Amnesty Journal 10. Mai 2019

"Deutsche zu sorglos gegenüber China"

Zwei Männer in schwarzen Anzügen reichen sich die Hand, dahinter ein Landschaftsgemälde.

Bundesaußenminister Heiko Maas im April 2019 in Peking mit Chinas stellvertretendem Ministerpräsidenten Liu He

Die Universalität der Menschenrechte ruft in jeder Diktatur Sorge hervor, sagt die Politologin Katrin Kinzelbach. Im Interview erklärt sie, wie sich der Menschenrechtsdialog der EU mit China gewandelt hat. 

Interview: Lea De Gregorio

Wann hat der Menschenrechtsdialog zwischen Europa und China begonnen?

1995, gut fünf Jahre nach dem Tiananmen-Massaker, das sich dieses Jahr zum dreißigsten Mal jährt. Der weltweite Aufschrei nach der gewaltvollen Niederschlagung der Protestbewegung 1989 war groß. So kam es zum einen zu Sanktionen, die aber fast alle relativ schnell wieder aufgehoben wurden. Außerdem versuchten die Europäische Union, die USA und andere Länder in der UN-Menschenrechtskommission, eine Resolution zur Menschenrechtssituation in China zu verabschieden. Dazu ist es aber nie gekommen, weil immer die nötigen Stimmen fehlten.

Peking hat eine Verurteilung also erfolgreich verhindert?

Der chinesische Parteistaat wollte das unbedingt vermeiden. Als es 1995 so aussah, dass es doch zu einer UN-Resolution kommen könnte, signalisierte die chinesische Regierung den Europäern ihre Bereitschaft, einen regelmäßigen Dialog über Menschenrechte zu führen – unter zwei Bedingungen: Zum einen sollte der Dialog hinter verschlossenen Türen stattfinden, zum anderen sollte Europa davon absehen, die Resolution zu unterstützen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und chinesische Dissidenten äußerten sich empört. Viele Außenpolitiker und einzelne Menschenrechtsexperten hofften jedoch auf eine Möglichkeit, China einzubinden und so zu beeinflussen.

Warum hat China sich so stark um den Menschenrechtsdialog bemüht?

Der Parteistaat wollte sich international wieder salonfähig machen. Die Volksrepublik war auf ausländische Investitionen angewiesen und wurde erst 2001 in die Welthandelsorganisation aufgenommen – die politische Isolation nach 1989 war hierfür ein großes Hindernis.

Diente der Dialog nicht beiden Seiten als Deckmantel?

Es ging natürlich auch darum, Kooperation in anderen Bereichen zu rechtfertigen. Schließlich gab es auch auf europäischer Seite genug Stimmen, die wirtschaftlichen und geopolitischen Themen größeres Gewicht beimaßen als den Menschenrechten. Gleichzeitig war die Vorstellung verbreitet, Chinas Innenpolitik dadurch beeinflussen zu können. Auf chinesischer Seite war der Dialog aber ganz klar ein Deckmantel.

Eine Frau mit dunklem Pullover und verschränkten Armen

Die an der Universität Wien ­promovierte Politologin Katrin Künzelbach ist stell­vertretende Direktorin des Global Public Policy Institute (GPPi) in ­Berlin; zuvor arbeitete sie viele Jahre für die Vereinten Nationen. Für ihre Dissertation über den EU-Menschenrechtsdialog mit China wurde Kinzelbach mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung aus­gezeichnet.

Warum nur hinter verschlossenen Türen?

Damit die Menschenrechtsthematik aus der internationalen Öffentlichkeit verschwindet. Aber natürlich auch, um den Informationsfluss innerhalb Chinas zu steuern. Es hat dort ja nie eine Aufarbeitung des Tiananmen-Massakers stattgefunden, im Gegenteil: Der Parteistaat verfolgt eine absolut kontrollierte Geschichtserzählung mit dem Ziel, dieses Massaker vergessen zu machen. Menschenrechte sind auch heute noch ein Tabuthema. Informationen hierzu werden zensiert, Menschenrechtsanwälte als Staatsfeinde verleumdet.

Statt von Menschenrechten sprechen chinesische Politiker heute von einer "Gemeinschaft mit geteilter Zukunft für die Menschheit". Ist das bloß eine Floskel?

