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Georgien 2017
Es gab weiterhin Befürchtungen, die Justiz sei nicht unabhängig und unterliege politischer Einflussnahme, weil in einer Reihe von Gerichtsverfahren von großem öffentlichem Interesse Urteile zugunsten der Regierung gefällt wurden. 2016 gingen erneut Meldungen über Fälle von Folter und Misshandlungen durch die Polizei ein. Der Ausbau der Grenzanlagen entlang der Verwaltungsgrenze zu den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien hatte negative Auswirkungen auf die wirtschaftlichen und sozialen Rechte der dort lebenden Menschen.
HINTERGRUND
Bei den Parlamentswahlen am 8. und 30. Oktober 2016 konnte das regierende Parteienbündnis Georgischer Traum seine Mehrheit auf 115 Sitze ausbauen. Die stärkste Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung gewann 27 und die rechtsgerichtete konservative Allianz der Patrioten Georgiens sechs Sitze.
Im Vorfeld der Wahl gelangten heimliche Aufzeichnungen von Intimsituationen und Privatgesprächen oppositioneller Politiker und Journalisten an die Öffentlichkeit. Fünf Personen, die verdächtigt wurden, für die rechtswidrigen Aufnahmen verantwortlich zu sein, wurden inhaftiert, unter ihnen ein ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter. Ende 2016 waren die Ermittlungen diesbezüglich noch nicht abgeschlossen.
In den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien schränkten die De-facto-Behörden und russische Soldaten die Überschreitung der Verwaltungsgrenzlinie weiterhin ein und nahmen zahlreiche Personen fest. Einige der Betroffenen gaben an, während ihrer lang andauernden willkürlichen Inhaftierung Folter und andere Misshandlungen, darunter Prügel, erlitten zu haben. Am 19. Mai 2016 erschoss ein russischer Soldat einen Mann, der versuchte, die Verwaltungsgrenze nach Abchasien zu überqueren. Ende 2016 hatten die De-facto-Behörden die Untersuchung des Falls noch nicht abgeschlossen.
Der Ausbau der Grenzanlagen entlang der Verwaltungsgrenzlinie beeinträchtigte die Rechte der lokalen Bevölkerung auf Arbeit, Nahrung und angemessenen Lebensstandard, denn sie wurde dadurch teilweise oder gänzlich von ihren Obstgärten, Viehweiden und Ackerflächen abgeschnitten.
JUSTIZSYSTEM
Sowohl georgische als auch internationale Beobachter äußerten Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz und befürchteten eine selektive Anwendung des Rechts.
Am 12. Januar 2016 berichtete der Menschenrechtskommissar des Europarats, Gerichte würden bei Mitgliedern der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung eher Haft anordnen oder eine Freiheitsstrafe verhängen, während Unterstützer der Regierung in vergleichbaren Fällen mit Freilassung gegen Kaution oder Geldstrafen davonkämen.
Am 16. Mai 2016 befand das Stadtgericht Tiflis fünf ehemalige hochrangige Mitglieder des Verteidigungsministeriums der Veruntreuung von 4,1 Mio. Lari (etwa 1,5 Mio. Euro) für schuldig und verurteilte sie zu jeweils sieben Jahren Gefängnis. Sie waren vom ehemaligen Verteidigungsminister Irakli Alasania ernannt worden, der mittlerweile als bedeutender Vertreter der Opposition gilt. Der Schuldspruch gegen die fünf Männer erfolgte, obwohl die Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Beweise dafür vorlegen konnte, dass sie aus "unlauterer Absicht" gehandelt hatten. Dies stellt jedoch ein notwendiges Merkmal der ihnen zur Last gelegten Straftat dar.
Am 10. Juni 2016 bestätigte das Berufungsgericht Tiflis das 2015 von einem erstinstanzlichen Gericht gefällte Urteil im Streit um den der Opposition nahestehenden Fernsehsender Rustavi 2. Die Entscheidung fiel zugunsten eines früheren Anteilseigners aus, der damit wieder Eigentümer des Senders wurde. Er hatte angegeben, dass er das Unternehmen mehr als zehn Jahre zuvor unter dem Druck der damaligen Regierung der Vereinten Nationalen Bewegung verkauft habe. Nach allgemeiner Einschätzung wurde der Rechtsstreit, der nach Ablauf der Verjährungsfrist stattfand, von der gegenwärtigen Regierung unterstützt, um die Vereinte Nationale Bewegung vor der Parlamentswahl ihres wichtigsten Sprachrohrs zu berauben.
Am 14. Juni 2016 urteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Fall Merabishvili gegen Georgien, dass die wiederholte Verlängerung der Untersuchungshaft des Beschwerdeführers wegen des Verdachts auf Korruption "unangemessen" gewesen sei. Sie sei zudem "als zusätzliches Druckmittel" benutzt worden, um von ihm Informationen über die Todesursache des ehemaligen Ministerpräsidenten Surab Schwania und finanzielle Aktivitäten des ehemaligen Präsidenten Micheil Saakaschwili zu erhalten. Die diesbezüglichen Untersuchungen hätten jedoch keinen Bezug zu der Straftat, wegen der er in Untersuchungshaft genommen worden sei.
