Amnesty Report 09. Mai 2015

Tschad 2015

 

Nach wie vor wurden gravierende Menschenrechtsverletzungen bei nahezu völliger Straffreiheit begangen. Die Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung wurden häufig verletzt. Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Gewerkschafter waren Schikanen, Einschüchterung, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen ausgesetzt. Angehörige der Sicherheitskräfte töteten mehrere Menschen u.a. bei Protestaktionen.

Hintergrund

Im Jahr 2014 gaben Probleme im Zusammenhang mit wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten Anlass zu großer Sorge. Im gesamten Land organisierten Menschen – unter ihnen auch Staatsbedienstete – Demonstrationen, um ihrer Forderung nach Gehaltserhöhungen und ihrer Kritik an den hohen Lebenshaltungskosten Ausdruck zu verleihen. Im Tschad hielten sich immer mehr Flüchtlinge aus der Zentralafrikanischen Republik (ZAR), aus dem Sudan und seit jüngerer Zeit auch aus Nigeria auf.

Durch diese Situation kam es vor allem im Süden, Osten und Nordwesten des Landes zu einer noch stärkeren Belastung der Bevölkerung, die ohnehin unter der Ressourcenknappheit zu leiden hatte, und zu Spannungen in den Gemeinden, die Flüchtlinge aufnahmen. Personen, die für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich waren – unter ihnen auch Angehörige der Polizei, der Gendarmerie und des tschadischen Geheimdienstes –, wurden nach wie vor nur in seltenen Fällen zur Rechenschaft gezogen.

Straflosigkeit

Angehörige der Streitkräfte und des tschadischen Teils der Internationalen Unterstützungsmission in der Zentralafrikanischen Republik unter afrikanischer Führung (Mission internationale de soutien à la Centrafrique sous conduite africaine –MISCA), die an der Tötung von Zivilpersonen und an anderen massiven Menschenrechtsverletzungen in der ZAR beteiligt waren, wurden nach dem Abzug des tschadischen Truppenkontingents aus der MISCA am 3. April 2014 strafrechtlich nicht belangt.

Am 29. März 2014 schossen tschadische Soldaten auf einem Markt in PK12, einem Stadtteil von Bangui, der Hauptstadt der ZAR, in die Menge und verletzten und töteten zahlreiche Menschen.

Tschadische Einheiten waren auch an anderen Vorfällen beteiligt, so im Februar 2014 an der Tötung von Zivilpersonen in den Städten Boali und Damara sowie in PK12. Am 19. Juli 2014 ernannte Staatspräsident Idriss Déby den tschadischen Rebellenführer Abdel Kader "Baba Laddé" zum Präfekten von Grande Sido an der Grenze zur ZAR.

Bei seiner Ernennung wurde nicht berücksichtigt, dass er und andere Mitglieder seiner bewaffneten Gruppe Front Populaire pour le Redressement (FPR) massiver Menschenrechtsverstöße beschuldigt wurden, wie u.a. der Rekrutierung und des Einsatzes von Kindersoldaten im Norden der ZAR.

Der FPR wurde auch vorgeworfen, im Zeitraum von Januar bis Juli 2014 im Norden der ZAR Dörfer niedergebrannt zu haben. Abdel Kader flüchtete später aus dem Tschad. Am 10. Dezember 2014 wurde er von UN-Friedenssoldaten in der Umgebung der Stadt Kabo im Norden der ZAR an der Grenze zum Tschad festgenommen. Er wurde aufgrund eines im Mai 2014 erlassenen Haftbefehls der Justizbehörden von Bangui verhaftet und saß Ende 2014 im Gefängnis von Bangui ein.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Nach Angaben der UN-Sachverständigengruppe für die ZAR nahmen tschadische Sicherheitskräfte am 17. Mai 2014 in der ZAR drei Staatsbedienstete des Landes fest und brachten sie nach N’Djamena, der Hauptstadt des Tschad. Es handelte sich um den Unterpräfekten von Markounda, einen leitenden Verwaltungsbeamten der Unterpräfektur und um einen Schulleiter. Trotz mehrerer Gesuche der Behörden der ZAR wurden sie nicht freigelassen.

Am 23. Juni 2014 wurden zwei Angehörige der UN-Sachverständigengruppe für die ZAR an einem Grenzposten in der ZAR von tschadischen Verteidigungs- und Sicherheitskräften festgenommen, während sie dort Untersuchungen durchführten. Die UN-Sachverständigengruppe berichtete, dass ihre Experten sich ausgewiesen und ihr Mandat, ihre Sonderrechte und ihre Immunität erklärt hätten, sie aber von den Sicherheitskräften gezwungen worden seien, in die Stadt Goré im Tschad zu fahren. Dort seien sie vier Stunden lang festgehalten und dann schließlich an die Grenze eskortiert und freigelassen worden.

Haftbedingungen

In den meisten Gefängnissen des Landes herrschten weiterhin sehr schlechte Haftbedingungen. Angaben zufolge waren die Bedingungen in den Hafteinrichtungen, wo Besuche nicht erlaubt waren, besonders schlimm. Diese Einrichtungen unterstanden der Polizei, der Gendarmerie und den nationalen Sicherheitsdiensten. Nachdem das Gefängnis von N’Djamena im Dezember 2011 abgerissen worden war, gab es in der Stadt kein Gefängnis mehr. Festgenommene Personen wurden auf einem ehemaligen Kasernengelände der Gendarmerie in Amsinene am Rande der Stadt in Gewahrsam gehalten.

