Amnesty Report Libyen 07. Juni 2016

Libyen 2016

 

Der bewaffnete Konflikt ging 2015 unvermindert weiter. Sowohl militärische Kräfte, die den beiden rivalisierenden Regierungen nahestanden, als auch bewaffnete Gruppen begingen Kriegsverbrechen, andere Verletzungen des humanitären Völkerrechts und Menschenrechtsverstöße, ohne dafür zur Verantwortung gezogen zu werden. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden stark eingeschränkt. Noch immer waren Menschen ohne Gerichtsverfahren inhaftiert. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor an der Tagesordnung. Frauen, Migranten und Flüchtlinge wurden diskriminiert und misshandelt. Die Todesstrafe blieb in Kraft. Mehrere ehemalige hohe Beamte wurden nach unfairen Gerichtsverfahren zum Tode verurteilt.

Hintergrund

2015 existierten zwei konkurrierende Regierungen und Parlamente, die Legitimität beanspruchten und um die Vorherrschaft kämpften. Beide Lager wurden von losen Bündnissen bewaffneter Gruppen und militärischer Kräfte unterstützt, ohne diese wirksam kontrollieren zu können. Bewaffnete Gruppen nutzten das Fehlen einer Zentralgewalt aus, um ihre Macht zu festigen. Das Bündnis "Operation Würde", das Einheiten der libyschen Armee, Stammesmilizen und Freiwillige umfasste, unterstützte das Abgeordnetenhaus und die Regierung mit Sitz in Tobruk und al-Baida, die bis zum Abschluss des Libyschen Politischen Abkommens im Dezember 2015 (siehe unten) die international anerkannte Regierung war. Das Bündnis "Libysche Morgenröte" setzte sich aus Milizen westlibyscher Städte zusammen und stellte sich hinter die selbsternannte Regierung der nationalen Rettung und den Allgemeinen Nationalkongress, die ihren Sitz in Tripolis hatten. Im Laufe des Jahres gab es in den militärischen Bündnissen immer wieder Abspaltungen, was die chaotische Lage im Land noch verschärfte.

Im Oktober 2015 weitete das Abgeordnetenhaus sein Mandat aus, indem es Änderungen an der vorläufig geltenden Verfassungserklärung vornahm. Beide Parlamente verabschiedeten neue Gesetze. Es blieb allerdings unklar, in welchem Maß diese Anwendung fanden.

Schwerpunkte der Kampfhandlungen zwischen der "Libyschen Morgenröte" und der "Operation Würde" waren die Küstenregionen im Osten des Landes und die Nafusa-Berge. Im westlichen Libyen trugen örtliche Waffenruhen dazu bei, die Kämpfe einzudämmen und Gefangene auszutauschen oder freizulassen. Im Osten führten Kämpfe zwischen der "Operation Würde" und dem Revolutionären Rat (Shura) von Bengasi, einer Koalition aus islamistischen bewaffneten Gruppen wie Ansar al-Scharia (Anhänger der Scharia), zu zivilen Opfern und schweren Schäden in Bengasi. Zivilpersonen waren eingeschlossen und hatten keinen Zugang zu humanitärer Hilfe.

In vielen Landesteilen kämpften bewaffnete Gruppen, die jeweils eigene ideologische, regionale, stammesspezifische, ethnische oder wirtschaftliche Interessen verfolgten, um die Vorherrschaft. Im August 2015 konnte die bewaffnete Gruppe Islamischer Staat (IS) die Kontrolle über Sirte und das umliegende Küstengebiet festigen. Auch in Bengasi, Sabratha und Derna war der IS präsent, er verlor allerdings im Juni die Kontrolle über Derna nach Zusammenstößen mit dem dortigen Rat (Shura) der Mudschaheddin, ein Bündnis bewaffneter Gruppen, das offenbar Al-Qaida nahesteht.

