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Niedrige Hemmschwelle
Gegen den Hass: Kundgebung des Bündnisses "Döbeln bleibt bunt" gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD
© Hendrik Schmidt / dpa / pa
Sich vor Ort gegen menschenrechtsfeindliche Positionen und für den Rechtsstaat zu engagieren, ist gefährlich. Diese Erfahrung machen Aktivist*innen in ganz Deutschland. Sie fordern vom Staat Schutz und Unterstützung.
Von Till Schmidt
Immer wieder kamen die Männer vorbei. Als neben den Redaktionsräumen von "Katapult" Ende 2023 eine Lagerhalle gebaut wurde, betraten sie mehrmals das Grundstück des Verlags. Ob hier ein Geflüchtetenwohnheim gebaut werde, erkundigten sich die Männer und versuchten, Bauarbeiter sowie "Katapult"-Mitarbeitende einzuschüchtern. Nasrin Morgan gelang es, einen der Männer souverän aus dem Redaktionsgebäude zu verweisen. "Den Eindringling hatte ich als Rechtsextremen erkannt", erinnert sich die "Katapult"-Geschäftsführerin.
Tatsächlich hatte der politisch engagierte Verlag einige Monate zuvor öffentlich mit dem Gedanken gespielt, in Greifswald ein Wohnheim für Geflüchtete bauen zu lassen. "Falls die Idee wieder aktuell werden sollte, werden wir uns auf keinen Fall einschüchtern lassen", sagt Morgan mit Nachdruck. Nicht erst seit den Besuchen von Rechtsextremen seien Schutzmaßnahmen für das eigene Team ein wichtiges Thema: "Gerade bei Berichten von Neonazi-Demonstrationen oder investigativen Recherchen zu rechten Netzwerken müssen wir alles dafür tun, den Schutz der Persönlichkeitsrechte unserer Mitarbeitenden zu gewährleisten."
Einschüchterungsversuche von Rechten
Auch Ocean Hale Meißner kennt Einschüchterungsversuche von Rechten. Neben der Mitarbeit an einer Wanderausstellung zu queeren Lebenswelten in Sachsen hat der nicht-binäre Mensch Pride-Paraden in Döbeln mitorganisiert und dort eine queere Gruppe mitaufgebaut. Aktuell widmet sich Meißner voll und ganz der politischen Arbeit und ist in insgesamt neun Initiativen, Vereinen und Bündnissen aktiv.
Dass in einer Mittelstadt wie Döbeln "jeder jeden kennt", wirke sich deutlich auf die eigene Sicherheitslage aus, betont Meißner. Zugenommen haben die Einschüchterungsversuche vor allem seit Anfang dieses Jahres. Nach Bekanntwerden der rechtsextremen Pläne zur "Remigration" von Migrant*innen war Meißner als Redner*in bei antifaschistischen Demonstrationen der Initiative "Döbeln bleibt bunt" aufgetreten. Neben Hasskommentaren in Online-Netzwerken umfassen die Einschüchterungsversuche vor allem aggressive Verfolgungen per Auto und Drohbriefe an Meißners Privatadresse.
Doch selbst Todesdrohungen lässt Meißner an sich abprallen: "Ich bin mir bewusst, dass sie strategisch eingesetzt werden, um mich und meine politischen Anliegen mundtot zu machen – das motiviert mich aber nur noch mehr." Eine neue Qualität nahmen die Bedrohungen allerdings im Frühjahr an. Aus einem Autokorso heraus attackierten stadtbekannte Neonazis der Kleinstpartei Freie Sachsen Meißner und andere vor dem soziokulturellen Zentrum Treibhaus e. V. mit Böllern. Nur mit Glück überstanden die Aktivist*innen den Angriff körperlich unbeschadet.
David Begrich von Miteinander e. V. in Magdeburg beobachtet die Einschüchterungsstrategien von Rechten und Rechtsextremen schon seit Langem. "Gerade in Ostdeutschland ist inzwischen nicht nur das rhetorische Klima verroht, sondern auch die Hemmschwelle für An- oder Übergriffe jeder Art niedriger geworden", sagt Begrich. Die Gewalt betreffe bei Weitem nicht nur profilierte linke Aktivist*innen, sondern auch engagierte Kirchenvorstände, Polizist*innen, Ärzt*innen oder Übungsleitende im Sportbereich aus der demokratischen Mitte.
