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Ciudad Juárez: "Es war nicht das Feuer, es war der Staat"

Die Menschenrechtsaktivistin Diana Rodríguez
© Carolina Rosas Heimpel
In Ciudad Juárez, einer mexikanischen Stadt an der Grenze zu den USA, starben vor zwei Jahren 40 Migrant*innen bei einem Brand in einer Hafteinrichtung der Migrationspolizei. Die Menschenrechtsaktivistin Diana Rodríguez über die Folgen für Überlebende und Angehörige sowie die mangelnde Strafverfolgung.
Interview: Kathrin Zeiske
Was geschah am 27. März 2023 in der Hafteinrichtung für Migrant*innen in Ciudad Juárez?
Als in der Einrichtung ein Brand ausbrach, wurden die Zellen nicht geöffnet. Man ließ die Inhaftierten hinter verriegelten Türen zurück. 40 Migranten aus Süd- und Mittelamerika erstickten, 27 erlitten Verletzungen, mit teilweise lebenslangen Folgen. Sie trugen schwere Lungenerkrankungen oder schwere Verbrennungen davon. 15 Migrantinnen, die im letzten Moment befreit wurden, kämpfen bis heute mit Symptomen von posttraumatischem Stress.
Wer trägt die Verantwortung?
Wir sagen: Es war nicht das Feuer, es war der Staat. Die Menschen starben wegen unterlassener Hilfeleistung. Es gab keine Fluchtwege, die Feuerwehr wurde nicht gerufen, Brandmelder und Brandlöscher fehlten. Eine journalistische Aufarbeitung des Falls ergab, dass das Personal die inhaftierten Menschen rassistisch beschimpfte, Video- und Audiomaterial der Überwachungskameras belegen das. Zu hören ist auch die Anweisung einer Beamtin, die zu ihren Kolleg*innen sagt: "Nein, wir werden sie nicht rauslassen."
Sie arbeiten für die Organisation Integrale Menschenrechte in Aktion. Was haben Sie für die Überlebenden und die Familien der Opfer tun können?
Wir haben schon am Tag des Brandes beobachtet, wie Migrant*innen auf der Straße festgenommen wurden. Doch hätten wir nie gedacht, dass sie am selben Abend tot sein könnten. Am Morgen nach dem Brand haben wir zunächst die Frauen betreut, die überlebten. Sie sind jedoch bis heute vor Gericht weder als Überlebende noch als Zeuginnen anerkannt worden. In Zusammenarbeit mit den Konsulaten der Herkunftsländer haben wir auch Familienangehörige begleitet, die nach Ciudad Juárez kamen, um die Toten abzuholen oder den Überlebenden beizustehen.

Fordern Gerechtigkeit: Protestierende vor der ausgebrannten Hafteinrichtung am Jahrestag des Brandes (Ciudad Juárez, 27. März 2024)
© Leobardo Alvarado
Wo sind die Überlebenden heute?
Die meisten Überlebenden haben in den USA Asyl beantragt. Aber unter Präsident Trump ist der Ausgang dieser Verfahren jetzt ungewiss.
Sind die Tatverdächtigen in Freiheit?
Ein Verdächtiger ist flüchtig. Der Direktor der Nationalen Migrationspolizei (INM) des Bundesstaats Chihuahua sowie Beamt*innen der Migrationspolizei und Angehörige einer privaten Sicherheitsfirma, die an dem Abend Dienst hatten, sitzen im Gefängnis. Der Direktor der INM auf nationaler Ebene, Francisco Garduño, ist noch im Amt. Das Verfahren gegen ihn wurde im Januar eingestellt. Er ist nun an den Verhandlungen mit den USA zur Migrationspolitik beteiligt. Wir fordern, die Verantwortlichen strafrechtlich zu verfolgen und den Betroffenen eine angemessene Entschädigung zu bezahlen.
Was bedeutet dieser Fall für die Migrationspolitik Mexikos?
