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Digitale Sittenwacht

Ist das hier privat? Oder steht alles unter Beobachtung? (Teheran, April 2024)
© Morteza Nikoubazl / NurPhoto / Getty Images
Überwachen, ausspionieren, bestrafen – wie die iranische Regierung mit technologischen Mitteln versucht, Proteste, Oppositionelle und selbst Exil-Iraner*innen kleinzuhalten.
Von Till Schmidt
Die Situation gleicht einem Katz-und-Maus-Spiel: Wer im Iran das Internet nutzen will, muss kreativ sein. Doch selbst wenn es gelingt, den allgegenwärtigen Staat auszutricksen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Behörden ihre Überwachungs- und Zensurmethoden nachjustieren. In anderen Fällen agieren die repressiven Behörden vorrausschauend. So schalteten sie in den vergangenen Jahren das Internet immer wieder ganz oder teilweise ab, um Massenproteste einzudämmen, die meist über Online-Netzwerke organisiert wurden.
Im November 2019 versuchte die Regierung auf diese Weise, die brutale Niederschlagung von Massenprotesten vor der Welt zu verbergen: Während eines einwöchigen, landesweiten Internet-Shutdowns wurden mindestens 323 Protestierende getötet. Als Reaktion auf die Proteste, die im September 2022 unter dem Motto "Frau, Leben, Freiheit" begannen, richteten sich die Internet-Shutdowns gezielt gegen bestimmte Provinzen, Städte und Stadtviertel, die als Orte des politischen Ungehorsams gelten. "Oder sie wurden nur in den Abendstunden verhängt, in denen Proteste erfahrungsgemäß am größten sind", erklärt Amir Rashidi von der unabhängigen Menschenrechtsorganisation Miaan Group, die kürzlich eine umfassende Analyse der iranischen Netzpolitik für die Friedrich-Ebert-Stiftung veröffentlicht hat.
Letzter Rest an Freiheit
Vor dem Hintergrund der starken Überwachung des gesamten öffentlichen Raums und der umfassenden Medienzensur biete das Internet der iranischen Bevölkerung einen "letzten Überrest politischer Freiheit", betont Mahsa Alimardani, die am Oxford Internet Institute zur digitalen Überwachung im Iran forscht. Insbesondere, um Informationen über Menschenrechtsverletzungen bei Protesten international zu verbreiten, seien die digitalen Kommunikationskanäle unverzichtbar. Sie können für Protestierende aber auch zur Gefahr werden: "Sobald Sicherheitsbehörden bei Festnahmen Zugriff auf Endgeräte erhalten, kommt es auf Grundlage der darauf abgespeicherten Fotos, Videos oder Kontaktlisten in der Regel zu Folter, weiteren Festnahmen und Hinrichtungen", sagt Alimardani.
Um mit der restlichen Welt im Alltag in Kontakt zu treten, nutzen die meisten Iraner*innen Smartphones und eine Verbindung über das Mobile Internet. "Highspeed-Datenpakete sind für einen Großteil der Bevölkerung aber relativ teuer", erklärt Alimardani. Hinzu kommt die von der Regierung verhängte Blockade der wichtigsten internationalen Nachrichtenseiten, Online-Netzwerke und Messenger-Dienste. Um trotzdem auf Instagram, Facebook oder WhatsApp zugreifen zu können, helfen VPN-Verbindungen, die von Unbeteiligten nicht einsehbar sind. Ein weiterer Weg zur Umgehung der Online-Zensur sind Internetverbindungen über Satellitentechnologien, die bislang jedoch noch wenig verbreitet sind.
