Amnesty Journal Iran 09. Februar 2021

Trotz Corona wieder im Gefängnis

Eine mittelalte Frau mit Brille trägt ein Tuch halb über den Kopf geschlagen und eine Lederjacke.

Die Anwältin Nasrin Sotoudeh gilt im Iran als Symbolfigur der Freiheit, wird aber immer wieder selbst inhaftiert. Mit Hungerstreiks kämpft sie für die Rechte der politischen Gefangenen – auch während der Pandemie.

Von Hannah El-Hitami

Nasrin Sotoudeh trug eine Maske, als sie am 7. November für ein paar Tage aus der Haft im Qarchak-Gefängnis bei Teheran entlassen wurde. Doch an ihren Augen ließ sich erkennen, dass sie lachte, als sie ihren Sohn in die Arme nahm. Ein Twitter-Video zeigt das deutlich. Die 57-jährige Iranerin, die in den Medien oft als zerbrechlich beschrieben wird, ist alles andere als das: Sie hat mehr als zwei Jahre Haft in den härtesten Gefängnissen Irans sowie einen sechswöchigen Hungerstreik überstanden.

Nasrin Sotoudeh ist eine der bekanntesten Menschenrechtsverteidigerinnen des Landes. Als Anwältin tritt sie für Gefangene ein, auf die es die iranische Regierung besonders abgesehen hat. Sie verteidigte prominente Aktivistinnen der Grünen Bewegung von 2009 und wurde 2011 wegen ihres Engagements gegen die Todesstrafe inhaftiert. Nachdem sie 2018 zwei Frauen verteidigte, die gegen die Kopftuchpflicht protestiert hatten, verurteilte man Sotoudeh zu 38 Jahren Haft und 148 Peitschenhieben wegen "Anstiftung zur Prostitution", "Verbreitung von Propaganda" und "Verschwörung gegen die nationale Sicherheit".

Zweimal in Hungerstreik

Im Gefängnis endete ihr Engagement nicht. Seit März trat sie zweimal in einen Hungerstreik, um gegen die Haftbedingungen zu protestieren. "Mitten in der Corona-Krise sind die Bedingungen für politische Gefangene so schwierig und problematisch geworden, dass ihre fortgesetzte Inhaftierung in dieser furchtbaren Situation nicht mehr möglich ist", schrieb sie in ­einer Nachricht aus dem Evin-Gefängnis im August. Wie viele andere hatte sie einen Antrag auf Hafturlaub gestellt, um den unhygienischen Bedingungen des Gefängnisses zu entgehen – ohne Erfolg.

Ende September musste Sotoudeh ihren 46-tägigen Hungerstreik abbrechen, da ihr Gesundheitszustand sich verschlechtert hatte und sie in der Klinik behandelt werden musste. Anschließend wurde sie ins Qarchak-Gefängnis verlegt. Als sie dies aus gesundheitlichen Gründen vorübergehend verlassen durfte, erkrankte sie an Corona, sie hatte sich wohl im Gefängnis infiziert. Wegen ihrer gesundheitlichen Probleme nach Haft und Hungerstreik ist sie besonders gefährdet. Trotz dieser Gefahr musste sie Anfang Dezember zurück ins Gefängnis.

Solidarität aus aller Welt

Sotoudeh bleibt trotz allem optimistisch. Als sie nach ihrem Hungerstreik ins Krankenhaus musste, teilte sie über ihren Mann mit, sie habe damit immerhin bewiesen, "wie weit die Justiz zu gehen bereit ist, um das Gesetz zu brechen und das Leben der Bevölkerung zu gefährden". Das mutige Engagement der Anwältin hat weltweit für Aufmerksamkeit gesorgt. Im ­Oktober 2020 erhielt sie den Alternativen Nobelpreis "für ihr furchtloses Engagement, unter hohem persönlichem Risiko, zur Förderung politischer Freiheiten und der Menschenrechte im Iran". Und in den Online-Netzwerken solidarisieren sich Menschen aus aller Welt unter dem Hashtag #StandUp4Nasrin.

Daran, dass Sotoudeh ihren Kampf weiterführt, gibt es keinen Zweifel. Zwei Tage, nachdem sie im Jahr 2013 aus ihrer ersten dreijährigen Haft entlassen worden war, habe sie bereits wieder mit einem Protestplakat vor dem Justizpalast gestanden, schreibt der Grünen-Politiker Omid Nouripour, der die Anwältin kennenlernte. Sie sei "für eine Gesellschaft, der immer mehr die Luft zum Atmen genommen wird, eine Art iranischer Nelson Mandela – die Symbolfigur für den Kampf für Freiheit".

Hannah El-Hitami ist freie Journalistin und lebt in Berlin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.

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