Amnesty Report Guinea 07. April 2021

Guinea 2020

Menschen tragen am 4.11.2019 Särge durch Conakry. Darin sind die bei den Protesten gegen die Verfassungsänderunge Getöteten

Menschen tragen am 4. November 2019 Särge durch Conakry. Darin befinden sich die bei den Protesten gegen die Verfassungsänderung getöteten Demonstrierenden.

In Zusammenhang mit einer umstrittenen Verfassungsänderung und einer ebenfalls umstrittenen Präsidentschaftswahl wurden Menschenrechtsverletzungen verübt. Die Armee und die Sicherheitskräfte töteten 2020 zahlreiche Menschen bei Protesten, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Mitglieder von Oppositionsparteien und prodemokratische Aktivist_innen wurden willkürlich festgenommen und inhaftiert. Die Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit waren eingeschränkt. Die chronische Überbelegung der Gefängnisse und die schlechten Haftbedingungen gefährdeten das Recht der Gefangenen auf Gesundheit.

Hintergrund

Als Reaktion auf die Corona-Pandemie verhängte Guinea im März 2020 den Ausnahmezustand, der u. a. mit Einschränkungen der Bewegungs- und der Versammlungsfreiheit einherging.

Der Front National pour la Défense de la Constitution (FNDC), ein Zusammenschluss politischer Parteien und zivilgesellschaftlicher Organisationen, organisierte im März Massenproteste gegen eine geplante Verfassungsänderung, die es dem Präsidenten ermöglichen sollte, für eine dritte Amtszeit zu kandidieren. Außerdem rief der FNDC dazu auf, die Parlamentswahl und das Verfassungsreferendum am 22. März zu boykottieren. Im April gab das Verfassungsgericht bekannt, dass die Verfassungsreform mit fast 90 Prozent der Stimmen angenommen worden sei.

Die Unabhängige Nationale Wahlkommission verkündete am 24. Oktober, dass Amtsinhaber Alpha Condé die Präsidentschaftswahl gewonnen habe. Zuvor hatte sich bereits Cellou Dalein Diallo, einer seiner Mitbewerber, zum Wahlsieger erklärt. 

Rechtswidrige Tötungen

Die Armee und die Sicherheitskräfte gingen 2020 mit exzessiver Gewalt gegen Demonstrierende vor. Dutzende Menschen wurden erschossen, zahlreiche weitere erlitten Schusswunden oder wurden durch Tränengaskartuschen verletzt.

Am 21. und 22. März kamen bei Protesten, die der FNDC organisiert hatte, mindestens zwölf Menschen ums Leben. 

Am 12. Mai wurden in Manéah, Coyah und Dubréka (Region Kindia) sowie in Kamsar (Region Boké) bei Demonstrationen, die teilweise in Gewalt umschlugen, sieben Menschen getötet. Die Proteste richteten sich gegen das Vorgehen der Sicherheitskräfte bei der Durchsetzung der pandemiebedingten Bewegungseinschränkungen.

In den Tagen nach der Präsidentschaftswahl im Oktober töteten die Sicherheitskräfte bei Protesten gegen das Wahlergebnis mindestens 16 Menschen. Die Armee und die Sicherheitskräfte gingen außerdem mit Gewalt gegen Bewohner_innen von Stadtteilen der Hauptstadt Conakry vor, denen sie unterstellten, die Opposition zu unterstützen. Dabei töteten sie am 1. Dezember im Stadtteil Wanindara grundlos mindestens einen Mann.

Offiziellen Angaben zufolge wurden am 21. Oktober und am 30. November zwei Polizisten in Conakry getötet. Bei einem Anschlag auf einen Zug des Bergbauunternehmens Rusal wurden am 23. Oktober in Conakry drei Gendarmen und ein Soldat getötet. 

 

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen

Von Januar bis September 2020 nahmen die Sicherheitskräfte zahlreiche Vertreter_innen zivilgesellschaftlicher Organisationen und politische Aktivist_innen willkürlich fest, die sich gegen das Referendum ausgesprochen, zu Demonstrationen aufgerufen oder Menschenrechtsverletzungen in Guinea angeprangert hatten.

Am 6. März inhaftierte die Polizei in Conakry Ibrahima Diallo, einen führenden FNDC-Vertreter und Koordinator der prodemokratischen Plattform Tournons la Page/Guinea (TLP/Guinea) sowie Sékou Koundouno, den Koordinator der prodemokratischen Plattform Le Balai Citoyen. Die beiden Männer hatten wenige Stunden zuvor an einer Pressekonferenz teilgenommen, in der sie insbesondere die willkürlichen Festnahmen durch Sicherheitskräfte angeprangert hatten. Sie wurden u. a. wegen "Beamtenbeleidigung, Körperverletzung und Bedrohung der öffentlichen Ordnung sowie der Sicherheit, Integrität und Würde von Personen durch den Einsatz elektronischer Kommunikation" angeklagt. Am 15. Juli wies das Berufungsgericht in Conakry die Klage gegen die beiden wegen rechtlicher Fehler und Verfahrensmängeln ab. 

Am 17. April nahmen Mitglieder der Sondereinheit Brigade de Recherche et d’Intervention Oumar Sylla fest. Als führender Vertreter der FNDC und Mitglied von TLP/Guinea hatte er zuvor telefonisch an einer Sendung des Radiosenders Espace FM teilgenommen, in der FNDC-Mitglieder zu Demonstrationen gegen die geplante Verfassungsänderung aufriefen. Oumar Sylla hatte in der Sendung auch darauf hingewiesen, dass in der Stadt Nzérékoré FNDC-Mitglieder schikaniert, willkürlich inhaftiert, gefoltert und getötet worden waren. Er wurde wegen "Verbreitung von Falschinformationen" sowie "Gewalt und Äußerung von Morddrohungen" unter Anklage gestellt. Nachdem ein Richter alle Anklagen gegen ihn fallen gelassen hatte, kam er am 27. August frei. Am 29. September wurde er jedoch erneut willkürlich inhaftiert, nachdem ihn Polizisten in Zivil bei einer verbotenen Demonstration in Matoto, einem Stadtbezirk von Conakry, festgenommen hatten. Die Behörden erhoben Anklage wegen "Beteiligung an einem Mob, der eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen könnte", und hielten ihn im Zentralgefängnis von Conakry fest.