Nach 14-monatigen Verhandlungen unter Vermittlung der UN-Unterstützungsmission in Libyen (United Nations Support Mission in Libya – UNSMIL) unterzeichneten Teilnehmer des politischen Dialogs, darunter auch Abgeordnete der beiden konkurrierenden Parlamente, im Dezember 2015 das Libysche politische Abkommen, um die Gewalt zu beenden und eine "Regierung der Nationalen Einheit" zu bilden, die einen Präsidentschaftsrat und ein Kabinett umfassen soll. Das Abkommen wurde vom UN-Sicherheitsrat einstimmig befürwortet, führte aber nicht zu einem Ende der Feindseligkeiten. Die Präsidenten der beiden konkurrierenden Parlamente stellten sich dagegen und versuchten, eine gesonderte Vereinbarung zu treffen, was bewies, dass es auch innerhalb der Konfliktparteien massive Unstimmigkeiten gab.

Im Oktober 2015 legte die Verfassunggebende Versammlung einen ersten Entwurf für eine neue Verfassung vor. Darin waren zwar wichtige Vorschriften zum Schutz der Menschenrechte enthalten, in Bezug auf Meinungsfreiheit, Nichtdiskriminierung und Recht auf Leben kam der Entwurf jedoch Libyens internationalen Menschenrechtsverpflichtungen nicht nach.

Im Februar 2015 hob das Abgeordnetenhaus das Gesetz Nr. 13/2013 zur Trennung von Politik und Verwaltung auf. Das Gesetz hatte Beamten der früheren Regierung von Mu’ammar al-Gaddafi u. a. untersagt, leitende Funktionen in öffentlichen Einrichtungen zu übernehmen.

Der Mangel an Rechtsstaatlichkeit führte zu einem Anstieg der Kriminalität. Immer häufiger wurden ausländische Staatsangehörige und andere Personen Opfer von Entführungen mit Lösegeldforderungen.

Interner bewaffneter Konflikt

Die Zivilbevölkerung hatte weiterhin die Hauptlast des bewaffneten Konflikts zu tragen. Nach Angaben des UN-Amts für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten benötigten im Oktober 2015 etwa 2,44 Mio. Menschen humanitäre Hilfe und Schutz. Es gab keine genauen Zahlen zu Opfern in der Zivilbevölkerung. Die Vereinten Nationen schätzten, dass zwischen Mai 2014 und Mai 2015 rund 20 000 Zivilpersonen verletzt wurden. Die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs ging davon aus, dass 2015 mindestens 600 Zivilpersonen getötet wurden.

Die Zivilbevölkerung hatte aufgrund des bewaffneten Konflikts nur eingeschränkten Zugang zu Lebensmitteln, Gesundheitsfürsorge, Trinkwasser, Sanitärversorgung und Bildungseinrichtungen. Viele Gesundheitszentren blieben aufgrund der Kämpfe geschlossen, wiesen Schäden auf oder waren nicht erreichbar. Die noch funktionierenden Einrichtungen waren überfüllt und nur mangelhaft ausgestattet. Rund 20 % der Kinder konnten nicht zur Schule gehen.

Alle Konfliktparteien begingen schwerwiegende Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, darunter Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverstöße. Sie verschleppten und inhaftierten Zivilpersonen, darunter Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen und medizinisches Personal, als Vergeltung für deren Herkunft oder vermeintliche politische Zugehörigkeit. In vielen Fällen wurden die Betroffenen als Geiseln gehalten, um einen Gefangenenaustausch zu erreichen oder Lösegeld zu erpressen. Häftlinge wurden gefoltert und in anderer Weise misshandelt, und es kam zu summarischen Tötungen. Die Konfliktparteien waren außerdem für wahllose und unverhältnismäßige Angriffe sowie für direkte Angriffe auf Zivilpersonen und zivile Ziele verantwortlich.

Im Mai und Juni 2015 entführten bewaffnete Gruppen aus dem Umfeld der "Libyschen Morgenröte" in Tripolis zahlreiche Tunesier, darunter auch Botschaftsangehörige. Es handelte sich offenbar um eine Vergeltungsaktion für die Festnahme eines Befehlshabers der "Libyschen Morgenröte" durch die tunesischen Behörden. Die Geiseln kamen nach einigen Wochen wieder frei.

