Amnesty Journal Kolumbien 04. Dezember 2017

Der Frieden hat nicht nur Freunde

Zeichnung einer aufgeschlagenen Zeitschrift

Vor einem Jahr schlossen Regierung und FARC-Guerilla in Kolumbien Frieden. Noch immer warten Tausende Opfer auf Gerechtigkeit.

Von Sara Fremberg und Annelen Micus

Als im Dezember 2016 der Friedensvertrag zwischen der kolumbianischen Regierung von Präsident Manuel Santos und der linken Guerilla-Organisation FARC-EP (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia – Ejército del Pueblo) in Kraft trat, begann eine neue Etappe des Friedensprozesses in Kolumbien. Das Abkommen war vier Jahre lang verhandelt und gegen den Widerstand rechtskonservativer Kräfte durchgesetzt worden. Verschiedene Opfergruppen waren stark beteiligt und eine Kommission für Genderthemen kommentierte die Vertragsentwürfe – was als weltweit einmalig gelten kann. Der Kompromiss wurde auch durch anhaltende internationale Unterstützung möglich – sowohl während der Verhandlungen wie durch Verleihung des Friedensnobelpreises an Präsident Santos Ende 2016.

Ein wichtiger Erfolg: Beide Seiten erklärten sich dazu bereit, sich vor einem Sondergericht und einer Wahrheitskommission für ihre Verbrechen zu verantworten. Auf diesem Weg sollen FARC-Mitglieder, staatliche Sicherheitskräfte und andere Akteure, die den Konflikt finanziert und unterstützt haben, für Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden. Den Opfern und ihren Familien wird ein Mindestmaß an Aufarbeitung garantiert, den Tätern werden reduzierte Strafen sowie resozialisierende und integrative Maßnahmen versprochen, wenn sie freiwillig und umfassend zur Aufklärung beitragen.

Nach Angaben des Zentralregisters für Opfer von politischer Gewalt in Kolumbien waren seit den 1960er Jahren im Zuge des Konflikts mehr als 8,5 Millionen Menschen von Menschenrechtsverletzungen betroffen – vor allem Zivilpersonen. Mehr als 250.000 Menschen wurden getötet, 60.000 gelten als verschwunden, 32.000 wurden entführt, mehr als sieben Millionen vertrieben. Der Friedensvertrag enthält umfassende Regelungen zur Dokumentation und Aufarbeitung dieser Verbrechen, zur Bestrafung der Täter und zu Möglichkeiten der Wiedergutmachung für die Opfer. Die Demobilisierung und Reintegration der FARC-Kämpfer, institutionelle Reformen und eine kohärente ­Erinnerungspolitik sind ebenfalls Teil des Abkommens.

Ein Jahr nach dem Friedensschluss sind tatsächlich einige Fortschritte erkennbar: 2017 gab es keine Gefechte mehr mit ­Beteiligung der FARC – im August gab sie offiziell ihre letzten Waffen ab. Im Gegenzug durfte sie sich im September als Partei Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común politisch neu konstituieren. Im Oktober 2017 trat zudem ein zunächst bis Januar befristeter Waffenstillstand zwischen der Armee und der zweitgrößten Guerilla-Gruppe des Landes, dem ELN (Ejército de Liberación Nacional), in Kraft.

Beobachtern zufolge hat die FARC einen Großteil der Verpflichtungen des Friedensvertrags erfüllt. 7.000 Kämpfer sind aus ihren Lagern in den Bergen und im Regenwald in 26 sogenannte Übergangszonen gezogen, in denen sie sich ansiedeln und ein ziviles Leben aufbauen können. Allerdings ist dort die humanitäre Situation prekär, weil die Regierung keine angemessenen Unterkünfte und sanitäre Anlagen zur Verfügung gestellt hat. Hinzu kommt, dass zentrale Elemente des Friedensvertrags, wie das Integrale System für Wahrheit, Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und Nichtwiederholung, bislang nur mangelhaft umgesetzt wurden. Zwar sind die Richter des Sondergerichts und die Mitglieder der Wahrheitskommission gewählt, über ihre konkreten Befugnisse wird jedoch seit Monaten im Parlament und vor dem Verfassungsgericht verhandelt – ohne nennenswerte ­Fortschritte.

Das Land verzeichnet weiterhin ein hohes Maß an Gewalt. Die Hauptursachen sind der Drogenhandel sowie die soziale und wirtschaftliche Benachteiligung ganzer Bevölkerungsschichten aufgrund einer ungerechten Landverteilung. Seit Ende 2016 wurden mehr als 100 Menschenrechtsverteidiger ermordet, die Rechte ihrer Gemeinschaften und die Umsetzung des Friedensabkommens eingefordert hatten und deshalb von Paramilitärs und Drogenbanden bedroht wurden. Außerdem wurden in den ersten zehn Monaten dieses Jahres mehr als 30 frühere FARC-Kämpfer und deren Familienangehörige getötet.

Obwohl der Vertrag eine Landreform und Maßnahmen gegen den Anbau illegaler Substanzen vorsieht, geht die Regierung diese nur halbherzig an. Staatliche Stellen haben es bisher versäumt, die vereinbarten Alternativen zum Drogenanbau zu schaffen. Stattdessen greifen die Sicherheitskräfte hart gegen Bauern durch, die Koka anbauen. Anfang Oktober schlugen sie eine Demonstration von Kleinbauern in Tumaco mit Waffengewalt nieder, dabei wurden sieben Menschen getötet.

Die Bewohner der Regionen, die am stärksten vom Konflikt betroffen waren und sind – darunter viele afro-kolumbianische und indigene Gemeinschaften – spüren bislang wenig von den angekündigten Verbesserungen und Wiedergutmachungsmaßnahmen. Hinzu kommt, dass in den ehemals von den FARC besetzten Gegenden inzwischen Banden und paramilitärische Gruppen ihre Kontrolle mit Gewalt ausgebaut haben, insbesondere, was den Drogenhandel betrifft.

Ein wichtiges Zeichen für den Frieden setzte im Oktober das Verfassungsgericht. Es bestätigte ein Gesetz, wonach die Grundprinzipien des Friedensvertrags in der Verfassung verankert werden – und in den kommenden drei Regierungsperioden nicht angetastet werden dürfen.

Im März 2018 stehen Parlamentswahlen an, im Mai die Prä­sidentschaftswahl. Die rechtskonservativen Kritiker des Abkommens um den ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe Vélez mobilisieren bereits für den Wahlkampf. Sie drohen offen mit der Kündigung des Vertrags und hetzen gegen Friedensbefürworter, aber auch gegen die FARC, die laut Friedensvertrag in den kommenden zwei Legislaturperioden auf jeden Fall mit jeweils fünf Sitzen im Senat und in der Abgeordnetenkammer vertreten sein wird.

So gesehen hat das Ringen um den Frieden gerade erst ­begonnen. Er hat nur dann eine Chance, wenn alle staatlichen Organe das Abkommen umsetzen, wenn sie die humanitäre ­Situation in den Konfliktregionen mittelfristig verbessern und effektive Maßnahmen zum Schutz von Menschenrechtsaktivisten ergreifen.

Weitere Artikel