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Vietnam 2015
Drastische Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit blieben in Kraft. Der Staat kontrollierte weiterhin sowohl die Medien und das Justizwesen als auch politische und religiöse Institutionen. Zahlreiche gewaltlose politische Gefangene befanden sich noch immer unter harten Bedingungen in Haft, nachdem sie in den Jahren zuvor in unfairen Strafverfahren verurteilt worden waren. Unter ihnen waren Blogger, Gewerkschafter, Landrechtsaktivisten, politisch und sozial engagierte Bürger, Anhänger von Religionsgemeinschaften, Angehörige ethnischer Minderheiten und Menschenrechtler.
Zudem wurden weitere Blogger und Menschenrechtsverteidiger festgenommen und vor Gericht gestellt. Die Behörden versuchten, die Aktivitäten nicht genehmigter zivilgesellschaftlicher Gruppen durch Drangsalierung, Überwachung und Einschränkungen der Freizügigkeit zu beschneiden. Sicherheitskräfte schikanierten friedliche Aktivisten, griffen sie tätlich an und nahmen sie kurzzeitig in Gewahrsam. Die Todesstrafe wurde für eine breite Spanne von Delikten beibehalten.
Hintergrund
Ab Januar 2014 wurde Vietnam für einen Zeitraum von drei Jahren in den UN-Menschenrechtsrat gewählt. Im Juni wies Vietnam 45 der 227 Empfehlungen zurück, die die UN-Arbeitsgruppe für die Allgemeine Regelmäßige Überprüfung im Februar abgegeben hatte. Hierzu gehörten u.a. zentrale Empfehlungen zu Menschenrechtsverteidigern und Dissidenten sowie zum Recht auf freie Meinungsäußerung und zur Todesstrafe.
Der Territorialkonflikt im Südchinesischen Meer eskalierte im Mai 2014, als China eine Erdölbohrinsel in einem Seegebiet aufstellte, das Vietnam gleichfalls für sich beansprucht. Der Vorfall führte zu antichinesischen Ausschreitungen, an denen sich Zehntausende Arbeiter in Industrieparks in mehreren Provinzen in Süd- und Zentralvietnam beteiligten.
Dabei wurden Produktionsstätten chinesischer Firmen angegriffen, aber auch taiwanesische, koreanische und japanische Fabriken beschädigt und geplündert. Eine unbestimmte Anzahl von Personen wurde getötet oder verletzt, und etwa 700 Menschen wurden wegen ihrer Beteiligung an den Krawallen festgenommen.
Im Februar 2014 reisten Vertreter von Amnesty International zu offiziellen Gesprächen nach Vietnam. Während seines Besuchs im Juli fand der UN-Sonderberichterstatter über Religions- oder Weltanschauungsfreiheit Hinweise auf schwerwiegende Verletzungen des Rechts auf Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses.
So war es beispielsweise zu Polizeirazzien und Störungen religiöser Zeremonien gekommen, Gläubige waren verprügelt worden, und es hatte Angriffe auf Anhänger unabhängiger Religionsgemeinschaften gegeben. Einige Personen, mit denen Treffen vereinbart worden waren, wurden von Sicherheitsbeamten eingeschüchtert, drangsaliert und überwacht.
Gesetzliche, verfassungsrechtliche und institutionelle Entwicklungen
Die im November 2013 beschlossene Verfassung trat 2014 in Kraft. Dem ging ein neunmonatiger Konsultationsprozess voraus, der jedoch starken Einschränkungen unterworfen war. Die Verfassung sieht den allgemeinen Schutz der Rechte auf freie Meinungsäußerung, friedliche Versammlung und Vereinigungsfreiheit vor, doch werden diese Rechte durch vage und weitgefasste Bestimmungen in der nationalen Gesetzgebung wieder eingeschränkt. In der Verfassung ist nur eine limitierte Garantie des Rechts auf einen fairen Gerichtsprozess enthalten.