Er stellt einen tiefen Einschnitt dar. In Mexiko ist der freie Transit durch das Land von der Verfassung geschützt. Doch nach dem Brand nahmen die Inhaftierungen und Abschiebungen zu. Währenddessen ließ Garduño in Abschiebegefängnissen in Mexiko-Stadt Wandgemälde anfertigen, die zeigen sollen, wie menschlich seine Politik angeblich sei.
Wird es für die Überlebenden und die Opferfamilien Gerechtigkeit geben?
Es ist ein sehr langwieriger Prozess. Die Tat wird in Mexiko nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft. Wir streben deshalb an, den Fall vor den Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, um Gerechtigkeit für die Familien der Toten und die Überlebenden zu erreichen.
Kathrin Zeiske ist freie Journalistin, sie berichtet aus Mexiko und Mittelamerika. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.
HINTERGRUND
von Kathrin Zeiske
Seit den 1980er Jahren beziehen die USA das Nachbarland Mexiko immer stärker in die eigene repressive Migrationspolitik ein. Im Lauf der Jahrzehnte hat sich Mexiko zu einer sogenannten vertikalen Grenze entwickelt. Das bedeutet, dass Asylsuchende schon weit vor ihrem Ziel, den USA, auf mexikanischem Territorium in "Migrationsstationen" inhaftiert und später abgeschoben werden.
"Rechtlich gesehen dürfen diese 'Migrationsstationen' keine Gefängnisse sein", sagt Edith Olivares Ferreto, Generalsekretärin von Amnesty International in Mexiko. "Faktisch werden die Menschen dort aber eingesperrt." Die Nationale Menschenrechtskommission Mexikos (CNDH) und Nichtregierungsorganisationen beanstanden die Lage in den Abschiebegefängnissen seit vielen Jahren. Rassistische Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen sind dort an der Tagesordnung. Immerhin: Seit vier Jahren dürfen Kinder und Jugendliche nicht mehr dort eingesperrt werden.
In der Amtszeit von Präsident Andrés Manuel López Obrador (2018 bis 2024) kam es in elf dieser Einrichtungen zu Bränden, weil Menschen gegen die Haftbedingungen protestierten. Die CNDH stellte fest, die mexikanische Migrationspolizei sei eine der Institutionen, die viele Menschenrechtsverletzungen im Land zu verantworten habe. Nach dem Brand in der Hafteinrichtung in Ciudad Juárez im März 2023 bezeichnete die CNDH die Situation in allen 49 Abschiebegefängnissen im Land als "nicht angemessen" und in 15 von ihnen als "kritisch".
López Obrador hatte bei seinem Amtsantritt 2018 einen humanitären Ansatz in der Migrationspolitik gewagt und die Leitungsposten der Migrationspolizei gezielt mit Personen besetzt, denen Menschenrechte wichtig sind. Doch nur ein Jahr später setzte Donald Trump während seiner ersten Präsidentschaft Mexiko unter Druck, von den USA zurückgewiesene Asylsuchende aufzunehmen und leitende Positionen der Migrationspolizei mit Militärs zu besetzen. Diesen Umschwung bekamen Inhaftierte umgehend zu spüren. "Eine unserer größten Sorgen ist die Militarisierung der Migrationspolitik auf allen Ebenen", sagt Edith Olivares Ferreto. "Nicht nur die Migrationspolizei, auch die Nationalgarde geht im Landesinneren und an den Grenzen gegen Menschen vor."
Die Stigmatisierung als "Illegale" mache Flüchtlinge und Migrant*innen zu einer leichten Beute. "Amnesty International hat wiederholt betont, dass sie oft Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden, wie zum Beispiel Menschenhandel, willkürlichen Festnahmen, Ausbeutung, Entführungen und Verschwindenlassen. Der mexikanische Staat muss für den Schutz aller Menschen auf seinem Territorium sorgen, unabhängig von ihrer Herkunft."