Amnesty Report Albanien 23. Mai 2018

Albanien 2017/18

Report Cover 17/18

Nach wie vor herrschte Straflosigkeit für frühere Tötungen und das Verschwindenlassen von Personen. Maßnahmen zum Schutz von Frauen vor häuslicher Gewalt wurden nur unzureichend umgesetzt. Im Rahmen von Zwangsprostitution und Zwangsarbeit kam es zu Frauen- und Kinderhandel. Der Beitrittsprozess zur EU wurde durch Albaniens geringe Fortschritte bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität behindert.

Hintergrund

Im Vorfeld der Parlamentswahlen vom Juni 2017 kam es zu einer politischen Krise. Die oppositionelle Demokratische Partei, die im Februar 2017 Demonstrationen organisiert hatte, boykottierte den Wahlprozess, bis ihr im Mai in einem von der EU und den USA unterstützten Abkommen die Vertretung in Regierungs- und Staatsorganen zugesagt wurde. Die regierende Sozialistische Partei kam mit einer ausgebauten Mehrheit erneut an die Macht. Internationale Beobachter berichteten über Einschüchterungen von Wahlberechtigten und mutmaßlichem Stimmenkauf.

Im Rahmen eines neuen Mechanismus, der im Januar 2017 eingeführt wurde, beantragten bis August 183 Personen, darunter der Autor Ismail Kadare, den Zugang zu geheimen Polizeiakten, die unter der kommunistischen Regierung über sie angelegt worden waren.

Im September sagte die Internationale Kommission für vermisste Personen ihre Unterstützung bei der Identifizierung von Leichnamen zu, die in jener Zeit in Massengräbern verscharrt worden waren.

Justizsystem

Maßnahmen zur Gewährleistung der Unabhängigkeit der Justiz wurden teilweise umgesetzt. Im Juni 2017 legten zwei Justizvereinigungen beim Verfassungsgericht ein Rechtsmittel gegen ein Gesetz zur Überprüfung der Unabhängigkeit von Richtern und Staatsanwälten von der organisierten Kriminalität ein. 

Straflosigkeit

Im Zuge einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kam die Regierung im April 2017 überein, das Verfahren im Fall von vier Demonstranten, die bei Protesten im Januar 2011 getötet worden waren, wiederaufzunehmen. Die Angehörigen von zwei Opfern erhielten eine Entschädigung von insgesamt rund 100000 Euro.

Verschwindenlassen

Es wurden keine Schritte unternommen, um den Leichnam von Remzi Hoxha zu finden, einem ethnischen Albaner aus Mazedonien, der 1995 von Angehörigen des Geheimdienstes entführt worden war. In Bezug auf die Exhumierung der sterblichen Überreste von rund 6000 Menschen, die zwischen 1945 und 1991 Opfer des Verschwindenlassens geworden waren, wurden keine Fortschritte verzeichnet.

Recht auf freie Meinungsäußerung – Journalisten

Kriminelle und Privatunternehmer begingen tätliche Angriffe gegen investigative Journalisten. Im März 2017 wurde der Journalist Elvi Fundo in der Hauptstadt Tirana von Angreifern, die Verbindungen zur organisierten Kriminalität haben sollen, geschlagen. Im Juni wurde Erven Hyseni, der Eigentümer eines Fernsehsenders, zusammen mit einem Regierungsbeamten in Vlora erschossen. 

Im Juli 2017 machten Journalisten geltend, dass das Verleumdungsverfahren, das Gjin Gjoni, Richter am Hohen Gericht, und seine Ehefrau, die Geschäftsfrau Elona Caushi, gegen zwei Medienunternehmen führten, darauf abzielte, investigative Journalisten einzuschüchtern und die Selbstzensur zu fördern.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Trans- und Intergeschlechtlichen

Im Februar 2017 reichten zwei NGOs beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine Klage ein, mit der sie eine Änderung des Familienrechts beantragten, das das Zusammenleben für gleichgeschlechtliche Paare verbietet. Eine Umfrage im August ergab, dass Diskriminierung am Arbeitsplatz sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor weit verbreitet war.

Rechte von Migranten

Im Mai 2017 stellte ein britisches Gericht fest, dass Hunderte Lesben und Schwule sowie Opfer von Menschenhandel und Überlebende von häuslicher Gewalt seit 2011 fälschlicherweise nach Albanien abgeschoben worden waren, weil britische Gerichte sich auf eine falsche Beratung verlassen hatten. Etwa 4421 albanische Asylsuchende kehrten freiwillig aus EU-Ländern nach Albanien zurück; 2500 abgelehnte Asylsuchende wurden aus Deutschland abgeschoben. 

Unbegleitete Minderjährige und Familien mit Kindern wurden zum Teil in Karreç in einem geschlossenen Zentrum für Migranten ohne regulären Aufenthaltsstatus, die abgeschoben werden sollen, festgehalten.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Im September 2017 protestierten 20 NGOs, die sich für Kinderrechte einsetzen, gegen die Abschaffung des Ministeriums für Arbeit und Soziales und die damit einhergehende Gefährdung der Sozialleistungen.

Das Ministerium für Stadtentwicklung ließ 300 Häuser von Roma und Balkan-Ägyptern wieder aufbauen und die sanitären Anlagen verbessern. Den meisten Roma fehlte es jedoch an sauberem Wasser, und es drohten ihnen weiterhin rechtswidrige Zwangsräumungen.

Gewalt gegen Frauen und Mädchen

Die Meldungen über häusliche Gewalt nahmen zu; bis zum 1. Juni 2017 waren 420 Schutzanordnungen mit sofortiger Wirkung erlassen worden. Im August 2017 wurde die Richterin Fildeze Hafizi von ihrem Ex-Mann in ihrem Auto erschossen. Sie war 2015 unter Schutz gestellt worden, nachdem er sie geschlagen hatte. Im April 2016 wurde er schuldig gesprochen und inhaftiert, Anfang 2017 jedoch im Rahmen einer Generalamnestie aus der Haft entlassen.

Weitere Artikel