Das ist eine Floskel, aber eine gefährliche. Hinter diesen Propagandaphrasen steht der Versuch, den öffentlichen Diskurs zu bestimmen, es geht um Deutungshoheit. Die Universalität der Menschenrechte ruft in jeder Diktatur Sorge hervor. Peking propagiert die "Gemeinschaft der geteilten Zukunft" als Vision von Präsident Xi Jinping. Sie soll die Menschenrechte als überholt ­erscheinen lassen.

Stellt Europa im Menschenrechtsdialog denn gar keine Forderungen an China?

Das Machtverhältnis hat sich gewandelt. Es ist heute extrem schwierig, mit Peking über Menschenrechtskonzessionen zu verhandeln. 2001 ist es immerhin gelungen, dass China den UN-Sozialpakt ratifiziert, also als verbindlich anerkannt hat. Das hing auch mit Pekings Bewerbung um die Olympischen Spiele zusammen, die dem Parteistaat schließlich erfolgreich gelungen ist. Europa hätte in dieser Zeit darauf bestehen müssen, dass China auch den UN-Zivilpakt ratifiziert.

Bei den Olympischen Spielen 2008 wurde also eine Chance vertan?

Damals wurde ein besserer Zugang für die ausländische Presse verhandelt, das war gut. Mittlerweile sind diese Zugeständnisse aber zurückgenommen worden. Man hätte Pekings Interesse an den Spielen nutzen können, um den Zivilpakt durchzusetzen, das forderten auch chinesische Rechtsanwälte.

Wie hat sich der Menschenrechtsdialog seitdem gewandelt?

Die chinesische Seite hat inzwischen kein Interesse mehr am Menschenrechtsdialog. Nachdem die europäische Seite anfangs auf zwei Treffen jährlich drängte, bremste das chinesische Außenministerium das irgendwann aus. Die Parteiführung versucht heute, das Chinabild im Ausland anders zu beeinflussen, zum Beispiel über Propaganda in sozialen Medien, bezahlte ­Beilagen in Zeitungen oder Einflussversuche in Universitäten.

Wenn man Ihrer Argumentation folgt, fragt man sich, warum der Menschenrechtsdialog überhaupt noch statt­findet.

Das ist eine sehr gute Frage, die viele Diplomaten hinter vorgehaltener Hand auch stellen. Der europäischen Seite bietet er jedes Jahr einen Anlass, eine koordinierte Position herzustellen.

Das wiederum spricht doch dafür, den Dialog fortzuführen.

Ich würde ihn abschaffen.

Schadet er?

Das ist der Punkt. Der Menschenrechtsdialog ist ein Instrument aus dem letzten Jahrhundert – wer glaubt, dass dieses Instrument heute noch funktioniert, der versteht die aktuelle Lage nicht. Der Dialog bindet viele Ressourcen, die wir bräuchten, um bessere Menschenrechtsinitiativen zu entwickeln. Wir sollten den Kampf innerhalb Chinas für die Menschenrechte weiter unterstützen. Wir müssen uns aber auch fragen, wie wir dem autoritären Einfluss Chinas außerhalb seiner Staatsgrenzen ­angemessen begegnen können.

Das heißt, wir müssten auch in Deutschland vorsichtiger gegenüber China sein?

Richtig. Umfragen zeigen, dass die deutsche Bevölkerung dem autoritär regierten China gegenüber relativ sorglos ist. Wir sollten jedoch viel genauer beobachten, welchen Einfluss der chinesische Parteistaat in der Welt ausübt. Ich bin zum ­Beispiel strikt dagegen, dass Huawei – eine Firma, die unter der Kontrolle des chinesischen Parteistaats steht – das deutsche 5G-Mobilnetz, also kritische Kommunikationsinfrastruktur, ­ausbaut. Und auch die Konfuzius-Institute gehören auf den Prüfstand. Sie erleichtern die Kontrolle chinesischer Studie­render im Ausland. Manche Gaststudierende hören bei uns zum ­ersten Mal vom Tiananmen-Massaker und anderen Menschenrechtsverletzungen. Wir sollten sicherstellen, dass sie an deutschen Universitäten diskutieren können, ohne sich in ­China zu gefährden. Die akademische Freiheit muss verteidigt werden.

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