Am 21. Juli 2016 erklärte der Vorsitzende des Verfassungsgerichts, die Behörden hätten einige Richter des Gerichts unter Druck gesetzt, Urteilssprüche aufzuschieben und bei einigen Verfahren von großem öffentlichem Interesse zu ihren Gunsten zu entscheiden. Die Staatsanwaltschaft leitete wenige Tage später Ermittlungen bezüglich dieser Vorwürfe ein.
RECHT AUF VERSAMMLUNGSFREIHEIT
Das Recht auf Versammlungsfreiheit blieb 2016 weitgehend uneingeschränkt. Allerdings gab es einige Vorfälle politisch motivierter Gewalt, die von Anhängern des Parteienbündnisses Georgischer Traum und gelegentlich auch von Unterstützern der Oppositionspartei Vereinte Nationale Bewegung gegen den jeweiligen politischen Gegner verübt wurden.
Am 22. Mai überfielen mehrere unbekannte Männer eine Gruppe prominenter Mitglieder der Partei Vereinte Nationale Bewegung in einem Wahllokal im Dorf Kortskheli. Augenzeugen zufolge schien es sich dabei um einen organisierten Angriff zu handeln. Videoaufnahmen zeigen, wie die Parteimitglieder gestoßen, zu Boden geworfen und mit Holzlatten geschlagen werden. Mehrere anwesende Polizisten schritten nicht ein und ließen die Täter entkommen. Am 1. Juni wurden sechs Männer im Zusammenhang mit dem Angriff wegen Rowdytums angeklagt und gegen Zahlung einer Kaution freigelassen.
RECHT AUF FREIE MEINUNGSÄUßERUNG
Am 15. Februar 2016 zog das Parlament einen Gesetzentwurf zurück, der vorsah, die "Verletzung religiöser Gefühle" als Ordnungswidrigkeit einzustufen. Zuvor hatte der Parlamentsausschuss für Menschenrechte und zivile Integration dem Entwurf zugestimmt, der u. a. Kritik an religiösen Führern unter Strafe stellen sollte.
RECHTE VON LESBEN, SCHWULEN, BISEXUELLEN, TRANSGESCHLECHTLICHEN UND INTERSEXUELLEN
Am 9. August 2016 weigerte sich Präsident Giorgi Margwelaschwili, eine Volksabstimmung über eine Verfassungsänderung abzuhalten, die vorsah, die bisher in der Verfassung enthaltene Definition der Ehe als "auf der Gleichstellung der Ehepartner basierende freiwillige Verbindung" durch die Definition "Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau" zu ersetzen. Der Gesetzentwurf, mit dem die Verfassungsänderung herbeigeführt werden sollte, war im Mai vom Parlamentsausschuss für Menschenrechte und zivile Integration gebilligt worden.
Am 23. November 2016 starb eine Transfrau, die von zwei Männern überfallen und geschlagen worden war, im Krankenhaus an ihren Verletzungen. Eine lokale Frauenrechts-NGO gab an, im Jahr 2016 mindestens 35 Angriffe auf LGBTI-Frauen registriert zu haben. Das Büro der Ombudsperson äußerte sich ebenso wie lokale Menschenrechtsgruppen besorgt darüber, dass es bei Verbrechen gegen LGBTI an wirksamen Untersuchungen mangelte und oftmals niemand zur Verantwortung gezogen wurde.
FOLTER UND ANDERE MISSHANDLUNGEN
Folter und andere Misshandlungen sowie weitere durch Ordnungskräfte verübte Verstöße boten Grund zur Sorge. Doch gelang es der Regierung nicht, die gesetzlichen Voraussetzungen für einen unabhängigen Mechanismus zur Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen durch Ordnungskräfte zu schaffen. Am 7. August 2016 bestellte ein Polizist den in Dapnari in Westgeorgien lebenden 22-jährigen Demur Sturua ein, um ihn über eine Person zu befragen, die im Dorf Cannabis anbaute. Am darauffolgenden Tag verübte Demur Sturua Selbstmord. In seinem Abschiedsbrief beschuldigte er den Polizisten, ihn geschlagen und bedroht zu haben. Der Anwalt der Familie gab an, dass bei seiner Obduktion körperliche Verletzungen festgestellt worden seien. Zum Jahresende waren die Ermittlungen in dem Fall noch nicht abgeschlossen.
In der Folge war in Medienberichten davon die Rede, dass Bewohner abgelegener Dörfer, die von Polizisten möglicherweise ähnlich behandelt worden waren, es nicht wagten, Anzeige zu erstatten, weil sie Repressalien befürchteten und kein Vertrauen in die Behörden hatten.