Aktuell 05. Dezember 2017

In Gefahr, weil sie Menschenrechte verteidigen

Menschen binden Blumen an einen Zaun, an dem auch ein Porträtfoto der Menschenrechtsverteidigerin Berta Cácares

Menschen gedenken der ermordeteten honduranischen Menschenrechtsverteidigerin Berta Cácares in Mexiko-Stadt im Juni 2016 

Die Arbeit von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern wird immer gefährlicher. Staaten schützen sie nicht ausreichend und gehen teils auch selbst gegen sie vor.

 

Sie verschwinden oder werden getötet: Überall auf der Welt sind Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger immer stärker gefährdet. Regierungen schützen sie nicht – obwohl sie dazu verpflichtet sind. Nach Einschätzung von Amnesty International eskaliert die Lage seit Jahren. Der jüngste Amnesty-Bericht "Deadly but Preventable Attacks: Killings and Enforced Disappearances of Those who Defend Human Rights" beleuchtet die wachsenden Gefahren für Menschenrechtlerinnen und –rechtler, die sich in unterschiedlichen Bereichen für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte einsetzen.

 

"In Gesprächen mit den Familien getöteter und 'verschwundener' Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger haben wir immer wieder gehört, dass diese Menschen genau wussten, dass ihr Leben in Gefahr war", sagt Guadalupe Marengo, Direktorin des Programms für Menschenrechtsverteidigerinnen und Menschenrechtsverteidiger bei Amnesty International.

Schon bevor sie dem Verschwindenlassen zum Opfer fielen oder ermordet wurden, waren sie oftmals Angriffen ausgesetzt, die von den Behörden ignoriert oder sogar befördert wurden. Hätten die Regierungen ihre Menschenrechtsverpflichtungen ernst genommen und bei Berichten über Drohungen und andere Übergriffe gehandelt, hätte dies Leben retten können.

Guadalupe
Marengo
Direktorin des Programms für Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger bei Amnesty International

Der neue Bericht von Amnesty International zeigt, dass weltweit Menschen in Gefahr sind, weil sie Menschenrechte verteidigen. Es kommt immer öfter zu Angriffen, und auch zu Angriffen, die klar vermeidbar wären. Bei der Strafverfolgung gegenüber Täterinnen und Tätern ist das Ausmaß an Straflosigkeit erschreckend. Der Bericht dokumentiert zahlreiche Beispiele:

 

Berta Cáceres: Die honduranische Umwelt- und Indigenenaktivistin wurde 2016 nach jahrelangen Drohungen und Angriffen erschossen.

 

Xulhaz Mannan: Der LGBTIQ-Aktivist und auch ein weiterer befreundeter Aktivist wurden 2016 in Bangladesch von mehreren Angreifern mit einer Machete getötet. Auch 18 Monate später ist noch niemand für diese Tat zur Rechenschaft gezogen worden.

 

Pierre Claver Mbonimpa: Der Gründer einer Menschenrechtsorganisation in Burundi wurde 2015 durch Schüsse ins Gesicht und in den Hals verletzt. Monate später, als sich Pierre Claver Mbonimpa zur Erholung im Ausland befand, wurden sein Sohn und sein Schwiegersohn getötet.

 

Die "Douma Vier": Die vier syrischen Aktivisten wurden im Dezember 2013 von bewaffneten Männern aus ihrem Büro entführt und gelten seither als vermisst.

Die Angriffe werden häufiger

Mit der Verabschiedung der Erklärung zum Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern durch die UN-Generalversammlung 1998 verpflichtete sich die internationale Gemeinschaft, diese zu schützen und die Bedeutung ihrer Arbeit anzuerkennen. Wie der Bericht von Amnesty International jedoch zeigt, ist der Einsatz für die Menschenrechte auch zwanzig Jahre später noch höchst gefährlich, denn seitdem sind Tausende von Menschenrechtrechtlerinnen und -rechtlern getötet worden oder vom Verschwindenlassen betroffen.

 

Nach Angaben der NGO "Front Line Defenders" wurden allein im Jahr 2016 weltweit mindestens 281 Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger getötet. Das sind fast doppelt so viele wie 2015. Die tatsächliche Zahl ist wahrscheinlich viel höher: Denn viele getötete oder "verschwundene" Menschenrechtrechtlerinnen und -rechtler werden unter Umständen nicht als solche identifiziert.Amnesty International dokumentiert sehr unterschiedliche Beweggründe für diese Angriffe: Einige Menschen werden wegen ihres Berufs angegriffen, etwa Medienschaffende, Juristinnen und Juristen und Gewerkschaftsmitglieder, etwa, weil sie für Menschenrechtsverletzungen Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen oder Informationen verbreiten und die Öffentlichkeit mobilisieren.



