und FEDEPESAN, die sich für Landrechte und Umweltschutz einsetzen, werden von verschiedenen bewaffneten Gruppen mit dem Tod bedroht. Fordert die kolumbianische Regierung auf, den bedrohten Organisationen umgehend umfassenden Schutz bereitzustellen.

Appell an

Luis Fernando Velasco
Minister of Interior
Carrera 8, No. 7-83
Bogotá DC
KOLUMBIEN

Sende eine Kopie an

X (Twitter): @velascoluisf


Botschaft der Republik Kolumbien
I. E. Frau Yadir Salazar Mejia 
Taubenstr. 23
10117 Berlin
Fax: 030-2639 6125
E-Mail: ealemania@cancilleria.gov.co

Amnesty fordert:

  • Ich fordere Sie höflich und mit Nachdruck auf, Ihrer Pflicht nachzukommen, alle Maßnahmen zum umfassenden Schutz von Personen und Organisationen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, mit größter Sorgfalt zu koordinieren. Dazu gehören: 
    - die Schutzmaßnahmen der Nationalen Schutzeinheit (Unidad nacional de protección), 
    - die Umsetzung der im Dekret 660 von 2018 festgelegten kollektiven Schutzpolitik, 
    - die Einrichtung von Räumen für die interinstitutionelle Koordinierung und die Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft, wie z. B. dem Tisch für territoriale Garantien in Magdalena Medio, 
    - die Koordinierung mit den lokalen Behörden (Gemeinden und Departamentos), die bei Notfällen zum Einsatz kommen und für die Bereitstellung wirksamer Schutzmaßnahmen für gefährdete Personen zuständig sind, 
    - sowie die Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Stellen, wie z. B. dem Büro der Ombudsperson und der Generalstaatsanwaltschaft, um eine umfassende staatliche Reaktion zu gewährleisten.

Sachlage

Aufgrund der fruchtbaren Böden und des Reichtums an wertvollen Ressourcen wie Öl und Wasser gilt die Region Magdalena Medio im Norden Kolumbiens als strategisch wichtig, und es kommt dort immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen staatlichen Stellen und bewaffneten Gruppen. Darüber hinaus sind in der Region mehrere zivilgesellschaftliche Gruppen aktiv: Der Verband für traditionelle Fischerei, Umweltschutz und Tourismus im Departamento Santander (Federación de Pescadores artesanales, ambientalistas, y turísticos del departamento de Santander – FEDEPESAN) ist am See San Silvestre in der Nähe der Stadt Barrancabermeja tätig. FEDEPESAN kämpft gegen die Wasserverschmutzung durch regionale Unternehmen sowie die Präsenz von kriminellen Organisationen, die in Drogen- und Menschenhandel verwickelt sind – auch mit juristischen Mitteln. Die unabhängige Menschenrechtsorganisation CREDHOS (Corporación Regional para la Defensa de los Derechos Humanos), die bereits 1987 gegründet wurde, setzt sich seit mehreren Jahren verstärkt für das Recht auf eine gesunde Umwelt ein. Beide Organisationen sitzen in der Stadt Barrancabermeja. Die Mitglieder von FEDEPESAN und CREDHOS sowie weitere kolumbianische Menschenrechts-, Landrechts- und Umweltaktivist*innen sind durch die Morddrohungen in Lebensgefahr. In der Region operieren mehrere bewaffnete Gruppen. Eine dieser Gruppen – das "Oberkommando des Magdalena Medio Blocks", das zur bewaffneten Gruppe Gaitanistische Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens gehört – hat die Mitglieder der beiden Organisationen zu "militärischen Zielen" erklärt und sie als Kollaborateure krimineller Gruppen in der Region diffamiert. Weitere Morddrohungen in Form einer öffentlichen Erklärung kamen von dem "Magdalena Medio Block", der regionalen Gruppe der FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia). 

Amnesty International begleitet die Menschenrechtsarbeit und dokumentiert die Risikolage von CREDHOS bereits seit 2012 und die von FEDEPESAN seit 2020. Trotz öffentlicher Appelle und der Darlegung der Gefahrenlage sowohl bei persönlichen Treffen mit Behördenvertreter*innen als auch durch Aktionen auf sozialen und digitalen Plattformen werden diese Menschen und ihre Gemeinschaften weiterhin angegriffen, weil sie ihre Rechte verteidigen. Die Reaktion der staatlichen Stellen darauf ist unzureichend.

