Aktuell Israel und besetztes palästinensisches Gebiet 10. April 2025

Kriegsdienstverweigerer Itamar Greenberg: "Ich konnte keine Uniform tragen, die für Töten und Unterdrückung steht"

Das Bild zeigt mehrere Menschen mit Protestplakaten

Kriegsdienstverweigerer Itamar Greenberg bei einer Demonstration gegen die Wehrpflicht in Israel in der israelischen Stadt Kiryat Ono am 27. November 2024

Itamar Greenberg ist ein 18-jähriger israelischer Militärdienstverweigerer, der wiederholt in Haft war. Er verbüßte fünf aufeinander folgende Haftstrafen im Militärgefängnis Neve Tzedek in Zentralisrael, weil er sich weigerte, nach seiner Einberufung zum Wehrdienst in die israelische Armee einzutreten. Hier beschreibt er, warum er den Dienst im israelischen Militär verweigert.

Von Itamar Greenberg 

Hallo, ich bin Itamar Greenberg, ein 18-jähriger Aktivist für Versöhnung, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit. Vor zwei Wochen wurde ich aus einem israelischen Militärgefängnis freigelassen, in dem ich 197 Tage einsaß, weil ich mich geweigert hatte, in die israelische Armee einzutreten.

Ich komme aus einer jüdischen Familie in Bnei Brak, die zu den ultraorthodoxen Haredim gehört. Die abgeschlossene Gemeinschaft der Haredim stellen 14 % der Bevölkerung in Israel. In meinem Umfeld wurde es nie in Betracht gezogen, Militärdienst zu machen – aus rein religiösen Gründen.

Im Alter von 12 Jahren wurde mir als haredischem Kind klar, dass ich nur zur israelischen Mehrheitsgesellschaft gehören würde, wenn ich zur Armee ging. Der Weg von dieser Erkenntnis bis zu meiner kürzlichen Entlassung aus dem Gefängnis war geprägt von tiefem Nachdenken und inneren Konflikten. Ich bewegte mich zwischen nationalistischer Propaganda und rationalem, ethischem Denken.

Ich begann Fragen zu stellen – nicht nur über den Glauben, in dem ich aufgewachsen war, sondern auch über Themen wie Menschlichkeit und deren Tragweite.

Für die meisten Israelis ist der Militärdienst nicht nur eine gesetzliche Verpflichtung, sondern fast eine Notwendigkeit – ein Zeichen von Stolz und Prestige. Doch je mehr ich über die Rolle der israelischen Armee bei der Kontrolle und Unterdrückung von Millionen Palästinenser*innen erfuhr, umso mehr wurde mir klar, dass die Einberufung nicht nur ein Tor zur israelischen Gesellschaft war. Vielmehr bedeutete sie eine aktive Beteiligung an einem System der Gewalt, Beherrschung und Unterdrückung.

Mir wurde klar, dass ich Teil des Problems werden würde, wenn ich mitmachte. Ich verstand, dass ich vor der Wahl stand: israelische Mehrheitsgesellschaft oder Moral. Ich habe mich für die Moral entschieden.

Diese Entscheidung habe ich nicht in einem einzigen dramatischen Moment getroffen, sondern sie war vielmehr das Ergebnis eines langen Lernprozesses und einer moralischen Abwägung. Je mehr ich erfuhr und wusste, desto weniger konnte ich eine Uniform tragen, die für Töten und Unterdrückung steht.

Zu dem Entschluss, den Wehrdienst zu verweigern, kam ich schon allein durch die Besatzung. Aber in meinem Fall kam noch der Völkermord hinzu: Ich habe verweigert, weil ich nicht an einem Genozid beteiligt sein wollte. Ich bin ein so genannter Genozid "refusenik" [ein Begriff, der in Israel zur Bezeichnung von Militärdienstverweigerer*innen verwendet wird].

In Israel zahlt man einen hohen persönlichen Preis, wenn man aus politischen und moralischen Gründen den Militärdienst verweigert. Das kann dazu führen, dass man ausgegrenzt und an den Pranger gestellt wird. Da die Einberufung zum Militär rechtlich gesehen verpflichtend ist – mit bestimmten Ausnahmen, unter anderem für palästinensische Israelis– kann die Verweigerung der Einberufung aus Gewissensgründen mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden. Ich wurde wiederholt von einem Oberst der israelischen Armee zu einer Haftstrafe in einem Militärgefängnis verurteilt. Insgesamt habe ich 197 Tage abgesessen, verteilt auf fünf verschiedene Zeiträume. Bis zu den letzten Stunden meiner Inhaftierung hatte ich keine Ahnung, wie viele Monate Gefängnis mich noch erwarten würden.

Die Bedingungen im Militärgefängnis sind hart. Es gab Tage, die ich in Einzelhaft verbracht habe, weil mich Mitgefangene bedroht haben. Jeden Tag war ich gezwungen, etwa vier Stunden lang strammzustehen.

