Schwerpunkte 24. Juni 2022

Warum arbeitet Amnesty zur Klimakrise?

Zwei Mädchen inmitten vieler anderer Menschen halten Schilder vor sich. Auf dem einen ist geschrieben: "What do we want Climate Justice When do we want it Now" geschrieben.

Klimastreik in der US-Hauptstadt Washington 2019

Die Klimakrise ist eine Menschenrechtskrise

Amnesty International fordert seit Langem eine klimagerechte, menschenrechtskonforme Politik. Im Bericht "Stop Burning our Rights" (hier in der deutschen Zusammenfassung) von 2021 ist klar beschrieben, was politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger*innen dafür tun müssen. Amnesty dokumentiert in verschiedenen Ländern die gravierenden Auswirkungen der Klimakrise, so zum Beispiel die Dürre und Hungersnöte in Madagaskar oder die Hitzewellen in Pakistan. Die Texte und Bilder im Schwerpunkt des Amnesty Journals 05/2021 geben einen exemplarischen Einblick in die vielfältigen menschenrechtlichen Dimensionen der Klimakrise. Zum Beispiel werden die Rechte auf Leben, Gesundheit oder auf Nahrung verletzt, Menschen werden aus ihren angestammten Gebieten vertrieben, und Ungleichheiten verstärkt. Eine unzureichende Klimaschutzpolitik setzt eine menschenrechtsfeindliche Kettenreaktion in Gang.

Die zentrale Bedeutung von Menschenrechtsverteidiger*innen und Umweltaktivist*innen

Die Expertise von Menschenrechtsverteidger*innen und Klimaaktivist*innen im Globalen Süden bei der Bekämpfung der Klimakrise und Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen ist von zentraler Bedeutung. Ihr Wissen um die Auswirkungen der Klimakrise auf Mensch und Natur und ihre Erfahrungen, wie Klimaschutzmaßnahmen im Einklang mit den Menschenrechten gestaltet werden können, müssen beim Einsatz für Klimagerechtigkeit hervorgehoben und die unterschiedliche Betroffenheit von Menschen durch die Klimakrise betont werden. Dafür ist Amnesty im Austausch mit Menschenrechtsverteidiger*innen, die sich für Klima- und Umweltgerechtigkeit einsetzen und dafür oft in besonderem Maße Repressionen ausgesetzt sind.

Die philippinische Aktivistin Marinel Ubaldo zum Beispiel kämpft für den Klimaschutz seitdem sie erleben musste, wie 2013 ein verheerender Taifun ihr Dorf Matarinao zerstörte und tausende Todesopfer forderte. Sie organisierte den ersten Klimastreik in den Philippinen und ermutigt durch Bildungsarbeit junge Menschen sich mehr zu engagieren. Marinel Ubaldo fordert auch weltweit Klimagerechtigkeit ein, u.a. auf der UN-Klimakonferenz in Paris:

Ich brauche nicht euer Mitleid, ich möchte, dass ihr etwas tut.

Marinel
Ubaldo
Klimaaktivistin

Als Teil eines Bündnisses von Betroffenen durch Klimaschäden, Aktivist*innen und NGOs forderte Marinel Ubaldo die Philippinische Menschenrechtskommission zu einer umfassenden Untersuchung der Verantwortung der 47 weltweit größten Öl-, Gas- und Kohlekonzerne für die Verursachung von Menschenrechtsverletzungen durch die Klimakrise auf. Der im Mai 2022 veröffentlichte Abschlussbericht der Philippinischen Menschenrechtskommission bestätigt die Verantwortung der großen fossilen Energieunternehmen für Klimaschäden. Auch Amnesty unterstützte das Verfahren, das ein Meilenstein auf dem Weg zur Anerkennung von Hauptverantwortlichkeiten für die Klimakrise und ein Zeichen der Hoffnung für Klimagerechtigkeit ist.