Hintergrundinformation

Hintergrund

Die Region Magdalena Medio umfasst ein ausgedehntes Tal, durch das der Fluss Magdalena fließt. Erdöl ist eine der wichtigsten wirtschaftlichen Grundlagen in der Region. Die Stadt Barrancabermeja liegt im Herzen von Magdalena Medio in der Provinz Santander. Dort wird die größte Raffinerie des Landes betrieben. In dem Gebiet gibt es außerdem Agrarindustrie, Bergbau und Viehzucht sowie weitere Wirtschaftszweige. In der Region Magdalena Medio haben eine basisdemokratische Organisierung und der Einsatz für die Menschenrechte seit Jahrzehnten Tradition. Gewerkschaftliche, feministische und menschenrechtliche Bewegungen machen die dortige besonders starke Zivilgesellschaft aus. Dieser Einsatz gegen verschiedene Formen von Ungerechtigkeit einerseits sowie der Streit um die territoriale, politische und wirtschaftliche Kontrolle in der Region zwischen verschiedenen – auch bewaffneten – Interessengruppen andererseits haben einen Nährboden für Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen geschaffen, die seit den 1980er-Jahren, wenn nicht schon länger, anhält. 2023 wurden in Magdalena Medio alarmierend hohe Zahlen von Gewalttaten gegen die Zivilbevölkerung, insbesondere von Tötungsdelikten, verzeichnet. All dies geschieht vor dem Hintergrund der Neuorganisation von mindestens vier bewaffneten Gruppen, die in der Region präsent sind.

In Zusammenhang mit den Aktivitäten von FEDEPESAN hat die Vorsitzende, Yuly Velásquez, zahlreiche Formen von Gewalt erlebt, die von Amnesty International dokumentiert wurden. Dazu zählen eine Drohung im November 2020, Schäden an ihrem Haus durch Schüsse im Januar 2021, Einschüchterungen bei Protestaktionen im August 2021, ein Angriff mit einer Schusswaffe im Mai 2022 und ein weiterer im Juli 2022 (bei dem ein Wachmann ihres Schutzprogramms verletzt wurde). Nach Drohungen gegen den stellvertretenden Vorsitzenden von FEDEPESAN im Februar 2021 durch die Nationale Befreiungsarmee (Ejército de Liberación Nacional – ELN) startete Amnesty International eine Urgent Action. Amnesty International hat Mängel in der Umsetzung des Schutzprogramms dokumentiert, das die kolumbianische Regierung Yuly Velásquez aufgrund ihres hohen Risikos über die Nationale Schutzeinheit (UNP) zur Verfügung stellt. CREDHOS wurde 1987 gegründet und setzt sich für die Verteidigung, Förderung und den Schutz der Menschenrechte in acht Bezirken der Region Magdalena Medio ein. Im Jahr 2000 ordnete die Interamerikanische Menschenrechtskommission (IACHR) aufgrund von Bedrohungen durch paramilitärische Gruppen Schutzmaßnahmen für CREDHOS an. Nachdem in den vergangenen Jahren die Konflikte aufgrund sozialer und ökologischer Fragen in der Region zugenommen haben, legte CREDHOS seinen Arbeitsschwerpunkt darauf, das Recht der lokalen Gemeinschaften auf eine gesunde Umwelt zu verteidigen. Im Jahr 2016 erklärte die kolumbianische Opferschutzstelle (Unidad para la atención y reparación integral a las víctimas) CREDHOS zu einer Organisation, der eine kollektive Wiedergutmachung für die seit ihrem Bestehen erlittenen Schäden zusteht. Im April 2021 forderte Amnesty International in einer Urgent Action ein weiteres Mal den Schutz von CREDHOS-Mitgliedern, da diese zu diesem Zeitpunkt massiv bedroht wurden. Der derzeitige Schutz durch die kolumbianische Regierung reicht nicht aus, um dem Ausmaß der kollektiven Bedrohung wirksam zu begegnen, dem CREDHOS in den letzten Jahren ausgesetzt war.