IS-Kämpfer verübten zahlreiche summarische Tötungen. Zu den Opfern zählten gefangen genommene Kämpfer und entführte Zivilpersonen, darunter auch ausländische Staatsangehörige, mutmaßliche Informanten und politische Gegner sowie Männer, denen man gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen oder die Ausübung "schwarzer Magie" vorwarf. In Sirte und Derna setzte der IS seine Auslegung des islamischen Rechts (Scharia) durch und beging vor den Augen einer Menschenmenge, in der sich häufig auch Kinder befanden, Tötungen, die Hinrichtungen glichen. Die Leichen der Opfer wurden anschließend öffentlich zur Schau gestellt. Auch öffentliche Auspeitschungen und Amputationen fanden statt. Einige dieser Verbrechen, darunter die Enthauptung und Erschießung von mindestens 49 koptischen Christen aus Ägypten und Äthiopien, wurden gefilmt und im Internet veröffentlicht.

IS-Kämpfer waren für wahllose Selbstmordattentate und gezielte Angriffe auf Zivilpersonen verantwortlich, wie z. B. im Januar 2015, als bei einem Anschlag mit Schusswaffen und einem Bombenattentat in einem Hotel in Tripolis mindestens acht Menschen getötet wurden. Nach einem gescheiterten Versuch, den IS aus Sirte zu vertreiben, beschossen IS-Kämpfer im August 2015 ein Wohngebiet wahllos mit Granaten, zwangen die Bewohner zur Flucht und zerstörten die Häuser von Zivilpersonen, die sie für politische Gegner hielten.

Das Bündnis "Libysche Morgenröte" und die libysche Luftwaffe flogen 2015 Luftangriffe, bei denen Zivilpersonen getötet und verletzt wurden. An mindestens zwei Orten fanden sich Beweise für den Einsatz international geächteter Streubomben, für den offenbar das Bündnis "Operation Würde" verantwortlich war.

Bewaffnete Kräfte der "Operation Würde" griffen Häuser von mutmaßlichen Anhängern des Revolutionären Rats (Shura) von Bengasi und anderen Personen an und setzten sie in Brand. Berichten zufolge entführte das Bündnis außerdem Zivilpersonen, inhaftierte, folterte und misshandelte sie. Auch für summarische Tötungen von Zivilpersonen und gefangen genommenen Kämpfern sollen Kräfte der "Operation Würde" verantwortlich sein.

Im Süden Libyens gab es Kämpfe zwischen rivalisierenden Stämmen und ethnischen Gruppen, oft auch in städtischen Gebieten. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Tebu- und Tuareg-Gruppen in Ubari und Sabha sowie zwischen Tebu- und Zway-Gruppen in Kufra führten zu Hunderten von zivilen Opfern, massenhafter Vertreibung und Schäden an zivilen Gebäuden.

Verbündete der international anerkannten Regierung, darunter die USA, gingen mit Luftschlägen gegen den IS und andere bewaffnete Gruppen vor, denen sie "Terrorismus" vorwarfen. Zumindest ein Luftangriff der ägyptischen Armee im Februar 2015 kann als unverhältnismäßig gelten. Dabei wurde ein Wohngebiet getroffen, sieben Zivilpersonen getötet und weitere verletzt.

Straflosigkeit

Im März 2015 bat der UN-Menschenrechtsrat den UN-Hochkommissar für Menschenrechte, die Menschenrechtsverletzungen und Verstöße zu untersuchen, die seit Anfang 2014 in Libyen begangen wurden. Die im März 2015 vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2213 forderte eine sofortige und bedingungslose Waffenruhe, die sofortige Freilassung aller willkürlich in Haft gehaltenen Personen und die Überstellung aller anderen Inhaftierten an die Staatsgewalt. Außerdem verlangte der UN-Sicherheitsrat, die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, u. a. durch gezielte Sanktionen. Obwohl die libyschen Behörden in der Resolution aufgefordert werden, mit dem Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) zusammenzuarbeiten, lehnten sie es erneut ab, Saif al-Islam al-Gaddafi an den IStGH auszuliefern, vor dem er sich wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verantworten sollte. Er blieb weiterhin in Gewahrsam von Milizen.

