Amnesty Journal Philippinen 26. März 2019

Opposition aus der Zelle

Ein Mann steht an einem Schreibtisch und blättert in einem Heft.

Der Büroleiter Ferdie Maglalang am verwaisten Schreibtisch der Senatorin Leila de Lima in der philippinischen Stadt Manila.

Wer auf den Philippinen die Politik von Präsident Rodrigo Duterte kritisiert, dem drohen hohe Haftstrafen. Prominentestes Opfer ist die Senatorin Leila de Lima, die seit zwei Jahren aus dem Gefängnis heraus Gesetzentwürfe schreibt. 

Von Felix Lill, Manila

Der Korridor hinter der Eingangstür wirkt wie ein Museum: An der Wand hängen Bilder von Leila de Lima, beschriftet mit ­Zitaten wie "Ich bin unschuldig" oder "Steht auf für unsere ­demokratischen Ideale!". Auch über ihrem verwaisten Schreibtisch prangt ein Porträt, mehrere Menschenrechtspreise lassen ihn wie einen Altar erscheinen.

Und der Holzstuhl dahinter ist drapiert mit dem himmelblauen Schal, der zum Markenzeichen der philippinischen Oppositionellen geworden ist. "Wir gestalten die Räume hier so, dass möglichst viel an unsere Senatorin erinnert", sagt Ferdie Maglalang, der Büroleiter.

Wüsste man es nicht besser, könnte man vermuten, hier ­werde einer Verstorbenen gedacht. Doch auch wenn im Büro mit der Nummer 636 im sechsten Stock des Senatsgebäudes in Manilas Regierungsviertel Pasay City die Mitarbeiter traurig dreinschauen, sobald es um ihre Chefin geht, gibt es hier keinen Trauerfall. Leila de Lima, ihre Vorgesetzte, sitzt lediglich im ­Gefängnis. Büoleiter Maglalang fasst die Lage so zusammen: "Die Senatorin wird beschuldigt, eine Drogendealerin zu sein. So etwas Absurdes ist heutzutage wohl nur hier möglich."

Ein erbarmungsloser Krieg

Hier, das sind die Philippinen, wo seit 2016 Rodrigo Duterte regiert, der einen erbarmungslosen Krieg gegen Drogen führt und offensiv für die Erschießung Drogenabhängiger wirbt. Diejenigen, die Duterte vorwarfen, dass er mit seiner Rhetorik das Problem sozialer Ungleichheit unter den Teppich kehre, und die Tötungen scharf kritisierten, provozierten schnell den Zorn des Präsidenten. 

Populär wurde Duterte als Bürgermeister der südphilippinischen Stadt Davao. In 22 Jahren gelang es ihm, aus einem sozialen Brennpunkt einen vermeintlich sicheren Ort zu machen. Sein rücksichtsloses Vorgehen gegen mutmaßliche Kriminelle weitete er nach seinem Wahlsieg auf nationaler Ebene aus.

Je nach Quelle wird die Zahl der Getöteten mit 4.400 bis 23.000 angegeben. Meist werden die Opfer im Dunkeln erschossen, oft in geschlossenen Räumen, in denen es keine Zeugen gibt. Vor öffentlicher Empörung scheint der Präsident dabei ­wenig Angst zu haben, vor strafrechtlicher Verfolgung hingegen schon: Nachdem der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag 2018 Ermittlungen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ankündigte, zog Duterte flugs die Ratifizierung des Römischen Statuts zurück, das die Rechtsgrundlage des Gerichts bildet. 

Autoritäre Tendenzen

Dutertes autoritäre Tendenzen zeigen sich auch in seinem Umgang mit unbequemen Stimmen. Schließlich ist die prominente Senatorin de Lima nicht das einzige, sondern nur das hochrangigste Opfer seiner Ausgrenzungspolitik.

