Aktuell Iran 16. November 2020

Behörden schalteten Internet ab, um Massentötungen zu vertuschen

Collage mit Porträtfotos von Dutzenden Personen

Collage mit Porträtfotos von Personen, die 2019 im Iran bei der Niederschlagung der Novemberproteste getötet wurden.

Amnesty International geht zum Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Novemberproteste 2019 mit einer neuen Microsite online. Unter dem Titel "A web of impunity: The killings Iran’s internet shutdown hid" dokumentiert die Menschenrechtsorganisation das wahre Ausmaß unrechtmäßiger Tötungen durch Sicherheitskräfte – was die iranische Regierung durch einen Internet-Shutdown vor der Welt verbergen wollte.

Zwischen dem 15. und 19. November 2019 wurden bei landesweiten Protesten im Iran mindestens 304 Menschen getötet. Amnesty International dokumentierte, wie die iranische Regierung das Ausmaß der Gewalt durch die bei den Demonstrationen eingesetzten Sicherheitskräfte mithilfe eines Internet-Shutdowns vor der Welt verbergen wollte.

Dazu hat die Menschenrechtsorganisation in Zusammenarbeit mit der Hertie School und dem Internet Outage Detection and Analysis Project (IODA) eine Microsite erstellt. Auf ihr finden sich mehr als 100 verifizierte Videos aus 31 iranischen Städten. Diese enthüllen den wiederholten Einsatz von Schusswaffen, Wasserwerfern und Tränengas durch die Sicherheitskräfte gegen unbewaffnete Protestierende und Passant_innen.

"Die Regierung dachte, sie könne die Menschen zum Schweigen bringen, indem sie das Land vom Internet abschnitt. Aber die iranische Bevölkerung war entschlossen, der Welt die Wahrheit mitzuteilen. Die neue Webseite soll den Mut derjenigen würdigen, die mit ihren Kameras die Gewaltszenen festhielten und damit enthüllten, was die Behörden verheimlichen wollten", sagte Dieter Karg, Iran-Experte bei Amnesty International in Deutschland.

Tweet von Amnesty-Mitarbeiter Sam Dubberley:

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Die Opfer, darunter Frauen und Kinder, starben meist durch Schüsse in Kopf oder Brust, was auf eine vorsätzliche Tötung hindeutet. Der 16. November 2019, der zweite Tag der Proteste, war der tödlichste mit mindestens 100 Todesopfern.

An diesem Tag wurde auch das Internet gesperrt. Angesichts der zunehmenden Proteste wiesen die iranischen Behörden die Internet-Dienstleister gegen 14 Uhr Ortszeit an, ihre Netze abzuschalten. Ab diesem Zeitpunkt beobachtete die IODA einen stetigen Rückgang der Signale, bis das Land gegen 19 Uhr digital von der Welt abgeschnitten war. Erst am 27. November wurde der Internetzugang wieder vollständig hergestellt. Aber auch bei späteren Protesten reagierte der Iran erneut mit Internet-Shutdowns.

Amnesty International betrachtet den Zugang zum Internet als unverzichtbares Mittel zum Schutz der Menschenrechte. Daher beteiligt sich die Organisation an der Kampagne #KeepItOn, bei der sich ein Zusammenschluss von mehr als 220 Organisationen für den Fortbestand des offenen und zugänglichen Internets einsetzt. Auch der UN-Menschenrechtsrat erklärte, dass "Staaten Internetverbindungen in Verbindung mit friedlichen Versammlungen nicht blockieren oder verhindern dürfen."

Bis heute wurde niemand für die Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen an den Protestierenden bestraft. Amnesty International ruft daher den UN-Menschenrechtsrat auf, ein Mandat für die Untersuchung der rechtswidrigen Tötungen zu erteilen, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Die iranischen Behörden müssen als ersten Schritt gegen die Straflosigkeit unabhängige und unparteiische Untersuchungen einleiten.

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