Die Chefanklägerin des IStGH zeigte sich besorgt über Verbrechen des IS und über mutmaßliche Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch die "Libysche Morgenröte" und die "Operation Würde". Sie leitete jedoch keine neuen Ermittlungen ein und begründete dies mit fehlenden finanziellen Mitteln und der instabilen Lage in Libyen. Gleichzeitig rief sie die Vertragsstaaten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs auf, für die notwendige Finanzierung zu sorgen. Die Chefanklägerin forderte keine Überprüfung des Urteils der IStGH-Berufungskammer, die 2014 entschieden hatte, dass das Verfahren gegen den ehemaligen Geheimdienstchef der Regierung al-Gaddafi, Abdallah al-Senussi, in Libyen stattfinden könne. Im Juli 2015 verurteilte ein Gericht in Tripolis al-Senussi zusammen mit acht weiteren Angeklagten zum Tode.

Im Juli 2015 verabschiedete das Repräsentantenhaus ein Gesetz, das eine Amnestie vorsah für einige Verbrechen, die seit der Verabschiedung eines ähnlichen Gesetzes aus dem Jahr 2012 begangen worden waren. Ausgenommen waren terroristische Straftaten, Folter, Vergewaltigung und andere schwere Verbrechen. Vertreibungen zählten allerdings nicht zu den Ausnahmen.

Im Dezember 2015 beschloss der UN-Sicherheitsrat Resolution 2259, in der die neue Regierung der Nationalen Einheit aufgefordert wurde, diejenigen zur Rechenschaft zu ziehen, die für Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und Menschenrechtsverstöße verantwortlich sind.

Binnenvertriebene

2015 gab es in Libyen etwa 435 000 Binnenflüchtlinge, von denen viele mehr als einmal vertrieben wurden. Mehr als 100 000 Binnenvertriebene waren in behelfsmäßigen Lagern, Schulen und Hallen untergebracht.

Unter Vermittlung von UNSMIL unterzeichneten Vertreter aus Tawargha und Misrata ein Dokument, das Grundsätze und Maßnahmen enthält, um 40 000 Binnenflüchtlinge, die 2011 aus Tawargha vertrieben wurden, eine sichere, freiwillige Rückkehr zu ermöglichen, sowie Pläne zur Entschädigung der Betroffenen und zur Aufarbeitung der Menschenrechtsverstöße.

Justizwesen

Das Strafjustizsystem war weiterhin äußerst mangelhaft und blieb wirkungslos. In Sirte, Derna und Bengasi blieben Gerichte 2015 weiterhin aus Sicherheitsgründen geschlossen.

Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte wurden angegriffen, entführt und bedroht. Im August 2015 wurde in der Nähe von Sirte der Leichnam von Mohamed Salem al-Namli gefunden. Der Richter am Berufungsgericht in al-Khoms war zehn Tage zuvor vom IS verschleppt worden.

Die Unabhängigkeit der Justiz wurde durch mehrere Entscheidungen des Allgemeinen Nationalkongresses weiter untergraben. Im Oktober 2015 ernannte der Allgemeine Nationalkongress 36 Richter des Obersten Gerichtshofs, nachdem er im Mai bereits dessen Präsidenten bestimmt hatte.

In Tripolis stellten Richter im Juni 2015 aus Protest gegen Einmischung seitens der Regierung und der Justizbehörden ihre Arbeit vorübergehend ein und forderten mehr Schutz für Gerichte und Staatsanwälte.

Die Behörden in Misrata ließen zahlreiche Personen frei, die seit dem bewaffneten Konflikt im Jahr 2011 ohne Gerichtsverfahren inhaftiert waren, darunter auch vertriebene Einwohner Tawarghas. Tausende weitere Personen im ganzen Land waren weiterhin ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft.