Die kolumbianische Menschenrechtsverteidigerin Jani Silva engagiert sich seit vielen Jahren als Teil der von ihr mitgegründeten Organisation Asociación de Desarrollo Integral Sostenible de La Perla Amazónica (ADISPA) für den Schutz des Amazonas und eine nachhaltige Landwirtschaft in ihrem kleinbäuerlichen Schutzgebiet und setzt sich gegen die Kontamination des Wassers durch Erdölförderung und Kokaanbau in der Region ein.

Heute werde ich mit dem Tod bedroht, weil ich unsere Region, die Umwelt und unsere Lebensweise verteidige. Trotz aller Hindernisse und Schwierigkeiten, mit denen wir konfrontiert sind, sind wir davon überzeugt, dass unser Kampf gerecht und notwendig ist. Die Menschheit muss begreifen, dass wir alle Leben sind, dass wir Wasser sind und dass die Verteidigung des Amazonas das Leben der jetzigen und zukünftigen Generationen verteidigt.

Jani
Silva
Klimaaktivistin

Amnesty ist solidarisch mit der globalen Klimabewegung und Klimaaktivist*innen weltweit, die Regierungen und Konzerne in die Pflicht nehmen und ihre Menschenrechte auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit wahrnehmen.

Klimaschutz im Einklang mit den Menschenrechten und unter Beteiligung der Betroffenen

Klimaschutzmaßnahmen dürfen nicht ihrerseits zu Menschenrechtsverletzungen führen und Rassismus und koloniale Machtstrukturen nicht reproduzieren. Der schnelle Übergang von fossilen zu erneuerbaren Energien muss im Einklang mit den Menschenrechten umgesetzt werden. So darf beispielsweise der zunehmende Ressourcenbedarf für mehr E-Mobilität nicht zu Menschenrechtsverletzungen, wie Vertreibung, Kinderarbeit, Umweltzerstörung oder Wasserverschmutzung beim Abbau von Kobalt in der Demokratischen Republik Kongo oder Lithium in den Anden führen. Daher hat Amnesty hier 2021 Grundsätze für Unternehmen und Regierungen für Wertschöpfungsketten bei der Herstellung von Akkubatterien aufgestellt (Powering Change: Principles for Business and Governments in the Battery Value Chain).

Für eine klimagerechte Gesellschaft müssen die Menschenrechte von marginalisierten Gruppen, die oft nicht ausreichend im Fokus stehen, betont werden. Hier geht es nicht nur darum zu zeigen, wie unterschiedlich wir von der Klimakrise betroffen sind und dass einige Völker, insbesondere indigene Völker und Menschen aus dem Globalen Süden, ungleich stärker unter den verursachten Schäden leiden. Menschen aus dem Globalen Süden sind mehr als nur Betroffene, sie müssen maßgeblich in Entscheidungsprozesse bei der Bekämpfung der Klimakrise einbezogen werden. Bei Projekten zum Schutz von Wäldern, Aufforstungsmaßnahmen oder auch der Errichtung von Windparks zum Beispiel müssen die dort lebenden indigenen Gemeinden vorab und umfassend beteiligt und ihre freie Zustimmung eingeholt werden. Auch in politischen Prozessen, ob internationale Klimakonferenzen oder nationale Energiewende, müssen Menschenrechtsstandards die Grundlage bilden und die Öffentlichkeit und Betroffene angemessen beteiligt werden.

