Amnesty Journal Mexiko 18. Oktober 2020

Mexiko als Mauer

Ein langer schwarzer Zaun läuft entlang einer Asphaltstraße bis zum Horizont in weiter Ferne

Restriktive Migrationspolitik, Handelsbeschränkungen, rechtsextreme Ideologie: Was eine Wiederwahl Donald Trumps für die Mitte und den Süden des amerikanischen Kontinents bedeuten könnte.

Von Wolf-Dieter Vogel

Für US-Präsident Donald Trump hätte der Staatsbesuch des Nachbarn nicht besser laufen können. Ehrfurchtsvoll kniete der mexikanische Regierungschef Andrés Manuel López Obrador im Juli vor der Statue Abraham Lincolns nieder, ebenso ergeben zeigte er sich gegenüber seinem Gastgeber: Er danke Trump dafür, "dass Sie unseren mexikanischen Landsleuten mit immer mehr Respekt begegnen". Niemals habe das US-Staatsoberhaupt Mexiko etwas aufgezwungen, das die Souveränität des Landes verletze, ergänzte der Mexikaner. Er erwähnte weder die Pläne, zwischen den beiden Staaten eine Mauer zu errichten, noch kritisierte er, dass Trump Migrantinnen und Migranten regelmäßig als "Vergewaltiger und Mörder" beschimpft.

Selbst so viel Entgegenkommen scheint Trump egal zu sein. Für ihn sind die Verhältnisse in Mexiko und anderen Staaten ­Lateinamerikas ausschließlich eine Projektionsfläche für innenpolitische Ziele. Ob Mexiko, Kuba, Venezuela oder Mittelamerika – es geht ihm stets darum, vermeintliche Gefahren anzuprangern, die dort lauern: Diktatoren, Geflüchtete, Kriminelle.

Die Begriffe, die Trump in diesem Kontext benutze, seien ­genau auf seine Anhängerschaft ausgerichtet, erklärt Michael Shifter, der Präsident des Think Tanks Interamerican Dialogue in Washington. "Mexiko ist dafür ein gutes Beispiel." Obwohl Lateinamerika ein Drittel seiner Importe aus den USA bezieht, zeigt Trump demonstratives Desinteresse am Süden des Kontinents. Lateinamerika und Mexiko sind für ihn ein und dasselbe. Seine Mauerpläne sind der konkrete Ausdruck dieser Missachtung.

López Obrador kam genau zur rechten Zeit. Vier Monate vor der Präsidentschaftswahl in den USA setzte er Trumps aggressivem Kurs des "America First" nichts entgegen. Kein gutes Zeichen für die Zukunft. Denn Angriffe auf Migrantinnen, Migranten und Geflüchtete zählen zu Trumps wichtigsten Botschaften, um sich die Unterstützung seiner Anhängerschaft zu sichern.

Bau der Mauer: "Ein großer Tag für Arizona"

Sollte er die Wahl gewinnen, werden Mexiko und Mittelamerika dies besonders zu spüren bekommen. Zwar steht am Rio Bravo bis heute keine Mauer, doch entscheidend ist für Trump, dass er an seinem rassistischen Diskurs festhalten kann. Wenige Tage, bevor er López Obrador traf, reiste er an die Südgrenze und veröffentlichte auf Twitter ein Foto, das Bauteile des Grenzwalls zeigt, mit dem Kommentar: "Ein großer Tag für Arizona."

Doch die Mauer hat längst an Bedeutung verloren, da die mittelamerikanischen Staaten bei seiner Abschottungspolitik kooperieren, nachdem sie unter Druck gesetzt wurden. Trump hatte Guatemala, Honduras und El Salvador Hilfsgelder gestrichen, da sie seiner Ansicht nach Flucht und Migration nicht ­eindämmten. "Wir geben ihnen verdammt viel Geld, aber das lassen wir jetzt bleiben, weil sie nichts für uns tun", sagte er im März 2019. Als sich die drei Staaten bereit erklärten, aus den USA abgeschobene Asylsuchende wieder aufzunehmen, floss das Geld wieder. Im Einvernehmen mit den Regierungen er­klärte Trump die drei gefährlichsten und ärmsten Länder ­Lateinamerikas zu "sicheren Drittstaaten". Wer sie auf der Flucht durchquert hat, kann dorthin abgeschoben werden. ­Derzeit prüfen US-Gerichte, ob die Maßnahme rechtens ist.

