Aktuell Kultur Ukraine 23. September 2022

Dokumentarfilm "Mariupolis 2": Im Krieg überleben

Ein Mann steht vor einem haufen Schutt, im Hintergrund steigt Rauch auf

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Mariupolis 2" des ermordeten litauischen Regisseurs Mantas Kvedaravičius

Mit "Mariupolis 2" läuft der letzte Film des ermordeten Regisseurs Mantas Kvedaravičius in den deutschen Kinos. Sein Gegenstand: Der Krieg in der Ukraine.

Von Jürgen Kiontke

Mut und der unbedingte Wille, Menschenrechtsverletzungen aufzuzeigen, sei für das Wirken des Regisseurs Mantas Kvedaravičius zentral, sagt die stellvertretende Generalsekretärin von Amnesty International, Julia Duchrow, anlässlich der Nachricht von seinem Tod.

2011 hatte er mit seinem Tschetschenien-Film "Barzakh" den Filmpreis von Amnesty International auf den Berliner Filmfestspielen gewonnen. Im April dieses Jahres ist der litauische Regisseur und Anthropologe im ukrainischen Mariupol nach Aussagen seiner Lebensgefährtin, der Schauspielerin Hanna Bilobrova, von russischen Soldaten ermordet worden.

Blick durch ein zerbrochenes Fenster, in der ferne Rauch über einer Stadt

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Mariupolis 2"

Anfang 2022 war er nach Mariupol, das von der russischen Armee bei Kämpfen in Schutt und Asche gelegt wurde, zurückgekehrt. Dort hatte er 2015 den Film "Mariupolis" gedreht, ein Porträt der Stadt, über ihre vielen Spuren verschiedener Kulturen. Nun unterbrach er Dreharbeiten in Uganda, um mit und für die Menschen zu filmen, die unter den Angriffen der russischen Armee seit ihrem Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022 zu leiden haben. Beenden konnte er seinen Film nicht mehr. Bilobrova hat ihn gemeinsam mit der Cutterin Dounia Sichov rechtzeitig zum diesjährigen Filmfestival in Cannes im Frühsommer fertiggestellt.

Nun läuft "Mariupolis 2" auch in den deutschen Kinos. Es ist ein Film, der ganz in der Situation der Menschen ist, die in Mariupol mit dem Krieg leben müssen. Kvedaravičius drehte ihn im März 2022 in Sichtweite des zu der Zeit angegriffenen Stahlwerks.

Der dunkle Innenraum einer Kirche

Blick in eine halbzerstörte Kirche in Mariupol in dem Dokumentarfilm "Mariupolis 2"

Ein zweistündiges Werk ist es geworden, in dem kommentiert wird und berichtet. Das Werk gehört denen, die es zeigt – das ist eine Regel, die der Regisseur zur Devise seiner Arbeit gemacht hatte.

Vor den allgegenwärtigen Granateneinschlägen versammelt sich eine Gruppe zumeist älterer Menschen in einer halb zerstörten Kirche im Nordosten der Stadt, und die Kamera ist mitten unter ihnen. Wie leben sie zwischen den Trümmern, ohne Strom und Wärme? Dachstuhltrümmer werden zu Brennholz, auf Stahlrosten wird Tee gekocht. Nichts ist mehr heil geblieben. Es ist ein Film aus den Unterständen und Kellern, die Einschläge kommen von überall, Donner bildet den akustischen Hintergrund - –mehr Installation als Dokumentation.

Nach einem Angriff filmt Kvedaravičius auf dem Platz vor der Kirche. Die Anwohner finden zwei tote Männer und wissen nicht, wie es nun weitergeht. Im Hintergrund sind die Rauchsäulen aus dem Stahlwerk zu sehen, einmal während der Nacht, eine minutenlange, deprimierende Einstellung, ein Gewitter auf dem Boden. Es fällt der zentrale Satz: "Je ehrlicher die Regierungen, desto schlechter werden unsere Leben."

 

Tauben sitzen auf den Überresten eines zerstörten Gebäudes

Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm "Mariupolis 2"

"Mariupolis 2" dokumentiert den Kriegsalltag, die drückende Atmosphäre des Todes, der Ungewissheit. "Heute schießen sie mit allem auf alles", kommentiert eine Frau lakonisch. Und ein Mann fragt im Dialog mit dem Regisseur, der sich von seiner Position hinter der Kamera aus durchaus ins Geschehen einmischt: "Wofür habe ich ein Leben lang gearbeitet? An einem Tag ist alles verloren."

Und auch verblüffende Details am Rande entgehen der Kamera nicht: So ist auch die Hundehütte eines Schäferhundes bombardiert worden. Das Tier ist nicht weniger orientierungs- wie fassungslos als die Menschen, die ihre Wohnung verloren haben.

Mit aufmerksamen Aufnahmen aus der Handkamera hat Kvedaravičius diesen Krieg als Statement gegen den Krieg auf die Leinwand gebracht. Kein Patriotismus, keine Kriegshelden, dafür Atmosphäre: Der Film handelt von jenen in einer Welt, die mit diesem Horror leben müssen.

"Mariupolis 2". D/F/LIT 2022. Regie: Mantas Kvedaravičius. Der Film läuft derzeit in ausgewählten Kinos. Termine gibt es auf www.realfictionfilme.de/mariupolis-2.html

Der Film "Mariupolis" aus dem Jahr 2016" ist derzeit in der Arte-Mediathek zu sehen: www.arte.tv/de/videos/067103-000-A/mariupolis/

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