Vietnam unterzeichnete im November 2013 das UN-Übereinkommen gegen Folter und führte im Jahr 2014 mehrere Einführungsworkshops durch. Im November 2014 stimmte die Nationalversammlung für die Ratifizierung des Übereinkommens. Obwohl die neue Verfassung Folter verbietet, enthält die Gesetzgebung keine klare Definition davon, welche Merkmale Folter ausmachen.
Die Nationalversammlung lehnte einen Vorschlag zur Änderung des Ehe- und Familiengesetzes ab, mit dem gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften und das gemeinsame Sorgerecht anerkannt werden sollten. Die Regierung gab außerdem bekannt, dass sie gleichgeschlechtliche Ehen nicht gesetzlich anerkennen würde.
Die Behörden erklärten, dass mehrere Gesetze über Menschenrechte in Vorbereitung seien und im Jahr 2016 der Nationalversammlung zur Abstimmung vorgelegt würden. Dazu gehören eine Novelle des Strafgesetzbuchs, das reformierte Pressegesetz, das Gesetz über die Bildung von Vereinigungen, das Gesetz über Demonstrationen und das Gesetz über Informationszugang.
Unterdrückung Andersdenkender
Menschenrechtsverteidiger und Befürworter eines sozialen und politischen Wandels intensivierten ihre friedlichen Aktivitäten trotz der widrigen Umstände und des Risikos für ihre persönliche Sicherheit. Vage formulierte Bestimmungen im Strafgesetzbuch von 1999 kamen weiterhin zur Anwendung, um friedliches Bürgerengagement und jene, die ihre Rechte auf Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit ausübten, zu kriminalisieren.
Obwohl im April und Juni 2014 sechs Dissidenten vorzeitig entlassen wurden, befanden sich noch immer mindestens 60 gewaltlose politische Gefangene in Haft. Sie waren nach unfairen Gerichtsverfahren verurteilt worden. Unter ihnen befanden sich friedliche Blogger, Arbeits- und Landrechtsaktivisten, politisch und sozial engagierte Bürger, Anhänger religiöser Gemeinschaften und Menschenrechtler.
Zudem mussten sich mindestens 18 Blogger und Aktivisten in sechs Verfahren vor Gericht verantworten und wurden wegen "Missbrauchs der demokratischen Freiheiten zur Verletzung der staatlichen Interessen" nach Paragraph 258 des Strafgesetzbuchs zu Haftstrafen zwischen 15 Monaten und drei Jahren verurteilt.
Der Blogger und ehemalige Polizist Nguyen Huu Vinh und sein Kollege Nguyen Thi Minh Thuy wurden im Mai festgenommen und nach Paragraph 258 des Strafgesetzbuchs wegen "im Internet geposteter falscher Informationen" inhaftiert. Nguyen Huu Vinh hat einen hohen Bekanntheitsgrad, da er im Jahr 2007 die populäre Internetseite Ba Sam einrichtete, die Beiträge über eine Reihe sozialer und politischer Themen enthält.
Zwischen dem 29. November und 27. Dezember 2014 wurden drei weitere bekannte Blogger festgenommen, die Artikel geschrieben bzw. ins Internet gestellt hatten, in denen Regierungsbeamte und die politische Linie kritisiert wurden. Es handelt sich bei ihnen um Nguyen Dinh Ngoc, den Hochschullehrer Hong Le Tho, der sowohl die japanische als auch die vietnamesische Staatsbürgerschaft besitzt, sowie den Schriftsteller Nguyen Quang Lap.
Männer, die mutmaßlich entweder auf Anordnung oder im Einvernehmen mit den Sicherheitskräften agierten, griffen Aktivisten gewaltsam an, obwohl sie zuvor nicht provoziert worden waren. Im Mai 2014 wurde z.B. der Menschenrechtsverteidiger und ehemalige gewaltlose politische Gefangene Nguyen Van Dai von einer Gruppe von fünf Männern angegriffen, als er sich zusammen mit Freunden in einem Café aufhielt. Er trug eine Kopfwunde davon, die genäht werden musste. Im selben Monat wurde die Bloggerin und Menschenrechtsverteidigerin Tran Thi Nga von fünf Angreifern überfallen, als sie zusammen mit ihren beiden kleinen Kindern auf einem Motorrad unterwegs war.