Dennoch habe ich gelesen, nachgedacht und geschrieben. Und deshalb war mein Geist klar. Ich wusste, dass ich das Richtige tat, und hatte ein tiefes Gefühl des Friedens.

Ich wusste, dass ich jeden Moment frei sein konnte – ich musste nur dem Militärdienst zustimmen. Aber wie sollte ich, wenn draußen ein Feldzug der ethnischen Säuberung und Zerstörung im Gange war?

Kinder leben in ständiger Angst um ihr Leben, in existenziellem Terror – nicht wegen irgendetwas, das sie getan haben, sondern einfach, weil sie als Palästinenser*innen geboren wurden. Ich habe mich entschieden, in eine Gefängniszelle zu gehen, um mich mit diesen Kindern zu solidarisieren, und ich hatte nicht die Absicht, vor ihnen um meine Freilassung zu bitten.

Oder vielleicht bin ich auch in die Zelle gegangen, um sie nicht zu töten.

Auf jeden Fall dauerte meine Inhaftierung so lange, weil ich mich weigerte, um irgendetwas zu bitten, etwa um eine Freilassung aus medizinischen oder psychischen Gründen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass ich sie um irgendetwas bitten konnte, außer um die Beendigung des Massakers in Gaza. Am Ende haben sie [das israelische Militär] aufgegeben. Sie erkannten, dass ich nicht über meinen geistigen Zustand lügen oder andere Anträge auf Freilassung stellen würde.

Die Wehrdienstverweigerung war auch mit ganz praktischen Kosten verbunden. In Israel ist die Armee nicht nur eine militärische Einrichtung – sie ist das Tor zur Gesellschaft. Diejenigen, die nicht dienen, werden automatisch als Bürger*innen zweiter Klasse behandelt. Die Türen schließen sich, die Möglichkeiten schrumpfen, und die Botschaft ist klar: Wenn du nicht Teil des Systems bist, hast du hier keinen Platz.

Meine Weigerung war nicht nur eine persönliche Entscheidung, sondern ein politisches Statement, und die israelische Gesellschaft reagierte entsprechend.

Auf der einen Seite haben Aktivist*innen und Angehörige der radikalen Linken ihre Unterstützung bekundet. Andererseits sieht mich die große Mehrheit der israelischen Öffentlichkeit als Verräter. Ich wurde als antisemitisch und als Sympathisant von Terroristen bezeichnet.

Selbst in meinem engsten Umfeld war es nicht immer einfach. Einige wenige meiner Freund*innen hatten Schwierigkeiten, meine Haltung zu akzeptieren und brachen den Kontakt zu mir ab.

Aber ich sehe meine Verweigerung nicht nur als persönlichen Kampf. Sie ist Teil eines umfassenderen Kampfes – gegen Militarismus, gegen Unterdrückung, gegen eine Realität, in der Gewalt die Standardreaktion ist.

Und Gewalt sollte nicht nur nicht mehr der Standard sein, sondern sie sollte völlig vom Tisch sein.

Im Allgemeinen besteht der Unterschied zwischen Humanist*innen und Faschist*innen – wenig überraschend – im Glauben an den Humanismus.

Aber wie wir wissen, haben auch diejenigen, die an den Faschismus glauben, einen Keim des Guten in sich.

Ihr Glaube an den Faschismus gibt uns natürlich nicht das Recht, ihnen die grundlegenden Menschenrechte zu verweigern – denn wir wollen ja nicht selbst zu Faschist*innen werden.

Unser Recht, für Gerechtigkeit zu kämpfen, ergibt sich aus unserer Verpflichtung, gerecht zu handeln.

Die Realität zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer verdeutlicht, wie wichtig dieser Kampf ist. Wir können eine gerechte Gesellschaft nicht mit Gewehrläufen aufbauen.

Massentötungen und Apartheid sind kein Weg zu "Sicherheit" und können es auch nie sein – sie sind Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Während ich diese Zeilen schreibe, hat Israel für Gaza wieder einmal "die Tore der Hölle geöffnet" und am 18. März massive Luftangriffe auf den Gazastreifen geflogen, bei denen Kinder und ganze Familien im Schlaf getötet wurden.

Überall auf der Welt wird man über den Völkermord sprechen, den Israel begeht. Es werden weiterhin Berichte, Artikel und Untersuchungen veröffentlicht werden.

Die internationale Gemeinschaft darf sich nicht damit begnügen ihre "Sorge" auszudrücken..

Waffenexporte nach Israel müssen gestoppt werden. Die für völkerrechtswidrige Verbrechen verantwortlichen israelischen Politiker*innen müssen strafrechtlich verfolgt werden. Und Völkermord und Apartheid müssen sofort beendet werden.

An dieser Stelle des Stücks sollte es eigentlich noch einige Worte der Hoffnung geben.

Aber wir haben keine Zeit, zu träumen.

Es ist an der Zeit, Widerstand zu leisten.

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