Am 7. Mai 2020 wurde Saïkou Yaya Diallo festgenommen, der für rechtliche Angelegenheiten der FNDC zuständig war. Er hatte bei einer Pressekonferenz gemeinsam mit anderen Personen eine mutmaßliche Geheimdienstangehörige in einem Büro festgehalten, offenbar um sie vor anderen Anwesenden zu schützen. Er wurde wegen "tätlichen Angriffs, Gewaltanwendung, Drohungen und öffentlichen Beleidigungen" angeklagt und war im Zentralgefängnis von Conakry inhaftiert, obwohl zwei Gerichtsbeschlüsse vorlagen, in denen seine Freilassung unter gerichtlicher Aufsicht angeordnet worden war. Am 16. November wurde er für schuldig befunden und am 11. Dezember nach Verbüßung seiner Haftstrafe freigelassen.

Die Staatsanwaltschaft der Unterpräfektur Dixinn teilte am 10. November 2020 mit, in Zusammenhang mit den Demonstrationen und der Gewalt nach den Wahlen würden 78 Menschen vor Gericht gestellt, unter ihnen auch Oppositionelle, die u. a. wegen "Besitz und Herstellung von Kleinwaffen, krimineller Verschwörung und Aufruf zu Gewalt" angeklagt seien. 

Folter und andere Misshandlungen

Der 62-jährige Ibrahima Sow wurde am 24. Oktober 2020 nach dem Anschlag auf den Zug des Unternehmens Rusal festgenommen (siehe oben). Die Behörden gaben an, er sei in Gewahrsam positiv auf das Coronavirus getestet worden. Zwar sei er von der Krankheit genesen, doch weil er über "Diabetesbeschwerden" geklagt habe, sei er in ein Krankenhaus gebracht worden und dort gestorben. Fotografien von Verletzungen, die er in der Haft erlitten hatte, deuteten stark darauf hin, dass ihm mit einer glühenden Eisenstange oder einem ähnlichen Gegenstand Verbrennungen zugefügt worden waren. 

Rechte auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit

Nationale und kommunale Behörden untergruben das Recht auf Versammlungsfreiheit, indem sie im Jahr 2020 mindestens sieben Demonstrationen gegen das Verfassungsreferendum und gegen die Kandidatur des Präsidenten für eine dritte Amtszeit verboten, ohne stichhaltige Gründe zu nennen. Für Januar geplante Demonstrationen in Kissidougou (Region Faranah) und Nzérékoré wurden verboten, "um den Frieden zu bewahren". Im März durften in Matoto und Matam, zwei Stadtbezirken von Conakry, wegen des Besuchs einer Delegation der Wirtschaftsgemeinschaft der westafrikanischen Staaten (ECOWAS) und wegen der Vorbereitungen für den Internationalen Frauentag keine Demonstrationen stattfinden. Auch während des Wahlkampfs im September und Oktober wurden Demonstrationen in Matoto untersagt.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wurde ebenfalls eingeschränkt. Nach Angaben der NGO Access Now waren die sozialen Medien vom 21. bis 23. März insgesamt 36 Stunden lang blockiert. Die Behörde für Kommunikation sperrte die Nachrichtenseite Guineematin.com für einen Monat, nachdem Mitarbeiter_innen während der Stimmauszählungen live aus Wahllokalen berichtet hatten.

Straflosigkeit

Obwohl die Behörden zugesichert hatten, alle Fälle getöteter Demonstrierender zu untersuchen, lagen Ende 2020 keine offiziellen Informationen über den Stand der Untersuchungen vor.

Im Fall des Massakers im Stadion von Conakry im Jahr 2009 war eine gerichtliche Untersuchung 2017 abgeschlossen worden, woraufhin der Justizminister 2019 versichert hatte, der Prozess gegen die mutmaßlichen Täter werde im Juni 2020 beginnen. Dieses Versprechen wurde jedoch nicht eingehalten. Bei dem Massaker hatten Armee und Sicherheitskräfte in dem Stadion 157 friedlich demonstrierende Menschen getötet und mindestens 100 Frauen vergewaltigt. 

Recht auf Gesundheit – Haftbedingungen

Während der Corona-Pandemie war die Gesundheit der Gefangenen aufgrund chronischer Überbelegung, unzureichender sanitärer Einrichtungen und mangelnder medizinischer Versorgung in den Gefängnissen besonders gefährdet.

Nach offiziellen Angaben ergab die Testung von 713 Gefangenen im Zentralgefängnis von Conakry im Mai 2020, dass sich 68 von ihnen mit dem Coronavirus infiziert hatten. Das Justizministerium teilte mit, sie würden in Krankenstationen im Gefängnis behandelt. Im Gefängnis von Kindia waren unter 352 Häftlingen und 25 Wärtern 30 positiv Getestete. Nach Angaben des Justizministeriums wurden die 28 infizierten Gefangenen zur Behandlung in das Zentralgefängnis von Conakry überstellt. Das Zentralgefängnis wies die höchste Überbelegung aller Hafteinrichtungen in Guinea auf: In dem für 300 Personen ausgelegten Gefängnis befanden sich 1.500 Inhaftierte.

Weitere Artikel