Auch López Obrador knickte ein. Nachdem der US-Präsident gedroht hatte, hohe Importzölle auf Waren aus Mexiko zu erheben, sollte der "Strom" an Migrantinnen und Migranten nicht gestoppt werden, setzte die mexikanische Regierung die aus ehemaligen Militärangehörigen bestehende Nationalgarde gegen Menschen ein, die sich von Mittelamerika aus auf den Weg in die USA gemacht hatten. Zehntausende wurden abgeschoben.

"Die Südgrenze Mexikos ist zur ersten Mauer der USA geworden", erklärt Enrique Vidal vom Menschenrechtszentrum Fray Matías de Córdova im südlichen mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Zudem werden Personen, die in den Vereinigten Staaten einen Antrag auf Asyl stellen, bis zur Entscheidung über ihr Gesuch wieder nach Mexiko gebracht.
Trump wird die "Zollkeule" jederzeit wieder hervorholen, wenn ihm dies nützt. Ob sich sein demokratischer Kontrahent Joe Biden offener zeigt, ist nicht ausgemacht. Er kündigte zwar an, den Migrationsprozess zu "humanisieren" und das Asylrecht zu verteidigen, allerdings unternahm auch Barack Obama, dem er als Vizepräsident diente, mit seinem Programm "Frontera Sur" (Südgrenze) bedeutende Schritte, um die Migration einzuschränken.

Neue Blockadepolitik gegen Kuba

Was die Kubapolitik angeht, steht Trumps aggressiver Kurs in scharfem Gegensatz zu seinem Vorgänger. Während sich Obama für eine vorsichtige Öffnung eingesetzt hatte, greift der derzeitige US-Präsident auf die bald 60-jährige Blockadepolitik zurück, die drastische Folgen für die Bevölkerung des sozialistischen ­Inselstaats hat, weil sie Investitionen, Handel und die Einfuhr ­lebensnotwendiger Güter behindert. Das Embargo begrenze "Kubas Möglichkeiten, Arznei, medizinisches Material sowie Technologien einzuführen, um potenziell tödliche Krankheiten zu behandeln", kritisierte Amnesty International bereits 2009.

Die US-Regierung begründet die Sanktionen mit fehlender Presse- und Versammlungsfreiheit und anderen Menschenrechtsverletzungen. Angesichts dessen, dass Trump Journalisten gängelt, Kinder in Abschiebegefängnissen von ihren Eltern trennt und rassistische Gewalt von Polizisten unterstützt, erscheint dies heuchlerisch. Die Blockade Kubas und das Poltern des US-Präsidenten gegen das linke Regime in Venezuela haben vielmehr paradoxe Folgen: Denn sie liefern den Regierungen in Havanna und Caracas neue Vorwände, um Oppositionelle als "Agenten des Imperialismus" zu verfolgen. Zwar treffen die Sanktionen durchaus Politiker, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben, aber eben auch die Zivilbevölkerung. Und die Drohungen des US-Präsidenten, militärisch gegen den "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" vorzugehen, stoßen selbst bei Regimekritikern in Kuba und Venezuela auf Unverständnis. Vielmehr haben die beiden Staatsführungen in Trump einen ungewollten Verbündeten, wenn es darum geht, Folter, willkürliche Inhaftierungen und Polizeigewalt gegen Demonstrierende zu legitimieren.

Trump als Vorbild Bolsonaros

Sollte der US-Präsident vier weitere Jahre im Amt bleiben, würden darunter nicht zuletzt die indigenen, sozialen und feministischen Bewegungen im Süden des Kontinents leiden. So lässt etwa der brasilianische Staatschef Jair Bolsonaro keinen Zweifel daran, dass er den Republikaner als sein Vorbild betrachtet: "Wir wollen Brasilien wieder groß machen, so wie Trump die USA wieder groß machen will", verkündete er. In seinem Hass auf Schwule und Lesben, seinem Rassismus gegen Indigene und seiner Ignoranz gegenüber dem Klimawandel hat er in Trump einen Mitstreiter gefunden, der seine rechtsextremen Positionen ebenfalls offen zur Schau stellt. Es ist nicht auszuschließen, dass in diesem Fahrwasser weitere rechtsextreme Politiker in Lateinamerika an Bedeutung gewinnen. Ob sie sich durchsetzen können, ist fraglich. Denn die USA und Brasilien haben die Corona-Krise bislang am schlechtesten gemeistert. Nirgendwo sterben mehr Menschen – ein trauriger Beweis dafür, dass die undemokratische Politik der Abschottung, Isolation und Arroganz keine Zukunft hat. Das ist die gute Nachricht im Schlechten.

Wolf-Dieter Vogel ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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