 

Klimarassismus: Die Klimakrise verschärft bestehende Ungleichheiten und erfordert eine ganzheitliche Antwort

Der Globale Süden und marginalisierte Menschen im Globalen Norden sind durch die Folgen der Klimakrise wie auch durch immer höhere (Anpassungs-)Kosten zuerst und am stärksten betroffen. Und das obwohl sie am wenigsten zu den hohen CO2 Bilanzen beitragen. Die Klimakrise ist eine Folge von Ausbeutungsprozessen von Umwelt und Menschen des Globalen Südens durch den Globalen Norden, die ihren Ursprung im europäischen Kolonialismus haben. Die Klimakrise verschärft damit als globale Gerechtigkeitskrise bestehende Ungleichheiten und Diskriminierung. Daher muss die Klimakrise stets ganzheitlich im Zusammenhang mit (Umwelt-)Rassismus, Kolonialität und anderen Unterdrückungsdimensionen betrachtet werden. Der Einsatz für Klimagerechtigkeit ist daher immer auch ein Einsatz gegen Rassismus, Sexismus, Armut und Ausbeutung.

Wir können nicht länger hinnehmen, dass die am meisten marginalisierten Gruppen den höchsten Preis für die Taten und das Versagen der weltweit größten Co2-Emittenten zahlen.

Agnès
Callamard
Generalsekretärin Amnesty International

Damit ein dringend nötiger Richtungswechsel in der Klimaschutzpolitik gelingen kann, müssen die Achtung der Menschenrechte und das Aufbrechen von Ausbeutungs- und Machtstrukturen Hand in Hand gehen. Alejandra Ancheita, Anwältin und Gründerin der mexikanischen Menschenrechtsorganisation ProDesc macht im Gespräch mit Amnesty klar:

Entscheidend ist, wie Recht als Instrument genutzt werden kann, um Beteiligung sicherzustellen, Machtgefälle aufzubrechen und Diskussionen zu eröffnen.

Alejandra
Ancheita
Anwältin und Gründerin von ProDesc

Warum muss sich auch Amnesty International machtkritisch mit der eigenen Arbeit beschäftigen, um zu Klimagerechtigkeit beizutragen?

Als Organisation mit Hauptsitz im Globalen Norden hat auch Amnesty International hier viel zu lernen und aufzuarbeiten. Das gilt auch für uns als deutsches Büro mit einer mehrheitlich weißen und akademischen Belegschaft. Wie arbeiten wir mit indigenen Menschen, Klimaexpert*innen im Globalen Süden und marginalisierten Klimaaktivist*innen im Globalen Norden zusammen? Wie verhindern wir, durch unsere Arbeit bestehende Machtverhältnisse und weiße Retter*innen-Narrative zu stärken? Das sind wichtige Fragen, denen wir uns selbstkritisch stellen müssen und wollen. Nur wenn wir Machtstrukturen hinterfragen und den Menschen zuhören, die schon viel zu lange nicht mit am Entscheidungstisch sitzen, kann es gelingen, der Klimakrise etwas entgegenzusetzen und dabei alle Menschenrechte zu achten. Junge Menschen, Menschen, die Rassismus erfahren, indigene Menschen, Frauen und insbesondere Frauen aus ländlichen Gebieten, Menschen mit Behinderungen - ihre und weitere unterdrückte Stimmen finden in internationalen Foren und auch internationalen Organisationen viel zu wenig Gehör. Dabei sind sie es, die nicht nur stärker von der Klimakrise betroffen sind als privilegierte Gruppen, sondern sich als Expert*innen und Aktivist*innen seit Langem mit viel Wissen und Erfahrung und nicht zuletzt oft unter größten Gefahren für Klimagerechtigkeit einsetzen.

Die Klimakrise muss im Kontext struktureller Ungerechtigkeit gesehen und kann nur durch einen intersektionalen Ansatz bekämpft werden, der mehrere Formen von Diskriminierungen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus anerkennt und soziale sowie wirtschaftliche Benachteiligung mitdenkt. Die Klimakrise aus Perspektive der Menschenrechte zu beleuchten, mit Aktivist*innen und Expert*innen insbesondere im Globalen Süden gemeinsam Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren und menschenrechtliche Forderungen an Regierungen und Unternehmen zu richten: Diesen Beitrag will Amnesty International auf dem Weg zu mehr Klimagerechtigkeit leisten.