"Auch wenn die Motive für diese Angriffe unterschiedlich sein mögen, alle verfolgen das gleiche Ziel: all jene zum Schweigen zu bringen, die gegen Unrecht kämpfen oder Machtinteressen in Frage stellen. Dieses Vorgehen hat Auswirkungen auf einen größeren Kreis von Menschen, erzeugt einen Kreislauf der Angst und untergräbt die Rechte aller", sagt Guadalupe Marengo.



Wachsendes Risiko durch Straflosigkeit

Werden Drohungen und Angriffe nicht wirksam untersucht und bestraft, führt das zu einem Klima der Straflosigkeit und einer Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit. Denn es vermittelt die Botschaft, dass Angriffe auf Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger ohne Konsequenzen bleiben.

Vor dem Tod meiner Mutter gab es eine klare Allianz zwischen Geschäftsinteressen, privaten Sicherheitskräften, Beamten und der organisierten Kriminalität. Da diese Parteien am Tod meiner Mutter mitschuldig waren, erweist sich eine gründliche Untersuchung als immer schwieriger. Meine Mutter [Berta Cáceres] verdient Gerechtigkeit, und wir müssen unbedingt Licht in diese Verschwörung bringen. Das ist unerlässlich, wenn wir weitere Morde verhindern wollen.

Bertha
Zúniga
Tochter der honduranischen Umwelt- und Indigenenaktivistin Berta Cáceres, die 2016 getötete Gründerin des Indigenenorganisation COPINH

Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht toleriert werden

Amnesty International fordert alle Staaten auf, der Anerkennung und dem Schutz von Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidigern Priorität einzuräumen. Die Behörden müssen menschenrechtliches Engagement öffentlich unterstützen und ihren Beitrag zur Förderung der Menschenrechte leisten. Zudem müssen sie alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um weitere Angriffe auf Menschenrechtlerinnen und -rechtler zu verhindern: Die für die Angriffe Verantwortlichen müssen vor Gericht gestellt werden, Tötungen und Verschwindenlassen müssen wirksam untersucht und verfolgt werden.

Entscheidend ist, dass Regierungen in der Öffentlichkeit die klare Botschaft aussenden, dass Menschenrechtsverletzungen nicht toleriert werden.

"Die brutalen Angriffe, die dieser Bericht dokumentiert, sind der logische Endpunkt einer beunruhigenden Entwicklung. Immer häufiger treten führende Politiker und Politikerinnen weltweit nicht für Menschenrechtlerinnen und -rechtler ein. Stattdessen setzen sie Menschenrechtlerinnen und -rechtler Gefahren aus durch Verleumdungskampagnen, durch falsche Anschuldigungen oder durch den Missbrauch des Strafrechts. Und dadurch signalisieren sie eine Missachtung der Menschenrechte aller", sagt Guadalupe Marengo.

Wer ist Menschenrechtsverteidigerin oder -verteidiger?

Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger kommen aus allen Lebensbereichen. Es kann sich dabei um Gemeindesprecherinnen und -sprecher, Medienschaffende, Anwältinnen und Anwälte, Angehörige der Gesundheitsberufe, Lehrerinnen und Lehrer, Gewerkschaftsmitglieder, Whistleblowerinnen und -blower, Betroffene oder Angehörige von Opfern von Menschenrechtsverletzungen und -verstößen, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, Politikerinnen und Politiker, Angehörige der Sicherheitskräfte oder andere Staatsbedienstete handeln.

 

Vielleicht verteidigen sie die Menschenrechte im Rahmen ihres Berufs oder ehrenamtlich; vielleicht sind sie organisiert und setzen sich regelmäßig für die Verteidigung der Menschenrechte ein oder sie werden spontan aktiv für die Menschenrechte. Mit anderen Worten: Jeder kann – unabhängig von Alter, Beruf, Geschlecht, sexueller Orientierung, geschlechtlicher Identität, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer gesellschaftlichen Gruppe – seine Stimme gegen Menschenrechtsverletzungen erheben oder die Menschenrechte auf andere Weise unterstützen.

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