Amnesty Journal Deutschland 17. Februar 2023

In Granit gemeißelt

Neben einer Stele aus Stein stehen fünf Personen, über ihnen spannt sich ein Blätterdach aus den Kronen von Bäumen.

Gesichter von Amnesty in Passau: Abdel (Nachname zum Schutz seiner Familie nicht genannt), Gottfried Rohrbach, Bettina Olschar, Susanne Synek und Regina Schaffner (von links).

Die Amnesty-Gruppe in Passau ist seit mehr als 50 Jahren aktiv. Im Stadtbild hat sie die Menschenrechte sogar mit einer Stele sichtbar gemacht.

Von Nina Apin

Zwischen den Barockfassaden der Passauer Altstadt zwitschern Spatzen, im Café Duftleben duftet es nach Kuchen. Die Runde, die hier zusammensitzt, gehört ebenso zum Inventar wie die kleine Tochter des Kellners, die mit gezücktem Block zwischen den Gästen umherläuft. "Sag, dass der Kirschkuchen super ist", ruft ihr Susanne Synek hinterher. Sissy, wie sie von allen genannt wird, ist die Sprecherin der Passauer Amnesty-Gruppe, die seit 1971 besteht. Die Mitglieder treffen sich jeden ersten Freitag im Monat, um Aktionen zu besprechen und Neue willkommen zu heißen. "In letzter Zeit stockt es ein bissl", sagt Synek und seufzt. "Ohne Anni ist es halt schwierig."

2020 starb Anni Loderbauer, Gründerin, jahrzehntelange Bezirksvorsitzende und spirituelles Zentrum der niederbayerischen Menschenrechtsszene. Aus ihrer Passauer Wohnung heraus steuerte Loderbauer Brief- und Sammelaktionen und setzte sich besonders für Menschenrechtsbildung ein. Unter anderem erwirkte sie, dass die Menschenrechte im bayerischen Lehrplan verankert wurden.

Aktive Vernetzungsarbeit

Die Gruppe hält den Gründerinnengeist mit einer aktiven Vernetzungsarbeit hoch. Zum 50-jährigen Jubiläum im November 2022 reiste der deutsche Generalsekretär Markus N. Beeko aus Berlin zum Festakt im Rathaus an und würdigte die Passauer Gruppe in seiner Rede als "leuchtenden Stern im Süden". Amnesty ist im Stadtbild der kleinen Universitätsstadt präsent – mit Mahnwachen, Theateraufführungen, Protestaktionen und einer imposanten Granitstele mit der Inschrift "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte UNO 1948. Am 8. Juni 2022 wurde der Obelisk, der aus einem Ideenwettbewerb hervorging, im Klostergarten eingeweiht. Mittels QR-Codes lässt sich der volle Text der Präambel und aller 30 Artikel herunterladen, "eine Einladung, in Zeiten von Krieg und gesellschaftlicher Spaltung über die Bedeutung der Menschenrechte nachzudenken", sagt Susanne Synek.

Die derzeitige Kerngruppe besteht vor allem aus eingesessenen Passauer*innen: Gottfried Rohrbach, pensionierter Psy­cho­loge, ist schon seit Ende der 1980er Jahre für Amnesty aktiv. Regina Schaffner stieß 2021 durch eine Zeitungsanzeige dazu. "Endlich habe ich es geschafft, selbst aktiv zu werden", freut sie sich. Synek und Bettina Olschar kennen sich von ihrer ­Arbeit als Pharmazeutisch-Technische ­Assistentinnen, Olschar stellte 2009 eine Ausstellung zu den Menschenrechtsartikeln in der St. Anna-Kapelle auf die Beine. Der Domprobst persönlich half bei der Vernetzung der Aussteller*innen, von denen jede*r einen Artikel visuell umsetzte. "Das kleinstädtische Jeder-kennt-Jeden kann auch ein Vorteil sein", findet Bettina Olschar, und Susanne Synek ergänzt: "Amnesty ist neutral, aber hier in Niederbayern ist die Kirche nun mal ein bedeutender Faktor."

Das nächste Projekt, ein von Künstler*innen gestalteter "Weg der Menschenrechte" auf der Landesgartenschau in Freyung 2023, geht auf die Idee eines Pfarrers zurück – für Synek, die schon ein Banner "Lass Menschenrechte erblühen" organisiert hat, ist das ganz normal. Für die Amnesty-Hochschulgruppe, die es in der Stadt zudem noch gibt, ist die Zusammenarbeit mit Kirchenkreisen aber immer wieder ein Reibungspunkt. Abdel, der sich in der Passauer Amnesty-Gruppe engagiert und seinen Nachnamen zum Schutz seiner Fa­milie in Nordafrika nicht veröffentlichen möchte, findet den Dissens jedoch belebend. Er ist erst vor Kurzem zugezogen, zuvor war er bereits in München bei Amnesty aktiv. "Ich mag es, wie verschieden die Leute hier in Passau sind", sagt er bei einem Spaziergang im Klostergarten und legt seine Hand auf den bayerischen Granit der Stele. "Demokratie ist immer Diskussion."

Nina Apin ist freie Journalistin und Autorin. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

Mehr unter: www.amnesty-passau.de.

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