Amnesty Journal Pakistan 01. Februar 2019

Justitia und die Brandstifter

Zeichnung einer aufgeschlagenen Zeitschrift

Für die Todesfälle in einer Fabrik ­in Pakistan 2012 wurde der Textildiscounter KiK nicht verurteilt. Die Katastrophe könnte jedoch dazu beitragen, dass der Rechtsrahmen für Unternehmen restriktiver wird.

Von Hannes Koch

Der Brand in der KiK-Zulieferfabrik Ali Enterprises in Karachi im September 2012 war eine der aufsehenerregendsten Katastrophen der globalen Textilindustrie. 258 Beschäftigte starben, viele weitere wurden verletzt. Weil das Landgericht Dortmund am 11. Januar die Schmerzensgeldklagen von vier Geschädigten und Hinterbliebenen gegen KiK wegen Verjährung abwies, mag das Verfahren juristisch nun abgeschlossen sein. Das Urteil kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bekleidungsbranche seit 2012 verändert hat – auch zum Besseren. Der Brand und nicht zuletzt die juristische Auseinandersetzung hatten eine erhebliche Wirkung.

Nach der mündlichen Verhandlung Ende 2018 war die Entscheidung der Zivilkammer des Gerichts für die Beteiligten keine Überraschung. Die Ansprüche der Kläger seien bereits zwei Jahre nach dem Brand verjährt, begründeten die Richter das ­Urteil. Wenn die Vertreter der Klage, das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), Medico International und der Berliner Anwalt Remo Klinger, keine Berufung einlegen, ist das Verfahren damit beendet.

Mangels Beweiserhebung blieb jedoch die zentrale Frage unbeantwortet. Trägt das Management der Bekleidungsfirma KiK, eine Tochter des Tengelmann-Konzerns, eine Mitverantwortung für den Fabrikbrand und seine Folgen? Kritiker werfen KiK vor, seinen Zulieferer nicht ausreichend kontrolliert zu haben. Dort hätten beispielsweise Fluchtwege gefehlt, und die Firma habe Bauvorschriften missachtet. Diese Vorwürfe wurden mit einem eindrucksvollen, computeranimierten Video untermauert, das die Ereignisse in der Fabrik während des Brandes nachzeichnete. KiK wies die Anschuldigungen zurück. Die Vertreter des Unternehmens betonten, die Zulieferfabrik habe über externe Prüfzertifikate verfügt, die keine Mängel beim Brandschutz ­verzeichneten. Außerdem, so KiK, sei der Brand gelegt worden, um einer Erpressung gegen die pakistanischen Firmenbesitzer Nachdruck zu verleihen.

In jedem Fall löste die hohe Zahl der Toten bei Ali Enterprises ein Nachdenken in der Branche, in Politik und Öffentlichkeit, vor allem aber bei vielen Verbrauchern aus. Verstärkt wurde diese Wirkung durch den Zusammenbruch des Fabrikkomplexes Rana Plaza in Bangladesch 2013. Dabei starben mehr als 1.100 Beschäftigte. Der seit 2016 amtierende KiK-Chef Patrick Zahn sagte, man habe sich auch danach oft rechtfertigen müssen. Neue Mitarbeiter für die Firma in Deutschland zu finden, sei schwierig gewesen.

Nicht nur bei KiK war den Managern klar, dass sie handeln mussten. Zahns Firma zahlte rund fünf Millionen Euro Entschädigungen an die Familien der Toten und die Verletzten von Ali Enterprises – unter Vermittlung der Internationalen Arbeits­organisation (ILO). Nach dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza ­beteiligten sich viele internationale Textilhändler daran, in Bangladesch die Organisation "Accord" zu gründen, die Kontrolleure in die Produktionsstätten schickt. Auf eigene Faust habe man ein ähnliches System in Pakistan etabliert, heißt es bei KiK. Die Firma sagt, dass die Fabriken heute viel sicherer seien als früher – mehr Feuerlöscher, bessere Fluchtwege, ­stabilere Bauweise.