Die miserablen Zustände in den Gefängnissen führten zu häufigen Ausbrüchen und Gefangenenrevolten. Am 4.November 2014 kam es in der Hafteinrichtung von Amsinene zu einem Aufstand, weil die Behörden einigen Gefangenen verboten hatten, sich im Innenhof der Einrichtung aufzuhalten, und sie in ihren Zellen bleiben mussten. Aus Solidarität mit den bestraften Mithäftlingen versammelten sich andere Gefangene im Innenhof des Gefängnisses. Die wachhabenden Gendarmen eröffneten das Feuer auf die Gefangenen. Nach Angaben verschiedener Quellen wurde mindestens ein Gefangener getötet, mehrere weitere wurden verletzt.

Recht auf freie Meinungsäußerung

Menschenrechtsverteidiger, Journalisten und Gewerkschafter waren regelmäßig Verletzungen ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung ausgesetzt. Sie wurden von Beamten der Sicherheitsdienste und Verwaltungsbehörden häufig eingeschüchtert, drangsaliert und willkürlich festgenommen.

Am 8. Oktober 2014 verhängte die Medienkontrollbehörde des Landes (Haut Conseil de la Communication) gegen den Lokalsender Radio FM Liberté ein einwöchiges Sendeverbot. Der Sender hatte über eine von zwölf Menschenrechts-NGOs unterzeichnete Erklärung berichtet, in der kritisiert wurde, dass es keine Brennstoffe zu kaufen gebe.

Versammlungsfreiheit

Gewerkschaften und Gruppen, die sich für politische und menschenrechtliche Belange engagierten, wurden häufig an der Wahrnehmung ihres Rechts auf friedliche Aktivitäten und Proteste gehindert. Die meisten Demonstrationen wurden von den Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst.

Am 11. November 2014 attackierten Sicherheitskräfte Teilnehmende einer Demonstration, darunter auch Lehrkräfte, die in N’Djamena sowie den Städten Moundou und Sarh gegen die hohen Lebenshaltungskosten protestierten. Nach Angaben verschiedener Quellen wurden durch Schüsse mindestens eine Person getötet und mehrere weitere verletzt.

Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgendern und Intersexuellen Die Regierung legte einen Gesetzentwurf zur Änderung des Strafrechts vor, der einvernehmliche sexuelle Handlungen zwischen gleichgeschlechtlichen Erwachsenen unter Strafe stellte und Freiheitsstrafen zwischen 15 und 20 Jahren sowie Geldstrafen von 50000 bis 500000 CFA-Franc (75 bis 750 Euro) vorsah. Der Gesetzentwurf war bis Ende 2014 noch nicht verabschiedet worden.

Internationale Rechtsprechung

Ende 2014 standen die Ermittlungen des Sondergerichtshofs gegen den tschadischen Ex-Präsidenten Hissène Habré in der senegalesischen Hauptstadt Dakar unmittelbar vor dem Abschluss. Im Juli 2013 war die Anklageschrift gegen ihn vorgelegt worden. Sollten die Untersuchungsrichter entscheiden, dass genügend Beweise für die ihm zur Last gelegten Verbrechen vorliegen, könnte der Prozess gegen ihn im Mai 2015 beginnen. Während Habrés Herrschaft von 1982 bis 1990 waren massive Menschenrechtsverletzungen – einschließlich Folter und anderer Misshandlungen, willkürlicher Festnahmen und rechtswidriger Inhaftierungen – verübt worden.

Am 14. November 2014 begann im Tschad der Prozess gegen 26 ehemalige Angehörige des Staatssicherheitsdienstes aus der Habré-Ära. Internationale und nationale Menschenrechtsorganisationen äußerten die Besorgnis, dass dieser Prozess sich negativ auf das bevorstehende Verfahren gegen Habré in Dakar (Senegal) auswirken könnte. Im Oktober hatte der Sondergerichtshof den Tschad aufgefordert, die 26 Personen nach Dakar zu überstellen.

Der Tschad hatte jedoch eine Überstellung der Männer sowie das Gesuch des Sondergerichts abgelehnt, in den Tschad zu reisen und die Männer dort zu befragen. Überlebende Opfer und Menschenrechtsorganisationen befürchteten, dass der Prozess internationalen Standards für ein faires Verfahren nicht genügen könnte.

Rechte von Flüchtlingen und Migranten

Trotz der Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft und der tschadischen Behörden, Zehntausende Menschen zu unterstützen, die im Laufe des Jahres 2014 aus der ZAR und aus Nigeria in den Tschad geflohen waren, mussten die Flüchtlinge nach wie vor unter elenden Bedingungen leben. Mehr als 150000 Flüchtlinge und ins Land zurückgekehrte Tschader benötigten ein Dach über dem Kopf, Nahrungsmittel und medizinische Versorgung. Die Mehrzahl der Flüchtlinge lebte in Lagern im Süden des Landes an der Grenze zur ZAR.

Im Laufe des Jahres 2014 suchten Tausende Menschen aus Nigeria vor der Gewalt der bewaffneten Gruppe Boko Haram Zuflucht im Tschad, hauptsächlich in der Umgebung des Tschad-Sees. Über 368000 Flüchtlinge aus Darfur lebten in Lagern im Osten des Landes. Ungefähr 97000 Flüchtlinge aus der ZAR hielten sich in Lagern im Süden des Tschad auf. Am 8. August 2014 siedelten die Behörden der Region Logone Oriental im Süden des Landes Flüchtlinge gegen ihren Willen und ohne vorherige Ankündigung aus dem Übergangslager Doba in ein anderes Lager in der Ortschaft Kobitey um.

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