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Artikel 9: Schutz vor Verhaftung und Ausweisung
Die drei tschetschenischen Menschenrechtsverteidigerinnen Eliza Moussaeva, Libkhan Bazaeva und Natalia Estemirova mit der ermordeten russisch-amerikanischen Journalistin Anna Politkovskaya (zweite von links) und der Amnesty-Ermittlerin Mariana Katzarova (ganz rechts) im Juni 2004
© Amnesty International
Niemand darf willkürlich festgenommen, in Haft gehalten oder des Landes verwiesen werden.
Wer sich in Tschetschenien für Menschenrechte einsetzt, wird bedroht, schikaniert und überfallen. Insbesondere für die Menschenrechtsorganisation Memorial verschärft sich die Lage.
Tschetscheniens Präsident Ramsan Kadyrow und andere Amtspersonen verunglimpfen Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidiger seit Jahren systematisch als "Marionetten des Westens" und "Feinde Russlands", die Tschetschenien destabilisieren wollen. Örtliche Sicherheitsbeamte oder regierungsnahe Schlägertrupps griffen auch Aktivistinnen und Aktivisten an oder schikanierten sie. Ermittlungen, um die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen, blieben aus. Die Straflosigkeit führt auch dazu, dass solche Übergriffe weiterhin geschehen.
Bedroht, eingeschüchtert, getötet
Arbeit unter Druck
Die Situation für Menschenrechtlerinnen und -rechtler in Tschetschenien hat sich seit Estemirovas Ermordung kaum verbessert. Memorial arbeitete unter erhöhtem Druck der Behörden weiter. Am 9. Januar 2018 wurde Oyub Titiev, Leiter des Memorial-Büros im tschetschenischen Grosny, willkürlich inhaftiert: Angeblich hatte die Polizei bei einer Durchsuchung seines Autos Drogen "gefunden". Oyub Titiev bestreitet die Vorwürfe und sagt, dass die Drogen in seinen Wagen gelegt worden seien. Trotzdem ist er nun fälschlicherweise wegen unerlaubten Drogenbesitzes angeklagt. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.
Kurz nach Oyub Titievs Verhaftung wurde seine Familie wiederholt von den Behörden eingeschüchtert und verließ Tschetschenien deshalb. In Haft wurde Oyub Titiev unter Druck gesetzt, ein falsches "Geständnis" abzugeben. Er verweigerte das. Amnesty International befürchtet, dass er in Haft gefoltert wird.
"Die Tatsache, dass tschetschenische Behörden den Vorwurf des Drogenbesitzes gegen Titiev so offenkundig erfunden haben, ist wenig überraschend im Lichte der grausamen Methoden, mit welchen sie beharrlich solche Menschen verfolgen, die mutig genug sind, sich gegen Menschenrechtsverletzungen auszusprechen", sagte Bjorn Engesland, Generalsekretär des Norwegischen Helsinki-Komitees.
Fingierte Beweise
Oyub Titiev arbeitete viele Jahre im Büro von Memorial in Grosny und war bereits zuvor wegen seiner Menschenrechtsarbeit bedroht worden. Er übernahm kurz nach der Ermordung Natalia Esremirovas 2009 die Leitung des Büros.
Amnesty International geht davon aus, dass die Beweise gegen Oyub Titiev fingiert wurden, um ihn hinter Gitter und zum Schweigen zu bringen – auch um seine Arbeit und die seiner Kolleginnen und Kollegen zu behindern. Amnesty International betrachtet Oyub Titiev als gewaltlosen politischen Gefangenen und fordert, dass er unverzüglich und vorbehaltlos entlassen wird.
Memorials hartnäckige Menschenrechtsarbeit
Memorial dokumentiert seit mehr als 25 Jahren Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien und hat intensiv über die Verstöße gegen die Menschenrechte berichtet, die während der zwei Tschetschenienkriege vom Militär verübt wurden. Später hat Memorial auch Verstöße der vom Kreml ernannten tschetschenischen Behörden dokumentiert.
Während der letzten 10 Jahre hat Memorial bedeutende Erkenntnisse veröffentlicht, etwa zu kollektiven Strafmaßnahmen, Verschwindenlassen, Folter und anderen Misshandlungen, auch zum Niederbrennen von Häusern als Bestrafung sowie zu außergerichtlichen Tötungen durch lokale Sicherheitsbehörden.
Memorial hat das gegenwärtige Tschetschenien immer wieder als "totalitäre Enklave" innerhalb Russlands beschrieben und angemerkt, dass tschetschenische Behörden unter der Führung von Ramzan Kadyrov in nahezu alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens eingreifen, einschließlich Politik, Religion, Wissenschaft und Familiäres.
Falls Memorial gezwungen sein sollte, Tschetschenien zu verlassen, wird keine Organisation mehr übrig bleiben, die Menschenrechtsverletzungen dokumentiert und Opfer in einem Klima der Straffreiheit verteidigt.
Dieser Text wurde zunächst am 28. Februar 2018 auf www.amnesty.de veröffentlicht.