Unfaire Gerichtsverfahren

Obwohl das Strafjustizsystem weiterhin nicht ordnungsgemäß funktionierte, wurden 37 Personen, die während der Regierungszeit von Mu’ammar al-Gaddafi hochrangige Posten innegehabt hatten, wegen Kriegsverbrechen und anderer Straftaten während des bewaffneten Konflikts im Jahr 2011 vor ein Schwurgericht in Tripolis gestellt. Der Prozess wies schwere Verstöße gegen die internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren auf, vor allem im Hinblick auf die Rechte der Verteidigung. Außerdem ging das Gericht Vorwürfen der Angeklagten, sie seien gefoltert und misshandelt worden, nicht gründlich nach. Zu den Angeklagten zählte auch Saif al-Islam al-Gaddafi, einer der Söhne Mu’ammar al-Gaddafis, dem in Abwesenheit der Prozess gemacht wurde, weil er weiterhin an einem unbekannten Ort in Sintan festgehalten wurde. Am 28. Juli 2015 verurteilte ihn das Gericht zusammen mit Abdallah al-Senussi und sieben weiteren Angeklagten zum Tode. Die übrigen 24 Angeklagten erhielten Gefängnisstrafen zwischen fünf Jahren und lebenslang. Die Überprüfung der Urteile durch den Obersten Gerichtshof war Ende 2015 noch nicht abgeschlossen.

Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit

Bewaffnete Gruppen und unbekannte Täter waren für Attentate, Entführungen und Drohungen verantwortlich, die sich gezielt gegen Medienschaffende, NGO-Mitarbeiter und Menschenrechtsverteidiger richteten.

Im Januar 2015 griffen Unbekannte mit Panzerfäusten den Fernsehsender Al-Nabaa in Tripolis an, dem nachgesagt wurde, der "Libyschen Morgenröte" nahezustehen. Im Februar 2015 verschleppten bewaffnete Männer in Tripolis zwei Mitarbeiter der lokalen NGO Nationale Menschenrechtskommission. Sie kamen einige Wochen später wieder frei. Im selben Monat wurden die zivilgesellschaftlich engagierte Bürgerin Intissar Husseiri und ihre Tante tot in einem Auto in Tripolis aufgefunden. Beide wiesen Kopfschüsse auf. Die Generalstaatsanwaltschaft ordnete Ermittlungen an, teilte jedoch keine Ergebnisse mit.

Im April 2015 töteten bewaffnete Männer den Journalisten Muftah al-Qatrani in seinem Büro in Bengasi. In der Nähe von al-Bayda wurden die Leichen von fünf Männern gefunden, die für den Fernsehsender Barqa gearbeitet hatten und seit August 2014 vermisst wurden. Das Schicksal der tunesischen Journalisten Sofiane Chourabi und Nadhir Ktari sowie des libyschen politischen Aktivisten Abdel Moez Banoun, die seit 2014 vermisst sind, war weiterhin unbekannt.

Die Nationale Regierung zur Rettung der Nation mit Sitz in Tripolis blockierte immer wieder Internetmedien, die von den Behörden als regierungskritisch eingestuft wurden, wie z. B. den Nachrichtendienst Bawabat al-Wasat. Im November 2015 forderte der Kulturminister dieser Regierung zivilgesellschaftliche Organisationen nachdrücklich auf, nicht an Treffen im Ausland teilzunehmen, ohne die Behörden vorab darüber zu informieren. Der Kulturminister der international anerkannten Regierung wies die Sicherheitsorgane an, alle Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu verbieten, die Geld aus dem Ausland erhielten.

Die NGO Reporter ohne Grenzen dokumentierte zwischen Januar und November 2015 mehr als 30 Angriffe bewaffneter Milizen auf Journalisten.

Folter und andere Misshandlungen

In Gefängnissen und Haftzentren in ganz Libyen waren Folter und andere Misshandlungen an der Tagesordnung, unabhängig davon, ob sie von der international anerkannten Regierung, den Behörden in Tripolis oder von Milizen betrieben wurden. In einigen Fällen starben Häftlinge an den Folgen.

Im August 2015 machte in den sozialen Medien ein Video die Runde, das offenbar zeigte, wie Beamte As-Saadi al-Gaddafi und andere Häftlinge im al-Hadba-Gefängnis in Tripolis foltern. Wenig später aufgetauchte Videos zeigten, wie Beamte As-Saadi al-Gaddafi Folter androhen. Der Gefängnisdirektor sagte, er habe die Verantwortlichen vom Dienst suspendiert. Unklar blieb, ob die vom Generalstaatsanwalt angeordnete Untersuchung strafrechtliche Konsequenzen nach sich zog. Die Behörden teilten UNSMIL mit, es habe Festnahmen gegeben, ohne jedoch Einzelheiten zu nennen. Dem Vernehmen nach tauchten die Verantwortlichen unter.