Für Mandatsträger*innen und ehrenamtlich Engagierte brauche es daher mehr Schutz sowie echte Rückendeckung bei konkreten Bedrohungen. Solidaritätsbekundungen etwa durch hochrangige Bundespolitiker*innen seien nach Übergriffen nach wie vor viel zu selten, kritisiert Rechtsextremismusforscher und Theologe Begrich.
Auch Axel Sahlheiser vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena beobachtet eine Verschärfung der Bedrohungslage in Ostdeutschland. Der Soziologe hebt hervor, dass sich die AfD entgegen weitverbreiteten Klischees auch in einigen Regionen Westdeutschlands etablieren konnte und daher "kein rein ostdeutsches Phänomen" sei. Sahlheiser betont jedoch auch, dass die demokratische Zivilgesellschaft in Ostdeutschland insgesamt schwächer aufgestellt sei als im Westen. Besonders starke Unterstützung benötigten aktuell vor allem Engagierte auf dem Land und in Klein- und Mittelstädten.
Förderung und Solidarität nötig
Für öffentlich geförderte Projekte gehört dazu auch eine längerfristige finanzielle Absicherung. Bundesweit wird vielen zivilgesellschaftlichen Projekten die mittel- und langfristige Arbeit dadurch erschwert, dass es kaum Planungssicherheit gibt. Entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag ist es der Bundesregierung bislang nicht gelungen, ein Demokratiefördergesetz auf den Weg zu bringen. Seit Jahren fordern betroffene Organisationen eine gesetzliche Regelung zur besseren Absicherung ihres oft prekär organisierten Einsatzes für eine demokratische Gesellschaft.
Die angekündigte Reform des Gemeinnützigkeitsrechts wurde ebenfalls noch nicht umgesetzt. Rechtliche Unsicherheiten sowie das Neutralitätsgebot für gemeinnützige Vereine macht sich die AfD regelmäßig zunutze, um politische Gegner gezielt unter Druck zu setzen. So zeigte zum Beispiel ein bayerischer AfD-Landtagsabgeordneter die Initiative "München ist bunt!" im vergangenen Jahr bei der Finanzbehörde an und forderte, ihr die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Vor dem Hintergrund solcher Attacken wandten sich kürzlich mehr als 100 Initiativen in einem Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz und forderten, eine Reform des Gemeinnützigkeitsrechts zügig umzusetzen.
Mehr Interesse für demokratiepolitische Arbeit
Auch im medialen Diskurs besteht die Gefahr, die gesellschaftspolitisch so wichtige Arbeit demokratiepolitischer Initiativen aus dem Blick zu verlieren. David Begrich hält es daher für geboten, der extremen Rechten und ihren kalkulierten Selbstinszenierungen in Zukunft weniger Platz einzuräumen. "Talkshow-Interviews mit AfD-Spitzenpolitikern mögen ihre Legitimität haben, weil sie ja das demokratisch gewählte politische Spektrum abbilden", sagt Begrich. "Doch warum holt man nicht Sprecher einer regionalen Bürgerinitiative für Demokratie hinzu und fragt sie: 'Was braucht ihr, wie ist eure Situation?'"
Ocean Hale Meißner bemerkt, dass das Interesse für die demokratiepolitische Arbeit in der sächsischen Provinz inzwischen gestiegen ist. Vor den Landtagswahlen im Herbst erfahren Meißner und andere Aktivist*innen nicht nur vermehrt Solidaritätsbekundungen in den Online-Netzwerken, sondern sie werden auch durch Geldspenden und durch Teilnahme an Demonstrationen vor Ort stärker unterstützt. Der "überhebliche Blick auf 'die Ossis'" sei dabei "seltener geworden", erzählt die non-binäre Person. Meißner hat sich entschieden, in Döbeln zu bleiben und weiter für die Demokratie zu kämpfen: "Wenn alle Jungen und Engagierten wegziehen, überlassen wir das Feld automatisch den Rechten."
Till Schmidt ist freier Journalist. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International oder der Redaktion wieder.