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) trommelte 2014 ­zudem das Bündnis für nachhaltige Textilien zusammen. Die Organisation soll die ökologischen und sozialen Bedingungen in den globalen Produktionsketten verbessern. Mittlerweile ­arbeitet etwa die Hälfte der bundesdeutschen Bekleidungs­branche darin mit. So will man zum Beispiel umwelt- und ­gesundheitsgefährdende Chemikalien aus der Herstellung verbannen. Der Anteil nachhaltig angebauter Baumwolle soll steigen.

Das schwierigste Thema sind jedoch die Löhne und Arbeitszeiten der Beschäftigten in den Zulieferfabriken. Hier passiert bisher wenig bis nichts. Beispiel Bangladesch: Der staatlich ­festgesetzte Mindestlohn beträgt dort etwa 85 Euro pro Monat. Für ein akzeptables Leben, sagen Gewerkschafter, bräuchten die Arbeiterfamilien die drei- bis vierfache Summe.

Wie fast alle anderen Textilhändler weigert sich auch KiK, die Besitzer der Zulieferfabriken zu verpflichten, den Beschäftigten deutlich höhere Löhne zu zahlen. Dann bleibe man allein auf den Kosten sitzen, lautet ein Gegenargument. Die Konkurrenz, die in denselben Firmen fertigen lasse, ziehe nicht mit. Stattdessen setzt sich KiK für höhere Mindestlöhne ein und will an Tarifverhandlungen in den Produktionsländern mitwirken. Das mag in Kambodscha, Bangladesch oder Pakistan irgendwann funktionieren, kann aber Jahrzehnte dauern. Bis dahin müssten die Näherinnen weiter mit ihren Armutslöhnen zurechtkommen.

In diesen Fragen steht die Textilindustrie allerdings weiter unter öffentlichem und politischem Druck. Der offene Ausgang des Verfahrens in Dortmund dürfte dazu beitragen. Schließlich wurde rechtlich nicht geklärt, welche konkrete Verantwortung hiesige Auftraggeber für ihre Lieferanten in Entwicklungs- und Schwellenländern übernehmen müssen. Dies schafft Raum für politische Auseinandersetzungen.

Zivilgesellschaftliche Organisationen wie die Kampagne für Saubere Kleidung, das Cora-Netzwerk für Unternehmensverantwortung und die kirchlichen Hilfswerke Misereor und Brot für die Welt fordern deshalb ein Gesetz, das die rechtlich unverbindlichen Regeln, die unter anderem im Textilbündnis entstehen, verpflichtend machen soll.

Auch KiK-Chef Zahn fordert nun ein "Gesetz für unternehmerische Sorgfalt, am besten auf europäischer Ebene". Am Beispiel des Dortmunder Prozesses hat der Textilmanager erkannt, dass seine Firma allein für Probleme belangt werden könnte, die die gesamte Branche verursacht hat. Demzufolge möchte er eine Regelung, die auch seine Wettbewerber bindet. Die bundesdeutsche Bekleidungsindustrie steht dem jedoch weitgehend ablehnend gegenüber.

Viel kommt deshalb auf den politischen Willen der Regierungskoalition und des Entwicklungsministers an. Bisher ist Gerd Müller ein Anhänger des Prinzips der politisch geregelten Freiwilligkeit. Wenn die Unternehmen sich unter seiner Initiative bewegen, ist ihm das recht. Für den Fall, dass das nicht funktioniert, droht er freilich ebenfalls mit einem Gesetz. Wer will, kann in seinen Äußerungen der vergangenen Monate eine Verschärfung entdecken. Möglicherweise führen die Katstrophen bei Ali Enterprises und Rana Plaza doch noch irgendwann dazu, dass der Rechtsrahmen für international tätige Unternehmen – nicht nur der Textilbranche – restriktiver wird. 

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