Sie erlitt einen Armbruch und Verletzungen am Knie und an anderen Körperteilen. Aktivisten, die im August dem Prozess gegen drei Menschenrechtsverteidiger beiwohnen wollten, wurden von Sicherheitskräften schikaniert, geschlagen und festgenommen. Im Oktober wurden drei weitere Aktivisten tätlich angegriffen. Im November wurde der unabhängige Journalist Truong Min Duc bereits zum dritten Mal innerhalb von zwei Monaten angegriffen und geschlagen. Er trug schwere Verletzungen davon.
Bewegungsfreiheit
Mehrere friedliche Aktivisten wurden im Februar 2014 daran gehindert, nach Genf in die Schweiz zu reisen, um an dem Dialog zur Lage der Menschenrechte in Vietnam im Rahmen der Allgemeinen Regelmäßigen Überprüfung der Vereinten Nationen teilzunehmen. Die Polizei bestellte sie zu Befragungen ein und konfiszierte ihre Pässe. Andere Personen, die nach Genf reisen konnten, wurden nach ihrer Rückkehr festgenommen und verhört.
Die Aktivistin für Arbeitnehmerrechte und ehemalige gewaltlose politische Gefangene Do Thi Minh Hanh, die im Juni aus der Haft entlassen worden war, wurde im August am Flughafen festgehalten und daran gehindert, nach Österreich zu reisen, um dort ihre schwerkranke Mutter zu besuchen. Im Oktober durfte sie dann ausreisen.
Bürgerrechtsaktivisten, die versuchten, an informellen zivilgesellschaftlichen Zusammenkünften und Treffen in ausländischen Botschaften teilzunehmen oder Verfahren gegen Dissidenten zu beobachten, wurden schikaniert, eingeschüchtert und daran gehindert, ihre Wohnungen zu verlassen. Es trafen Berichte einzelner Personen ein, denen zufolge diese de facto unter Hausarrest standen.
Gewaltlose politische Gefangene
Die Haftbedingungen für gewaltlose politische Gefangene waren hart. Es mangelte ihnen u.a. an angemessener medizinischer Versorgung und nährstoffreichen Lebensmitteln. Einige wurden von Mithäftlingen misshandelt, ohne dass die Gefängniswärter einschritten, und manche befanden sich ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Familienbesuche fanden im Beisein des Wachpersonals statt, das Gespräche über vermeintlich sensible Themen verbot. Manchmal kam es zur Verlegung von Gefangenen, ohne dass ihre Familien davon erfuhren.
Andere Häftlinge wiederum waren in weit entfernten Gefängnissen untergebracht, so dass Familienbesuche schwierig waren. Einige Gefangene wurden aufgefordert, die "Straftaten", derentwegen sie verurteilt worden waren, zu "gestehen", um dadurch möglicherweise ihre Entlassung zu erreichen.
Der Umweltaktivist und gewaltlose politische Gefangene Dinh Dang Dinh starb im April 2014 an Magenkrebs, nachdem er im Februar aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend auf freien Fuß gesetzt worden war. Trotz der Appelle seiner Familie und ausländischer Botschaften hatten ihm die Behörden während der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe keinen angemessenen Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht.
Todesstrafe
Die Todesstrafe konnte weiterhin für Mord, Drogendelikte, Hochverrat und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verhängt werden. Berichten zufolge wurden mindestens drei Hinrichtungen durch die Giftspritze vollzogen. Die Anzahl der im Todestrakt einsitzenden Personen wurde auf über 650 geschätzt. Die Regierung stellte keine genauen Zahlen zur Verfügung, und Statistiken über die Todesstrafe blieben weiterhin ein Staatsgeheimnis.