Frauenrechte

Frauen wurden nach wie vor durch die Gesetzgebung sowie im täglichen Leben diskriminiert und waren nur unzureichend gegen geschlechtsspezifische Gewalt geschützt.

Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsverteidigerinnen wurden von bewaffneten Gruppen bedroht und eingeschüchtert, um sie davon abzuhalten, sich gesellschaftlich zu engagieren und sich für Frauenrechte und eine Entwaffnung einzusetzen.

Die Zahl minderjähriger Mädchen, die verheiratet wurden, nahm offensichtlich zu. In Derna sollen Mädchen, die zum Teil erst zwölf Jahre alt waren, an IS-Kämpfer verheiratet worden sein, um auf diese Weise ihre Familien zu schützen.

Im Oktober 2015 änderte der Allgemeine Nationalkongress mit Sitz in Tripolis das Gesetz zu Eheschließung, Scheidung und Erbschaftsrecht aus dem Jahr 1984. Es wurden neue Bestimmungen eingeführt, die Frauen und Mädchen benachteiligen und der Verheiratung minderjähriger Mädchen Vorschub leisten. Nach der Neuregelung kann sich ein Mann ohne Erlaubnis eines Gerichts einseitig von seiner Ehefrau scheiden lassen. Einer Frau ist es verboten, Trauzeugin zu sein.

Frauen wurden willkürlich in ihrem Recht auf Freizügigkeit eingeschränkt. Frauen, die ohne männlichen Begleiter unterwegs waren, wurden von Milizen schikaniert und in einigen Fällen an Reisen ins Ausland gehindert. Grundlage dafür war eine von Libyens Großmufti erlassene Fatwa aus dem Jahr 2012.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Im September 2015 schätzten die Vereinten Nationen die Zahl der Flüchtlinge, Asylsuchenden und Migranten in Libyen, die Schutz oder Hilfe benötigten, auf rund 250 000. Viele von ihnen wurden misshandelt, diskriminiert oder als Arbeitskräfte ausgebeutet. Bewaffnete Gruppen, die ihre Auslegung des islamischen Rechts durchsetzen wollten, griffen gezielt Angehörige religiöser Minderheiten an, vor allem Christen. Ausländischen Staatsbürgern, die ohne gültige Einreisepapiere nach Libyen gelangten, drohten Erpressung, Folter, Verschleppung und teilweise auch sexuelle Gewalt durch kriminelle Banden, die Menschenhandel betrieben und als Schleuser tätig waren.

Die in Tripolis ansässige Behörde zur Bekämpfung unerlaubter Migration hielt noch immer zwischen 2500 und 4000 ausländische Staatsbürger ohne Einreisedokumente auf unbestimmte Zeit in 15 Haftzentren im ganzen Land fest. Viele von ihnen wurden gefoltert, nachdem man sie festgenommen oder auf See abgefangen hatte.

Angesichts von Gewalt und Misshandlungen versuchten Tausende Menschen, Libyen zu verlassen und in häufig nicht seetüchtigen Booten über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Bis zum 5. Dezember 2015 erreichten etwa 153 000 Flüchtlinge und Migranten Italien auf dem Seeweg. Die meisten von ihnen waren in Libyen gestartet. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration ertranken 2015 mehr als 3700 Menschen bei dem Versuch, das Mittelmeer zu überqueren.

Im Januar 2015 verhängte die international anerkannte Regierung ein Einreiseverbot für Syrer, Palästinenser sowie Staatsangehörige aus Bangladesch und dem Sudan. Das Verbot wurde im September auf Staatsangehörige aus dem Jemen, dem Iran und aus Pakistan ausgeweitet.

Todesstrafe

Die Todesstrafe blieb für zahlreiche Verbrechen weiterhin in Kraft. Ehemalige hochrangige Vertreter und mutmaßliche Unterstützer der Regierung von al-Gaddafi wurden zum Tode verurteilt. Es gab keine Berichte über gerichtlich angeordnete Hinrichtungen.

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