"Die Nutzung von VPN gehört für viele Iraner*innen zum Alltag", erklärt Alimardani. Entscheidend sei aber, ob die Verbindung reibungslos funktioniere – und vor allem ob sie sicher ist. Auch hier gleicht die Situation einem Katz-und-Maus-Spiel: Um die vielfältigen Störungs- und Infiltrationsversuche der iranischen Regierung ins Leere laufen zu lassen, müssen Internetnutzer*innen in der Regel mehr als eine Software installieren. Dabei besteht die Gefahr, Software zu installieren, die von den Behörden mit Malware versehen wurde, um Nutzer*innen auszuspähen. Zu Beginn des Jahres 2024 verbot der Iran die Nutzung von VPN. Seit Langem fordern Netz-Aktivist*innen und Nichtregierungsorganisationen die Weltgemeinschaft auf, der iranischen Bevölkerung kostenlose oder zumindest erschwingliche sowie sichere und technologisch avancierte VPN zur Verfügung zu stellen.
Denunziation als Mitmachangebot
Seit den Protesten gegen die Präsidentschaftswahl von 2009 hat die Regierung ihr digitales Überwachungssystem umfassend weiterentwickelt. "Dazu gehört auch der Aufbau eines eigenen Intranets", erklärt Amir Rashidi. Das "Nationale Informations-Netzwerk" (NIN) mit einer eigenen Server-Infrastruktur, Messaging- und Shopping-Apps, Online-Netzwerken, Videospielen, Websites und Enzyklopädien soll die iranische Bevölkerung vom Rest der Welt abschotten. Anreize für die Nutzung des NIN schafft die Regierung unter anderem mit günstigen Preisen, Steuererleichterungen und Vergünstigungen für Unternehmen sowie mit Werbung, die einen reibungslosen Zugang hervorhebt.
Seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 steht die Überwachung von Frauen im Mittelpunkt der repressiven Maßnahmen. Da sich die Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" dezidiert gegen die herrschende Kopftuchpflicht richtet, sei abzusehen, dass die Regierung die digitale Überwachung in diesem Bereich weiter ausbauen werde, sagt Rashidi. Ob dafür bereits Gesichtserkennungstechnologie genutzt wird, bleibe unklar. Die Tendenz sei aber eindeutig, sagt Rashidi: "Die Infrastruktur und die Plattformen des nationalen Intranets werden zunehmend genutzt, um Profile der Bevölkerung erstellen zu können."
Mithilfe von Software, die zu Denunziation ermutigt, versucht die Regierung, Teile der Bevölkerung in ihr Überwachungssystem einzubinden. So können registrierte Freiwillige mit der App Nazer (Überwacher) die Autokennzeichen von nicht ordnungsgemäß verschleierten Fahrerinnen an die Behörden weiterleiten. "Nazer funktioniert ausschließlich über das nationale Intranet", erklärt Rashidi. Die App sei so konzipiert, dass ihre Funktionen zukünftig womöglich auch genutzt werden könnten, um Alkoholkonsum, politischen Protest und andere kriminalisierte Handlungen zu melden.
Überwachung in Deutschland
Die systematische Überwachung macht nicht an den Landesgrenzen halt. Mittlerweile warnt auch der deutsche Verfassungsschutz vor nachrichtendienstlichen Aktivitäten der iranischen Regierung, die sich vor allem gegen oppositionelle Iraner*innen, aber auch gegen israelische und jüdische Ziele richteten. In seinem aktuellen Bericht nennt der Verfassungsschutz "staatsterroristische Mittel" wie Anschläge und Entführungen bei Reisen in den Iran, aber auch gezielte Cyberangriffe, die einschüchtern sollen und zur Überwachung dienen.
"Obwohl es sich bei der Cyberspionage durch ausländische Staaten um eine Straftat nach deutschem Recht handelt, gibt es für Betroffene hierzulande bislang nur wenige kompetente Ansprechpartner", kritisiert Lena Rohrbach, Amnesty-Referentin für Menschenrechte im digitalen Zeitalter. Wer zum Beispiel prüfen lassen möchte, ob das eigene Endgerät mit Spyware infiziert ist, sei auf einige wenige private Anbieter angewiesen. Zusammen mit weiteren Organisationen fordert Amnesty Deutschland daher eine staatliche Meldestelle für transnationale Repression, die auch digitale Vorfälle dokumentiert, auswertet und Betroffene rechtlich berät.
Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.