Über Jahrzehnte engagierte sie sich für Menschenrechte, von 2010 bis 2015 setzte sie sich als Justizministerin auch gegen Drogenhandel in Gefängnissen ein, um die Situation der Häftlinge zu verbessern. Nachdem sie 2016 in den Senat gewählt worden war, eine der zwei Kammern des philippinischen Parlaments, versuchte sie, rechtliche Schritte gegen Dutertes radikale Maßnahmen einzuleiten. Dieser erklärte sie daraufhin zu seinem persönlichen Feind.

Im Februar 2017 wurde die 59-Jährige unter dem Vorwurf des Drogenhandels verhaftet. "Das ist eine Unverschämtheit", sagt ihr Büroleiter Maglalang. "Sie ist öffentlich gedemütigt. Vor Duterte gab es Tabus im Umgang mit politischen Gegnern. Solche Lügen hat man früher nicht einfach so verbreitet." Hinzu komme, dass Häftlinge als Zeugen gegen de Lima auftraten, die mit der ehemaligen Justizministerin noch eine Rechnung offen haben könnten.

"Dass die Gerichte das zulassen, ist unglaublich"

"Dass die Gerichte das zulassen, ist unglaublich", so Maglalang. Wie so vieles andere: Jeden Tag muss einer ihrer Mitarbeiter ins Gefängnis fahren, um de Lima den parlamentarischen Protokollordner in die Zelle zu bringen. Nur so kann sie weiter Gesetzentwürfe erarbeiten, zum Beispiel zur Sicherung einer unabhängigen Justiz oder für den Klimaschutz. 

Und auch nur auf diesem Wege lassen sich Medienanfragen beantworten, wie die, die Maglalang zurück ins Büro gebracht hat. Handgeschriebene Antworten sind es, zwölf Seiten lang. Darin schreibt de Lima, dass sie täglich bete und sich an spora­dischen Gästen erfreue – sowie an den streunenden Katzen in ihrer Zelle. Im Zusammenhang mit der Regierung fallen Wörter wie "Massenmanipulation", "Lügen" und "Schlachter".

Warum sie glaube, dass Duterte weiterhin so beliebt ist? "Die Menschen wollten einen Wandel. Und er hat eine Seite der philippinischen Psyche berührt, die erst vor Kurzem überhaupt sichtbar wurde: Soziale Medien haben anonyme Hasspredigten ermöglicht. Die aktuelle Regierung hat sie mit ihrer Rhetorik ­salonfähig gemacht."

Was aus der Meinungsfreiheit im Land wird? "Im Grunde gibt es hier keinen Diskurs mehr. Im Internet haben Trolle die Oberhand gewonnen. Kritiker werden verunglimpft oder verfolgt. Moral, Werte und Prinzipien sind keine Standards mehr. Unterstützer von Duterte werden verteidigt – unabhängig davon, wie sehr sie Frauen, Gläubige oder die philippinische ­Bevölkerung generell beleidigen."

Worauf die Hinterbliebenen der Erschossenen noch hoffen können? "Früher oder später wird die Gerechtigkeit siegen. Wir müssen ihnen beweisen, dass unsere Leben, die der Verstorbenen und die der Überlebenden, etwas wert sind. Wir sind keine Tiere. Wir sind Menschen. Wir müssen ihnen zeigen, dass wir bessere Filipinos sind als diese Schlachter jemals sein werden."

Kämpferische Worte

Die Worte von de Lima lesen sich kämpferisch. Doch draußen geht das Morden weiter. Während die Todesschwadrone, die dem Präsidenten zugeordnet werden, vor allem auf die Drogenkonsumenten losgehen, bleiben Dealer und Produzenten meist verschont. Neben dem Fehlen einer durchdachten Gesundheitspolitik zeigt dieses Vorgehen, dass es Duterte nicht wirklich um die Bekämpfung der Drogenabhängigkeit geht. 

"Duterte geht es um eine Atmosphäre der Angst, damit er mehr Macht an sich reißen kann", sagt de Limas Büroleiter ­Maglalang neben dem altarartigen Schreibtisch. Und dass in den vergangenen drei Jahren auch schon politische Gegner ­ermordet worden seien. Um de Lima kann man sich Sorgen ­machen.

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