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„Im Reisen liegt auch Potenzial“
Antje Monshausen leitet die Fachstelle Tourism Watch, die sich für einen sozial gerechten Tourismus einsetzt.
© Brot für die Welt
Bald beginnt die Winterreisesaison und damit das Reisen in Länder mit problematischer Menschenrechtslage. Antje Monshausen von Tourism Watch erklärt, worauf Tourist*innen achten können und welche Verantwortung Reiseveranstalter haben.
Interview: Uta von Schrenk
Repressionen gegen Demonstrierende in Thailand, Inhaftierungen von Andersdenkenden in Ägypten, Frauenmorde in Mexiko – ist es okay, in Länder zu reisen, in denen die Menschenrechte missachtet werden?
Wir müssen uns bewusst machen, dass Herrscher autokratischer Länder von Reisegästen profitieren – sei es direkt, weil sie selbst im Besitz touristischer Einrichtungen sind, sei es durch Visagebühren, Steuern oder dadurch, dass der Tourismus ein positives Image in die Welt sendet. Tourismus ist ein wirtschaftlicher und politischer Stabilisator. Auf der anderen Seite bietet der Tourismus aber auch die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit auf ein Land zu lenken, sich ein Bild von der Lage vor Ort zu machen oder in Kontakt mit Menschen zu kommen, die selbst unter der Situation vor Ort leiden. Im Reisen liegt also auch das Potenzial, etwas zum Besseren zu wenden.
Welche Verantwortung haben die Reisenden selbst?
Es kommt darauf an, wie bewusst und sensibel man unterwegs ist, ob man sich zum Komplizen eines Regimes macht oder die Reise vielleicht sogar positive Impulse setzt. Wenn ich zum Beispiel in einem Land wie Sri Lanka nur Hotels in singhalesischen Landesteilen buche, benachteilige ich ungewollt Tamil*innen, deren Repräsentanz auch im politischen Raum gering ist. Grundsätzlich finde ich: Für wen Sonne, Sand und Meer die wichtigsten Urlaubskriterien sind, der findet auch Länder, in denen die Menschenrechte geachtet werden. Wer in Länder mit problematischer Menschenrechtslage reist, sollte sich hingegen gut vorbereiten.
Kann ich als Reisende*r sicherstellen, dass die Menschen, die mir einen schönen Aufenthalt bereiten, nicht Opfer von Sklaverei oder Ausbeutung sind?
Problematische Arbeitsbedingungen sind im Tourismus allgegenwärtig. Das reicht von massenhaft unbezahlten Überstunden über schwere körperliche Arbeit und vorenthaltene Pausen bis hin zu schlechter Unterbringung des Personals in überfüllten Zimmern und ohne Privatsphäre. Hinzu kommt, dass im Tourismus viele Migrant*innen arbeiten. Menschenhandel und damit auch moderne Sklaverei sind ein reales Risiko. Als Reisende*r sollte man aufmerksam sein. Allerdings ist es nicht leicht, zu erkennen, was hinter den Kulissen eines Hotels oder Resorts geschieht. Wer aber zwei Wochen lang am Buffet, im Zimmerservice oder in der Küche dieselbe Person oder sogar Minderjährige arbeiten sieht, sollte seinen Reiseveranstalter informieren.
Menschenrechtsverletzungen können auch unmittelbar mit dem Zweck der Reise zusammenhängen – etwa bei der sexuellen Ausbeutung von Kindern, die nicht nur in Südostasien, sondern weltweit ein großes Problem darstellt. Wie lässt sich dies unterbinden?
Sexueller Missbrauch ist überall auf der Welt eine Straftat. Die internationalen Strafsysteme sind vorhanden, denn ein reisender Sexualstraftäter aus Deutschland kann sowohl im Reiseland als auch zu Hause für sein Vergehen belangt werden. Gleichzeitig sehen wir aber nach wie vor das Problem, dass selbst vorverurteilte Pädokriminelle nicht am Reisen gehindert werden. Länder können sich zwar gegenseitig im Rahmen des Green-Notice-Systems von Interpol warnen, aber es wird zu selten angewendet. Wenn man als Reisende*r beobachtet, dass Mitreisende Kinder am Strand ansprechen oder Jugendliche mit ins Hotel nehmen, sollte man aktiv werden. Die europäische Kampagne "Don't look away", in Deutschland "Nicht wegsehen", hilft hier weiter. Dahinter stehen in Deutschland die NGO ECPAT und das Bundeskriminalamt, das die Meldungen sorgfältig analysiert und weitere Schritte einleitet.
In Tansania sollen 70.000 Massai von ihrem Weideland vertrieben werden, um einem Reservat für Safaritourismus und Trophäenjagd Platz zu machen. Bei deutschen Reiseanbietern ist derzeit Saudi-Arabien angesagt – trotz der Missachtung von Frauenrechten oder fehlender Meinungsfreiheit. Lassen sich die Tourismusunternehmen in die Pflicht nehmen?
Grundsätzlich haben deutsche Reiseveranstalter eine Verantwortung im Sinne der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Das deutsche Lieferketten-Sorgfaltspflichtengesetz fordert ab 2023 von Unternehmen, Menschenrechtsstrategien zu entwickeln, ihre Lieferkette zu überprüfen und bei Missständen für Abhilfe zu sorgen. Es gilt aber nur für große Unternehmen. Von 3.000 deutschen Reiseveranstaltern ist weniger als eine Hand voll überhaupt erfasst – wir bewegen uns hier im Promillebereich!
Wie ließe sich ein fairer und sozialer Tourismus umsetzen?
Tourismus ist ein Querschnittsthema, da müssen alle ran. Die Regierungen in den Zielländern müssen mitziehen – zum Beispiel im Bereich der Landrechte. Die Herkunftsländer der Reisenden wiederum sollten auch mittelständige Tourismusunternehmen in die Pflicht nehmen, Menschenrechte zu achten. Einige Mittelständler im Tourismus setzen sich übrigens genau dafür ein, denn sie haben erkannt, dass Unternehmen, die die Menschenrechte achten, zufriedenere Mitarbeitende und Gastgeber*innen haben, wovon auch die Kund*innen profitieren. Am Ende spielt auch das Reiseverhalten der Tourist*innen eine große Rolle. Sie müssen sich bewusst machen, dass ihre Reisen immer Auswirkungen auf die Menschenrechte haben – gute oder schlechte.
Antje Monshausen leitet die Fachstelle Tourism Watch bei Brot für die Welt, die sich für einen sozial gerechten Tourismus in Ländern des Globalen Südens einsetzt. www.tourism-watch.de.
Uta von Schrenk ist Redakteurin beim Amnesty Journal.