Amnesty Journal Afghanistan 20. Oktober 2025

Taliban-Filmporträt: "Hollywoodgate"

Ein Militärflughafen in Afghanistan, ein offenes Tor, auf dem steht: "Hoolywoodgate". Taliban in traditioneller Kleidung laufen über die Betonplatten, am Horizont erheben sich Berge.

Hollywoodgate: Die US-Truppen ließen 2021 bei ihrem überstürzten Abzug aus Kabul einen kompletten Flughafen und jede Menge Material zurück.

Ibrahim Nash’at gewährt mit "Hollywoodgate" einen Einblick in den Herrschaftsalltag der Taliban.

Von Jürgen Kiontke

Der Tod ist ihnen neu." Wenn Taliban-Kommandeur Malawi Mansour über seine künftigen Feinde redet, ist eines klar: Das eigene Ableben als Militärstrategie einzusetzen ist die Kernkompetenz seiner Truppe, die aus ganzen Kompanien von "Selbstmordbombern" besteht. 

Welche sonstigen Qualifikationen ­seine Kameraden aufweisen, wie sie die Wirklichkeit interpretieren und welche Ansichten sie haben, ist das Thema von Ibrahim Nash’ats Taliban-Porträt "Hollywoodgate". Der ägyptische Regisseur und sein Produzent Talal Derki begeben sich in eine der Kommandozentralen der afghanischen Truppe. Derki kennt sich damit aus, im Inneren bewaffneter Strukturen zu filmen: Er hatte bereits für seine Dokumentation "Of Fathers and Sons" zwei Jahre lang Zugang zur al-Nusra-Front in Syrien. 

"Wenn ­seine Absichten schlecht sind, stirbt er bald"

Wie damals gewährt auch diesmal die Miliz Einblicke: Weil die Filmemacher versprechen, den Kommandeur Mansour mehr oder weniger unkritisch in seinem Alltag zu filmen, sind Dreharbeiten erlaubt. Sobald Bilder entstehen, die den ­Taliban nicht gefallen, heißt es aber: ­Kamera aus. Oder, im O-Ton: "Wenn ­seine Absichten schlecht sind, stirbt er bald."

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Was unter diesen Bedingungen entstanden ist, ist beachtlich. Es ist das Jahr 2021, die US-Armee ist gerade überstürzt aus Afghanistan abgezogen. Was sie zurücklässt, macht nicht nur Mansour sprachlos, als er die ehemalige CIA-Basis in Kabul (Spitzname "Hollywoodgate") übernimmt: ein kompletter Flughafen mit Dutzenden Maschinen, Millionen Schuss Munition, tonnenweise Medikamente und Material.

Auf dem Weg zur Regionalmacht

Schnell fragt man sich, ob dieser abrupte Rückzug sinnvoll war, wenn die, zwar auf die Schnelle unbrauchbar gemachte, aber noch komplett vorhandene Ausrüstung in fremde Hände fällt. Die ­Ingenieure der Taliban setzen die Geräte schnell instand und lernen dabei. Sie ­hätten die Technologie der Amerikaner – die sie "Juden" nennen – sonst niemals verstanden, sagt der Kommandeur. Die Überraschung ist jedenfalls gelungen, und die Zuschauer*innen sind erschrocken darüber, womit in Afghanistan noch zu rechnen ist. Auf der Leinwand transformiert sich das Regime in Echtzeit zur militärischen Regionalmacht. 

Regisseur Nash’at ist in der Folge bei entscheidenden Gesprächen dabei, etwa wenn das "Islamische Emirat Afghanistan" diplomatische Beziehungen zu Vertretern Russlands, Irans und Pakistans aufnimmt. Mit Tadschikistan, für dessen Soldaten "der Tod neu" ist, beginnt man sogleich den nächsten Konflikt, weil das Land als Rückzugsraum des letzten Widerstands gegen die Talibanherrschaft dient.

Nash’at hält sich an die vorgegebenen Regularien – lässt es sich aber nicht nehmen, die Aufnahmen zu Beginn und am Ende mit der Realität zu flankieren, die die Taliban-Führer im Film nicht haben wollten: Männer, die Frauen in Burkas in den Dreck treten, Hinrichtungen, Armut und Gewalt.

Jürgen Kiontke ist freier Autor, Journalist und Filmkritiker. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung von Amnesty International wieder.

"Hollywoodgate". D/US 2023. Regie: Ibrahim Nash’at. Kinostart: 20. November 2025

 


 

WEITERE FILMTIPPS

»Sorda«: Hören und verstehen

Inklusion ist das Thema des spanischen Films "Sorda": Ángela ist gehörlos (auf spanisch: sorda), große Probleme bereitet ihr das nicht. Wenn sich andere über das Laubbläsergetöse der Nachbar*innen aufregen, macht sie im Krach ein Nickerchen. Sie hat sich als Töpferin etabliert, ihre Familie, ihr Mann Héctor und ihr Freundeskreis kommunizieren per Gebärdensprache mit ihr und untereinander. 

Alles ändert sich, als Ángela ein Kind erwartet. ihre Mutter rät ihr erst verdeckt ("Du bist zu alt") und dann ganz offen zur Abtreibung. Wie soll das gehen, mit einer behinderten Mutter? Die ganze Care-Arbeit wird an Héctor hängenbleiben! Nicht ganz zu Unrecht vermutet Ángela, dass es diese Diskussion bereits einmal gegeben hat – als ihre Mutter mit ihr selbst schwanger war. Der nächste Punkt: Vielleicht ist das Kind ja selbst gehörlos und wird viele Schwierigkeiten im Leben haben. Und auch hier bezieht Ángela die Debatte auf sich. So nett man mit ihr umgeht, letztlich ist sie eine Belastung.

Ángela bringt das Kind auch aus Trotz zur Welt. Und in der Tat stehen Schwierigkeiten an, aber ganz andere als gedacht. Das Kind kann hören, die Mutter sich aber nicht mit ihm verständigen. Sie drängt Héctor, ausschließlich in Zeichensprache mit dem Kind zu kommunizieren, was im Alltag nicht durchzuhalten ist. Das Paar gerät unter Druck. Ángela gleitet ab in Depression und Alkohol, ihr Partner stemmt nun Job und Kind gleichzeitig. Ángela sieht ihren ganzen Lebensentwurf in Scherben und sucht Wege, um das Beste aus der Situation zu machen, ringt um Gleichberechtigung.

Regisseurin Eva Libertad hat einen komplexen, so traurigen wie schönen, bestens fotografierten Film mit hervorragenden Schauspieler*innen geschaffen – über die Herausforderungen, mit denen behinderte Menschen konfrontiert sind. Dabei zeigt sie auch immer Auswege aus vertrackten Lagen auf.

"Sorda". ESP 2025. Regie: Eva ­Libertad. Mit Miriam Garlo, Álvaro Cervantes. Kinostart: 30. Oktober 2025.

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